Tuning-Klassiker gibt es die? Na klar, manche Autos haben wir in der aufgebrezelten Version besser im Gedächtnis als im Serienzustand. Oder können Sie sich an einen NSU TTS ohne Haubenaufsteller erinnern? Der hier vorgestellte 89er Brabus 190 E 3.6 Light Weight ist zwar qua Definition kein Mercedes Oldtimer (da fehlen ihm noch 10 Jahre!), aber er ist so etwas wie ein Meilenstein der deutschen Mercedes Tuning Geschichte.
Der Brabus 190 E 3.6 S Light Weight erreicht eine V-Max von knapp 270 km/h und beschleunigt in 6.3 s aus dem Stand auf Tempo 100!
Wer nur einen oberflächlichen Blick auf den roten 190er wirft, der könnte der Fehleinschätzung erlegen, hier einem optisch wenig spektakulär getunten 190er begegnet zu sein, der einem, wenn er nicht in diesem knalligen Rot erstrahlen würde, vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Wer hätte vermutet, dass man 1989 für ein solches Auto 128.212 DM (also rund 65.000 ) hinblättern musste? Ein 190 E 2.6 kostete damals nicht mal ein Drittel davon! Wie gut, dass der Brabus dann doch knallrot ist! Denn der von einem 272 PS starken 3.6-Liter Reihensechszylinder befeuerte Viertürer ist jeden zweiten und dritten Blick wert. Schließlich ist er die perfekte Replika jenes 89er Benz, der dem Tuner aus Bottrop weltweit viel Aufmerksamkeit und Anerkennung gebracht hatte.
Warum Replika?
Der Gedanke, dass hinter dem roten Renner nun das Unternehmen Brabus stecken könnte, ist zwar naheliegend, aber nicht richtig. Nicht ganz richtig. Denn ein bisschen weht der Wind schon aus der Bottroper Ecke. Realisiert hat dieses Auto nämlich Sven Gramm, und der leitet bei Brabus die Presse- und Marketingabteilung. Wenn man mit ihm durch die Brabus-Hallen marschiert, dann fällt auf, dass Gramm egal ob Motorenfertigung, Interieur-Montage oder Elektronik - fast immer die technischen Details parat hat und oft sogar, die Einzelheiten der gerade auf- bzw. umgebauten Fahrzeuge kennt. Offensichtlich interessiert sich da jemand für die Inhalte seines Jobs, ist ja heutzutage auch nicht mehr selbstverständlich.
Gramm ist schon immer ein Fan von diesem Auto gewesen: Der Brabus 190 E 3.6 ist leicht, hat ein hervorragendes Leistungsgewicht und es gab nur einen Prototypen! Der Wagen war also einzigartig! Leider aber auch nicht mehr existent. Denn der 3.6 wurde anschließend noch einmal komplett umgebaut und erhielt dann eine komplette Luxusausstattung!
Wenn ich das Original nicht mehr haben kann!, so entschied Gramm, dann will ich wenigstens eine 100 %ige Kopie! Und so reifte der Beschluss, den 190er wieder neu zu bauen. Eine ordentliche Basis in Form eines 190 E 2.6 wurde schnell gefunden und dann anschließend für den Neuaufbau nach Original-Vorgaben bis auf die Rohkarosse gestrippt.
Die Presse feiert ein Leichtgewicht
Sven Gramm kam beim Neuaufbau zu Gute, dass die Dokumentation im Hause Brabus in jenen Tagen schon sehr ordentlich funktionierte. So konnte die Konfiguration des 89er Benz ziemlich genau nachvollzogen werden. Nur bei den Bildern sah es vergleichsweise mau aus. Aber da halfen die zahlreichen zeitgenössischen Testberichte aus der Sport Auto oder der Rallye Racing, wo der Brabus 190 E 3.6 Light Weight auf ein begeistertes Echo stieß. So lobte die Auto Zeitung in ihrem Artikel Rot-Wild: Brabus weckt den kleinen Alain Prost in uns! Oder auch: Lange nicht mehr haben wir einem Auto nach dem Test so ungern Servus gesagt wie dem jüngsten Werk des jungenhaft-dynamischen Firmenchefs Bodo Buschmann. Selbst in Japan jubelten die Magazine dem Leichtbau-190er zu. Rot für die Welt.
