Mercedes 170 V als Hotrod-Zwitter

Der Bastard mit dem großen Herzen!

Mercedes 170 V als Hotrod-Zwitter: Der Bastard mit dem großen Herzen!
Erstellt am 14. Juli 2017

Klassik-Hardliner werden entsetzt aufjaulen, Customizing-Fans dagegen laut jubilieren! Dieser auf einem Mercedes-Benz 170V basierende und mit einem amerikanischen Herz bestückte Hot Rod lässt keinen kalt!

Was zum Henker ist das?

Als ich Lutz Müllers Unikat zum ersten Mal sah, parkte ich zufällig neben ihm ein und traute ich meinen Augen nicht. Ich konnte „ES“ nicht einordnen. Die Karosserie war eindeutig von einem Mercedes 170 V, also ein deutscher Klassiker. Ein Oldtimer, der normalerweise im originalgetreuen Zustand erhalten wird. „Unverbastelt“, wie die Hardliner unter den deutschen Oldtimerfreunden sagen. Die Motorhaube war aber „customized“, das bedeutet in der Sprache der Hot Rodder, dass es sich um eine individuelle Eigenkreation handelt. Etwas bedrohlich wirken die Mündungslöcher rechts und links auf der Motorhaube, angelehnt an ein Messerschmitt Me 109 Jagdflugzeug aus dem II. Weltkrieg. Ein schönes Detail, welches sich auch am Heck als senkrechtes Versteck für die Radioantenne und in den Trittbrettern als Sidepipe wiederfindet. Maschinengewehre verstecken sich allerdings nicht im Motorraum. Es handelt sich nur um „Lufteinlässe“, also Nasenlöcher von diesem Monster. Was sich unter der Haube verbirgt, kann man auf den ersten Blick nicht erahnen.

Hot Rod-Style am Benz!

Der Kühlergrill ist keinesfalls original. Er ist ein Eigenbau und höher, als vom original Mercedes, was auf einen größeren Kühler/Motor dahinter schließen lässt. Dieser Bastard ist eine Mischung aus deutscher und amerikanischer Autokultur der Vorkriegszeit. Die Frontkotflügel wurden definitiv modifiziert. Es wurden Verlängerungen in Blech angeschweißt, die unter dem Kühlergrill fast schon wie ein Schneepflug wirken. Der lag im geparkten Zustand regelrecht auf dem Boden. Er war so tief, dass kein Finger mehr unter den Schweller passte. Alle vier Kotflügel und die beiden Trittbretter wurden verbreitert und das Heck schließt mit Rücklichtern vom Porsche 356 Speedster ab. Das ganze Monster ist auch noch in matt schwarz getunkt. Der einzige Schmuck besteht aus zwei dezenten Pinstripings unter dem Kühlergrill und über dem Reserverad. Das sind mit einem dünnen Schleppinsel von Hand gemalte verschlungene Linien, die an Tribal Tattoos erinnern. Der Innenraum wirkt original, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Die Mittelkonsole stammt aus einer Mercedes Heckflosse und wurde angepasst. Links unter dem Armaturenbrett befindet sich ein modernes Radio mit CD-Wechsler. Um einen Hauch von Sicherheit zu vermitteln, wurden Dreipunktgurte an den B Säulen angebracht.

Lutz Müller ein deutscher „Hot Rodder“

Mich hat extrem interessiert, was sich unter der Haube und dem Blechkleid verbirgt. Das konnte mir Lutz natürlich nur persönlich verraten. Lutz, 59 Jahre jung, wollte ursprünglich mal Architekt werden. Um sein Studium zu finanzieren, schraubte er nebenbei aber an allem herum, was Räder und einen Motor hat und ihm in die Finger kam. Nun ist er schon 35 Jahre hauptberuflich selbständiger Schrauber. Aus dem Architekt wurde ein Werkstattbesitzer. Die erste Werkstatt hatte Lutz 10 Jahre in Ladenburg bei Heidelberg. Mittlerweile tüftelt er schon seit 30 Jahren in einer anderen Werkstatt in Heddesheim und kümmert sich neben den gewöhnlichen Kunden mit Vorliebe um Exoten. Da wäre zum Beispiel der Austin Healy Frogeye mit Ford Mustang Boss V8 Motor von Alex. Vor 25 Jahren fuhr Lutz schon mit einem Mercury Cougar Baujahr 1968 Beschleunigungsrennen in Hockenheim und Giebelstadt. Die amerikanischen Autos haben es ihm angetan. Er hatte aber auch immer wieder europäische kultige Schlitten. Er nannte zum Beispiel mal einen Ferrari 308 GTS sein eigen, einen Alfa Romeo Montreal, einen Mercedes Pagode und eine 280er S-Klasse. Heute besitzt er noch einen Triumph TR7 Coupé, einen Citroen 11CV, eine Citroen DS, ein Fiat 500 „Projekt“ und eben nun dieses matt schwarze Hot Rod. Was ein Hot Rod ist, lässt sich schwer definieren. Grob gesagt handelt es sich um ein ursprünglich amerikanisches Vorkriegsauto, welches umfangreich individualisiert wurde. Meistens wird der vorhandene Motor aufgemotzt, oder gleich ein Anderer größerer eingebaut. Da kommen wir der Entstehungsgeschichte des Bastards und seinem Geheimnis auf die Schliche.

