Mercedes-Benz Baureihen: Pagode: Ein Dach macht die Biege

Die „Pagode“ (W 113) fährt sich in die Herzen der Mercedes-Fans

Mercedes-Benz Baureihen: Pagode: Ein Dach macht die Biege: Die „Pagode“ (W 113) fährt sich in die Herzen der Mercedes-Fans
Erstellt am 18. August 2010

Es gibt fraglos viele gute Automobile, aber nur ganz wenige sind auserwählt, Kultstatus zu erlangen. Dies seltene Kunststück gelang dem W 113, dessen auffällig geschwungene Dachlinie ihm sogleich den Spitznamen „Pagode“ einbrachte. Schauplatz seiner vielbeachteten Weltpremiere war der Genfer Automobilsalon im März 1963. Dort präsentierte Daimler-Benz den Mercedes-Benz 230 SL und damit einen neuen Sportwagen, der gleich zwei Modelle des bisherigen Verkaufsprogramms – die Typen 190 SL und 300 SL - ersetzen sollte.

Die goldene Mitte

Das neue Modell schlägt gewissermaßen einen Mittelweg zwischen den Konzepten des 190 SL und des 300 SL ein: Der Typ 230 SL, intern als Baureihe W 113 bezeichnet, ist weder ein kompromisslos harter Roadster noch ein sanftmütiger Boulevard-Sportwagen, sondern vielmehr ein komfortabler zweisitziger Reisewagen mit hohen Fahrleistungen und optimaler Fahrsicherheit. Lieferbar ist er vom Sommer 1963 an in drei Ausführungen: als offene Ausführung mit einem spielerisch leicht zu bedienenden Faltverdeck – eine kleine Sensation für sich –, als offene Version mit Hardtop und schließlich als Hardtop-Coupé. Dem Hardtop-Coupé fehlen Verdeck und Verdeckkasten, dafür gibt es mehr Platz für Gepäck. Alle drei Versionen lassen sich offen fahren. Auf Wunsch ist ein Quersitz im Fond erhältlich, wie bereits beim Typ 190 SL.

Sachlichkeit ist Trumpf

Das Äußere des Typ 230 SL ist geprägt durch klare und gerade Linien sowie durch das unverkennbare SL-Gesicht samt dem n der Mitte prangendenzentralen Mercedes-Stern. Die Motorhaube hat in der Mitte eine leichte zusätzliche Wölbung, die dem aufrecht stehenden Sechszylindermotor Raum bietet. Sein Kofferraum ist großzügig bemessen. Das Hardtop vermittelt durch seine hohen Scheiben und das nur von schmalen Säulen getragene Dach eine Leichtigkeit, die so gar nicht dem Klischee eines Sportwagens entspricht. Es erinnert durch seinen nach innen gerichteten Schwung an fernöstliche Tempelbauten, und der Wagen hat seinen Namen weg, noch bevor er richtig auf die Straße kommt: „Pagode“. Zudem erleichtert das Hardtop, ebenfalls aufgrund seiner Formgebung, das Ein- und Aussteigen.

Technik in bester Tradition

Abgesehen vom Radstand – den magischen Wert von 2400 Millimetern hat man unverändert von den Typen 190 SL und 300 SL übernommen – hat der neue SL praktisch keine Gemeinsamkeiten mit seinen beiden Vorgängern. Dennoch ist die Baureihe W 113 keine völlige Neukonstruktion, entspricht ihr technisches Konzept doch weitgehend dem Typ 220 SE (W 111/3); als zweisitziges Cabriolet der „Heckflossen“-Baureihe verwendet der SL beispielsweise deren Rahmen-Bodenanlage, freilich verkürzt und verstärkt, einschließlich Vorder- und Hinterradaufhängung.



Außer dem serienmäßigen Viergang-Schaltgetriebe ist, erstmals bei einem SL, auf Wunsch ein Viergang-Automatikgetriebe erhältlich. Als dritte Variante kommt im Mai 1966 ein von der Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF) bezogenes Fünfgang-Schaltgetriebe hinzu.