Der 190er musste also zu seiner Zeit schon etwas Besonderes sein. Sven Gramm kann helfen: Der Brabus war damals der leistungsstärkste 190. Mit einer Beschleunigung von 0-100 km/h in 6.3 s brachte der Baby-Benz sogar einen Porsche Carrera in Bedrängnis und bringt er wohl auch heute noch.
3.6 Liter Dampfhammer
Der Motor des 3.6 S basiert auf dem M103 3.0 aus dem W124, da der M103 2.6 für die durchgeführten Tuning-Maßnahmen zu dünnwandig ist.
Herzstück des roten Renners ist der auf dem M103 3.0 (W124) basierende 3.6 Liter Hubraummotor (3590 ccm), den die zeitgenössischen Tester als Meisterwerk von Ulrich Gauffrés bezeichneten. Gauffrés kam von der Mercedes-Motorenentwicklung zu Brabus. Nicht Chippen, sondern klassische Tuning-Künste entlocken dem M103 schwungvolle 365 Nm Drehmoment und die besagten 272 PS. Eine Brabus-Kurbelwelle, -Kolben, eine Nockenwelle mit angepassten Steuerzeiten, feingewuchtete Pleuel, eine auf 10.5 erhöhte Verdichtung, größere Ventile, feinpolierte Ein- und Ausgänge die komplette Hexenküche steckt in dem von einem feuerroten Deckel gekrönten Reihensechszylinder! Gramms Motor entspricht dem Original bis ins Detail.
Klar, Gauffrés leitet heute bei Brabus die technische Entwicklung. Wer könnte ein besserer Ratgeber sein?
Akustisch überzeugen die Tuning-Maßnahmen durch einen herrlich-heiseren Klang. Dezent, aber unverhohlen sportlich. Aber auch optisch langt der Treibsatz voll hin. Es schaut ein bisschen so aus, als hätte ein Hüne den Zylinderkopf auf den noch flüssigen Block geschraubt und als Konsequenz daraus, würde das gepresste Material aus den Öffnungen der Auslässe gequetscht werden. Es ist ein Meisterwerk an Krümmer, ein toller Anblick und beim verzückten Betrachten will man gar nicht darüber nachdenken, dass das Hineinfriemeln des Treibsatzes in die Motorbucht millimetergenaue Arbeit erforderte. Auch vorn ists eng: Für Getriebe und Motor stemmen sich je ein Zusatzkühler in den Fahrtwind.
Mehr Spaß durch weniger Gewicht!
Um die 272 PS noch etwas wirkungsvoller in Szene zu setzen, hatten die Brabus-Techniker den 190 E um rund 130 kg erleichtert. Auch Gramms Geschoss bringt nur rund 1340 kg auf die Waage. Damit sprechen wir von einem Leistungsgewicht von nur 4,9 kg! Allein durch das unbarmherzige Entfernen des Mercedes-Gestühls ließ sich ein Großteil des Gewichts einsparen. Vorn nimmt Gramm nun auf Recaro Spa Kevlar-Schalen Platz. Diese Schalen werden bis auf das Zehntel genau gewogen, so wiegt der Fahrersitz exakt 3.326 gr. Der Beifahrersitz kommt fast auf das gleiche Gewicht.
Konsequenter Leichtbau drückt das Leergewicht auf 1340 kg! Ergebnis ist ein Leistungsgewicht von 4,9 kg/PS
Hinterbänkler schauen in die Röhre. Denn der Viertürer ist ein Zweisitzer. Stattdessen findet sich dort, wo sich einst die Passagiere bequem gemacht haben, das Stahlgeflecht eines Überrollbügels. Das Armaturenbrett schaut
vergleichsweise original aus. Abgesehen vom Lenkrad (Brabus Typ II) , den dezent montierten Zusatzarmaturen und dem bis 300 km/h reichenden Tachoblatt. Realistisch sind gut 270 km/h, so Gramm und er fährt sie gelegentlich auch aus! Allerdings nur bei schönem Wetter, denn die auf die 8x16 Brabus Monoblock I geschnallten Yokohama Street-Slicks sind bei regennasser Straße kein Vergnügen!