Der Schöpfer und sein Werk

Nachdem Lutz schon einige schöne Autos „von der Stange“ besessen hatte, wollte er mal etwas ausgefallenes. Etwas anderes. In der Rubrik „Andere“ stöberte er dann auch in einer Autobörse im Internet und stieß auf den Mercedes Bastard. David Strohmeyer, der Vorbesitzer und Vater des Hot Rods, wohnt 15 Kilometer nördlich von München und ist von Beruf Spengler. Nach einigen Preisverhandlungen nahm David den Alfa Spider Baujahr 1975 von Lutz in Zahlung und so hatte das düstere Mercedes Hot Rod ein neues zu Hause. David hatte vor einigen Jahren die Idee für dieses kulturübergreifende Projekt, da er ein deutscher Fan der US-Car Szene ist. Er benötigte für den Umbau mit kreativen Pausen gut dreieinhalb Jahre, zwei Freunde und zwei Autos. David konzentrierte sich hauptsächlich auf die Blecharbeiten der Karosserie und des Tanks. Ein Freund von David half ihm beim Aufbau seines Traumwagens und kümmerte sich vorbildlich um die Elektrik des Bastards, die neu installiert wurde. Das Hot Rod wurde komplett mit eigenen Relais und Sicherungskasten verkabelt. Ein weiterer Freund unterstützte ihn und installierte das über einen Kompressor gespeiste „Airride“ Luftfahrwerk. Dies ermöglicht es, das Fahrzeug zu Showzwecken soweit herabzulassen, bis er wirklich im Stand mit dem Bauch auf dem Parkplatz liegt.

Vorne unter der Motorhaube befindet sich ein Lufttank für die Vorderachse. Der Tank für die Hinterachse verbirgt sich unter dem Reserverad, welches entfernt werden muss, um Zugang zu den technischen Komponenten zu bekommen. Einen Kofferraumdeckel gibt es nicht. Im Heck befindet sich auch der Kompressor und die Regelventile für den vorderen und hinteren Lufttank. Darunter liegt der Benzintank mit dem Füllmengengeber. Außerdem verstecken sich in diesem Hohlraum hinter der Rücksitzbank noch zwei Lautsprecher. Vor der Fahrt hebt sich der Koloss auf Befehl sanft 10 cm vom Boden. Die Bedienelemente für das Luftfahrwerk befinden sich hinter einer Klappe vorne links am Armaturenbrett. David hatte die irrwitzige Idee, den Mercedes Klassiker mit einem Buick Riviera aus 1970 und dessen Big Block Motor zu kreuzen. Dafür kaufte er einen Organspender Buick in Amerika und ließ ihn nach Deutschland bringen, um die Karosserie zu entfernen, denn er brauchte ja nur das Fahrgestell. Das Chassis mit Motor, Kühler, Getriebe und Achsen ist also original vom Riviera. Die Karosserie stammt vom Mercedes und wie bereits erwähnt, musste die Motorhaube mit dem Kühlergrill modifiziert werden, um den riesigen Motor beherbergen zu können. Der Abgastrakt verfügt über ein variables Klappensystem. Der Big Block klingt je nach Einstellung wahlweise von satt dezent blubbernd und Nachbarn schonend, bis zu einer epischen Mischung aus Donnergrollen und Erdbeben. Der Auspuff bläst entweder durch das ebenfalls an eine Bordwaffenmündung erinnernde Loch im Trittbrett oder direkt unter dem Motor ab.

Auf zu neuen Ufern

Lutz merkte sehr schnell, dass David an der Servolenkung den Zulauf mit dem Ablaufschlauch vertauscht hatte. Daher funktionierte die Servolenkung nicht. Dieses Problem behob der neue stolze Besitzer umgehend. Des weiteren wurde das defekte Lenkgetriebe erneuert und ein paar Lackarbeiten durchgeführt. Lutz stöbert schon wieder im Internet herum, auf der Suche nach der nächsten automobilen Leidenschaft. Dafür braucht er aber Platz in seiner Garage. So wird er sich wohl von einem seiner Babys trennen müssen.

Technische Daten Mercedes-Benz 170 V

Produktionszeit:       Dez. 1935-Oktober 1942

Länge:                      4,28m

Breite:                      1,57m

Höhe:                       1,61m

Stückzahl:                71973

Motor:                      V8 Big Block

Baujahr:                   1970

Leistung:                  340 PS

Hubraum:                 7455ccm

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