Fortschrittliches Sicherheitskonzept

Die „Pagode“ ist der erste SL, bei dem sich zur Schnelligkeit die Sicherheit gesellt. Da seine Basis die Bodengruppe der berühmten „Heckflosse“ ist, der weltweit ersten Limousine mit Sicherheitskarosserie, hat auch dieser SL eine steife Fahrgastzelle und Knautschzonen in Form leicht verformbarer Front- und Hecksegmente. Diese Bauweise geht auf den Ingenieur Béla Barényi zurück, der für viele Sicherheitsmerkmale bei Fahrzeugen der Marke Mercedes-Benz sorgt.



Der Innenraum ist wie bei der Limousine „entschärft“, es gibt also keine harten Ecken und Kanten. Sicherheitsgurte sind, wie beim Vorgänger, als Sonderausstattung erhältlich. Das Lenkgetriebe ist aus dem crashgefährdeten Bereich vom Vorderwagen an die Stirnwand gerückt, die Lenksäule ist geknickt und besitzt zudem ein Gelenk, das den gefürchteten Lanzeneffekt bei einem Unfall verhindert. 1967 kommen die Sicherheits-Teleskoplenksäule und der Pralltopf im Lenkrad hinzu.

Sportliches Handling

Das Fahrwerk, übernommen aus der Limousine vom Typ 220 SE, ist auf die Belange des sportlichen Autos abgestimmt. Es bietet eine Kugelumlauflenkung, ein Zweikreis-Bremssystem und Scheibenbremsen an der Vorderachse. Seine Federung ist straff, aber für einen Sportwagen fast untypisch komfortabel. Für die Dämpfung sorgen Gasdruck-Stoßdämpfer, und erstmals fährt ein SL auf Gürtelreifen.

Drehfreudiger Leistungsträger

Der ebenfalls aus der Limousine stammende Sechszylinder muss einige einschneidende Änderungen über sich ergehen lassen, deren wichtigste der Übergang von der Zweistempel- zur Sechsstempel-Einspritzpumpe ist. Damit ist es möglich, den Kraftstoff direkt durch den vorgewärmten Ansaugkanal und die geöffneten Einlassventile in den Brennraum zu „schießen“ und nicht mehr nur in das Ansaugrohr. Der auf 2,3 Liter Hubraum aufgebohrte Motor (M 127 II) leistet so 110 kW bei 5500/min und bietet bei 4200/min ein Drehmoment von 20 mkg (196 Newtonmeter). Dieser sehr sportlich angelegte Antrieb des SL will fleißig gedreht werden, untertourige Drehzahlen sind nicht sein Fall.

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Zügig in die Gänge

Das Vierganggetriebe, ebenfalls aus dem Limousinen-Baukasten, ist lediglich im ersten Gang etwas kürzer ausgelegt, um eine sportlichere Beschleunigung zu erzielen. Die liegt bei 9,7 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit des Typ 230 SL mit Stoffdach beträgt 200 km/h. Die Variante mit optionalem Automatikgetriebe erreicht 195 km/h. Sie ist in den Augen von Sportwagen-Puristen nahezu unmoralisch.



Die Geschichte lehrt eine andere Lektion: Beim Auslaufen der „Pagode“ liegt der Automatik-Anteil bei rund 77 Prozent. Ähnliches gilt für die ebenfalls gegen Aufpreis erhältliche Servolenkung. Auch in dieser Hinsicht ist die Baureihe W 113 wegweisend. Denn alle nachfolgenden SL-Typen paaren stets ausgesprochen gute Fahrleistungen mit einem Höchstmaß an Komfort. Vom Typ 230 SL wird die beachtliche Zahl von 19.831 Wagen gebaut.

Mehr Hubraum für den Nachfolger

Am 27. Februar 1967 wird der Öffentlichkeit der Mercedes-Benz 250 SL präsentiert, der den seit vier Jahren produzierten Typ 230 SL ablöst. Äußerlich ist der Neuling, dessen Serienfertigung bereits im Dezember 1966 begonnen hatte, von seinem Vorgänger nicht zu unterscheiden. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen den Motor und die Bremsanlage, die beide, leicht modifiziert, vom Typ 250 SE (W 108 III) stammen. Der Motor M 129 III mit einem um 200 Kubikzentimeter vergrößerten Hubraum hat im Vergleich zum Typ 230 SL bei gleicher Leistung von 110 kW bei 5500/min ein um 10 Prozent höheres Drehmoment, bei einem flacheren Verlauf der Drehmomentkurve. Er ist nun, für einen bessere Laufkomfort, mit sieben Kurbelwellenlagern versehen, zudem mit einem Öl-Wasser-Wärmetauscher; erst der spätere Typ 280 SL wird einen Luft-Ölkühler erhalten.



