Abgeschnittenes Dach, softes Stoffverdeck und eine für immer veränderte Optik: Wer ein geschlossenes Coupé in ein Cabriolet verwandelt, sollte sich seiner Sache sicher sein. So wie Walter Hähnel, der sich zu seinem 50. Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk machte. „Ich hatte einmal einen solchen Umbau von Cabrio-Bähr auf der Straße gesehen und war sofort begeistert“, erinnert sich der Pensionär.
Als er durch Zufall in einer Oldtimer-Zeitschrift auf ein Verkaufsinserat stieß, wurde er neugierig: „Der Wagen stand in Heide, wo sein damaliger Besitzer – ein Kfz-Meister – den Umbau selbst vorgenommen hatte.“ Hähnel inspizierte den Wagen vor Ort und vergewisserte sich, dass der Umbau fachmännisch ausgeführt worden war. Der zu diesem Zeitpunkt noch hellbraun lackierte Benz wechselte zügig den Besitzer. Eine bevorstehende Scheidung zwang den Vorbesitzer verhandlungstechnisch in die Knie: Walters Glück – er konnte den offenen Mercedes für kleines Geld übernehmen. Knappe 8.000 D-Mark legte er damals für das Unikat auf den Tisch, dann gehörte der 230 CE „Open Edition“ ihm. Zwanzig Jahre ist das jetzt her. Zwanzig Jahre, in denen das Cabrio stets sorgsam behandelt wurde. Die originalen 193.000 km auf dem Tacho belegen das.
Walter tat gut daran, den W123 zu schonen. Gut erhaltene Bähr-Umbauten sind selten geworden. Und sie wachsen nicht mehr nach: Seit Anfang des Jahres hat der Betrieb in Hagen – wie uns Herbert Bähr, der Bruder des ehemaligen Geschäftsführers, am Telefon erzählt – die Produktion von Bausätzen sowie den werkstatteigenen Fahrzeug-Umbau vor Ort komplett eingestellt.
Open Air aus Hagen
Cabrio-Bähr bot Mercedes-Fahrern zwei Optionen, das ungewollte Dach loszuwerden. Entweder, der Kunde übergab seinen Wagen direkt an die Hagener Spezialisten und bekam die dachlose Neu-Version fertig montiert zurück. Alternativ bestand die Möglichkeit, einen Bausatz zu erwerben, der zusammen mit einer bebilderten Bauanleitung geliefert wurde. Eine gern genommene Lösung für umbaufreudige Cabrio-Fans, für die das westfälische Hagen weiter entfernt lag. „Die Bausätze waren sehr gefragt“, erinnert sich Herbert Bähr, dessen Bruder Gerhard Ende der 1980er Jahre mit den Cabrio-Umbauten begann. „Unser Verkaufsschlager waren die Umbaukits für den W111. Die verschickten wir viel nach Amerika, sie waren besonders in südamerikanischen Ländern sehr gefragt.“ Wie viele Bähr-Umbauten es weltweit (noch) gibt, kann der Sattler aus Hagen nicht eindeutig beantworten. Nicht zwingend wurde jeder Bausatz, der gekauft wurde, am Ende auch verbaut.
"Farblich inspiriert vom Elvis Cadillac"
Der dachlose 230er von Walter Hähnel steht zum Fototermin frisch poliert in auffälligem ‚Pastelltürkis’ hinter’m Deich. Für die extravagante Farbe fing Walter Mitte der 90er Jahre Feuer. „Ich hatte damals einen Elvis-Cadillac in Türkis gesehen,“ erinnert sich der heute 70-Jährige, „das gefiel mir so gut, dass ich beschloss, meinem Cabrio ebenfalls einen solchen Lack zu spendieren.“ Den passenden Ton entdeckte er in der Farbpalette von Opel. Die bunte Blechhaut ist in Kombination mit dem rund herum angebrachten Spoiler-Kit von Zenker und den goldenen Kreuzspeichen-Felgen ein echter Hingucker. „Entweder lieben die Leute den Look oder sie finden es ganz furchtbar“, erklärt Walter belustigt.
Unter der Motorhaube des W123 schnurrt bis heute eine serienmäßige 2,3 Liter Einspritzer-Maschine. Nicht mal die 200.000-Kilometer-Marke hat der Benz in seinem 35-jährigen Leben geknackt. Kein Wunder, da Walter sein Cabrio ausschließlich bei strahlendem Sonnenschein fährt. Das dünne Notdach hielt der Bähr-Umbau jahrelang im Fond versteckt. Für unseren Fototermin kam die Stoff-Bedachung nach ausgedehnter Pause erstmals wieder zum Einsatz. Die Zeit in der Versenkung ging an der dünnen Haut nicht spurlos vorüber. Beim Shooting stellten wir fest: Das Dach hatte durch die jahrelange Nicht-Nutzung an Elastizität verloren. Die Stoffbespannung ließ sich nicht mehr ohne weiteres an allen Befestigungspunkten arretieren. Lose auflegen ging natürlich. Trotzdem steht hier demnächst wohl eine kleine Wellness-Behandlung in puncto Geschmeidigkeit an.
Zeitgenössisches Interieur
Mit den ab Werk gelieferten Annehmlichkeiten im Innenraum war Walter weitestgehend zufrieden. Der schwarzen Lederausstattung sieht man ihr Alter zwar an, die charmante Patina lädt jedoch zum gemütlichen Cruisen ein. Handlungsbedarf sah der Mercedes-Fan lediglich beim Lenkrad: Seine Hände umfassen ein klassisches Drei-Speichen-Holzlenkrad von Nardi – Typ Torino. Während der Fahrt wandert der Blick von Zeit zu Zeit auf die am Armaturenbrett befestigte Blumenvase im Messing-Look. Sie ist älter als der Wagen selbst – ein Flohmarktfund.
Im Sinne der Nostalgie zog vor ein paar Jahren an die Stelle eines zwischenzeitlich genutzten modernen CD-Radios wieder ein klassisches Becker-Gerät mit freundlich klapperndem Kassetten-Einschub. „Der Klang ist wirklich schlecht,“ berichtet Walter lachend, „das Tonband leiert – ich muss da mal einen Fachmann ranlassen.“ Eilig hat es der Mann von der Elbmündung damit aber nicht. Er ist sich sicher: Mit jedem Jahr, das ihn der Mercedes begleitet, steigt dessen Wert. Wie schnell das passieren wird? Wir dürfen gespannt sein.
Text & Fotos: Eva Gieselberg
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