Der Spoiler und die Hinterachse
Die Brabus-Techniker integrierten den Differenzial-Kühler im Heckspoiler.
Dass in diesen Tempo-Regionen ein Heckspoiler ein Plus an willkommenem Anpressdruck bringt, dürfte jedem Leser hier klar sein. Umso mehr überrascht die Überlieferung, dass die Brabus-Techniker, den Spoiler nur montiert haben sollen, um so möglichst effizient und unaufdringlich einen Kühler für das Hinterachsdifferenzial unterbringen zu können. Sollten im Differenzial die Temperaturen über 120° klettern was bei höheren Geschwindigkeiten schnell passiert schaltet sich die im Kofferraum platzierte Pumpe ein und das dann zirkulierende Differenzial-Öl kühlt sich wieder ab. Was der Fahrer übrigens an seinen Armaturen ablesen kann. Alles perfekt also? Nicht ganz, es gibt auch Raum für Verbesserungen - theoretisch: Ja leider das Getriebe. Die Schaltwege sind zu lang!, bemerkt Gramm, aber eine angemessene Alternative ist nicht in Sicht.
Das Blech blieb unangetastet...fast!
Von Kotflügelverbreiterungen und ähnlichen Einschnitten blieb die Karosse also verschont. Einen Kunstgriff jedoch hatten die Brabus-Blechschneider dennoch aus dem Hütchen gezogen. Der ehemalige Chromgrill ist nun galvanisch entchromt und übergangslos perfekt sowie in Wagenfarbe lackiert in die Haube integriert. Bei der Tieferlegung gingen die Bottoper ebenso moderate Wege. Die Fahrwerks-Geometrie beim 190er ist nahezu perfekt, da geht es nur um Feinabstimmung. Und so kommts, dass man aus heutiger Sicht den 190 E 3.6 möglicherweise unterschätzt. Was Sven Gramm bestenfalls mit einem Schmunzeln quittiert. Was gibt es Besseres als unterschätzt zu werden?
Das gilt auch für den Klassiker-Status. Den hat sich der Brabus 190 E 3.6 bereits jetzt verdient, aber er wird noch 10 Jahre auf ein H-Kennzeichen warten müssen. Nicht weiter schlimm, denn auch beim Kennzeichen strebte Sven Gramm Perfektion im Detail an. Anstelle des original Kennzeichens BOT YC 1 trägt sein 190er BOT- YC 11. Aus Respekt vor dem Original!
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Fotostrecke | Rot für die Welt: Brabus 190 E 3.6 Light Weight: Mercedes Tuning ist auch schon klassisch: 1989er 190 E im zeitgenössischen Brabus-Look
Fahrzeugtyp: W201 Brabus 190 E 3.6 Light Weight
Baujahr: 1989
Motor: 3,6 S Brabus Hubraummotor, Brabus-Kurbelwelle, -Nockenwelle, -Kolben, -Zylinderkopf, bearbeitete Pleuel, TEZET-Krümmer, 3590 ccm Hubraum, 8 Ventile, KE-Jetronic, eine obenliegende Nockenwelle, Leistung: 272 PS bei 6.000 U/min, Drehmoment: 365 Nm bei 4.800 U/min
Räder & Reifen: Brabus Monoblock I 8 x 16 ET 35 rundum, Reifen rundum Yokohama Street Slicks in 225/45 R16
Bremsen: ATE-Scheibenbremsen rundum
Fahrwerk: Eibach-Federn, Bilstein-Dämpfer,
Karosserie: Lackierung in Signalrot (568) Kühler entchromt und nahtlos in die Haube integriert, Brabus- Front- und Heckspoiler, Heckspoiler mit integriertem Differenzial-Kühler
Innenraum: keine Dämmung, Recaro Spa Kevlar-Schalensitze, Rückbank entfernt, Brabus Typ II-Sportlenkrad, 300 km/h-Tacho, Zusatzinstrumente
Leergewicht: 1340 kg
Leistungsgewicht: 4,9 kg/PS
Fahrleistungen:
V-Max: 270 km/h
0-100 km/h: 6,3 s
2 Kommentare
Veteranenclub
4. September 2009 08:43 (vor über 15 Jahren)
HanSchopp
3. September 2009 14:01 (vor über 15 Jahren)
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