Der Typ 250 SL fährt sich somit deutlich elastischer, erreicht aber aufgrund seines höheren Gewichts nicht ganz die Höchstgeschwindigkeit des Vorgängers. Sie beträgt mit dem Viergang-Schaltgetriebe je nach Hinterachsübersetzung (Standard: 1:3,92; auf Wunsch: 1:3,69) 195 km/h oder 200 km/h (Automatikgetriebe: 190 km/h oder 195 km/h). Mit Fünfgang-Schaltgetriebe ist er nur in einer Variante erhältlich (1: 4,08), die dann 200 km/h erzielt.

Gute Neuigkeiten

Die Änderungen an der Bremsanlage umfassen Scheibenbremsen auch an den Hinterrädern, größere Bremsscheiben vorn sowie die Ausrüstung mit Bremskraftregler, um das Überbremsen der Hinterräder zu verhindern. Auf Wunsch gibt es neuerdings eine Differenzialsperre. Einen erweiterten Aktionsradius ermöglicht der vergrößerte Kraftstofftank mit einem Volumen von 82 Litern statt bisher 65 Liter Inhalt.



Neben den drei vom Typ 230 SL bekannten Karosserie-Ausführungen ist vom Typ 250 SL auf Wunsch als vierte Version ein Coupé mit Fondsitzbank lieferbar, das erstmals im März 1967 auf dem Genfer Salon gezeigt wird. Bei dieser sogenannten „California“-Ausführung hat man den für die hintere Sitzbank erforderlichen Raum durch Wegfall von Verdeck und Verdeckkasten gewonnen. Da eine Nachrüstung des Dachs nicht möglich ist, verspricht diese Variante nur in regenarmen Regionen oder mit aufgesetztem Coupédach ungetrübten Fahrspaß.



Bereits weniger als ein Jahr nach der Präsentation des Typ 250 SL ersetzt nach 5196 gebauten Exemplaren der Typ 280 SL das Fahrzeug. Abgesehen vom Typenschild unterscheidet er sich äußerlich nur an den geänderten Radzierblenden von seinen beiden Vorgängermodellen.

Sportliche Performance

Im Zuge der Markteinführung der neuen Mittelklasse-Typen der Baureihe 114/115 erhalten nicht nur die Limousinen, Coupés und Cabriolets der Oberklasse, sondern auch der SL einen 2,8-Liter-Motor. Die im Typ 280 SL eingesetzte Motorvariante M 130 mobilisiert dank einer Nockenwelle mit geänderten Steuerzeiten 7,4 kW mehr als die Basisversion des Typ 280 SE und leistet 125 kW bei 5750/min. Gegenüber dem Typ 250 SL ist die Leistung um rund 15 kW und das Drehmoment um 10 Prozent gesteigert. Der Kühlerventilator ist erstmals mit einer Visko-Kupplung ausgestattet, welche die Drehzahl begrenzt. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h liegt bei 9 Sekunden und die Höchstgeschwindigkeit wieder auf dem Niveau des Typ 230 SL, beträgt also in der Version mit Stoffdach 200 km/h. Sein auf einen weiter erhöhten Komfort ausgelegtes Fahrwerk zeigt sich weicher. Die Service-Intervalle betragen 10.000 anstelle von 3.000 Kilometer.

Erfolgszahlen

23.885 Exemplare des schnellen und zuverlässigen Mercedes-Benz 280 SL laufen vom Band. Insgesamt entsteht in den Jahren 1963 bis 1971 die Zahl von 48.912 „Pagoden“ – beachtlich für einen Sportwagen mit derart hohem Anspruch. Heute machen ihre hohe Gesamtqualität, ihre Eleganz und klaren Linien die Baureihe W 113 zu einem begehrten Objekt. Bei Restauratoren und Mercedes-Fans.

18 Bilder Fotostrecke | Mercedes Pagode: Ein Dach macht die Biege: Die „Pagode“ (W 113) fährt sich in die Herzen der Mercedes-Fans #01 #02

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