Daimler Kältemittelstreit: Verbrennen und verätzen nach EU-Richtlinien?

EU setzt Klimaschutz über Insassenschutz – Mercedes-Benz riskiert viel für mehr Sicherheit

Daimler Kältemittelstreit: Verbrennen und verätzen nach EU-Richtlinien?: EU setzt Klimaschutz über Insassenschutz – Mercedes-Benz riskiert viel für mehr Sicherheit
Erstellt am 19. Juli 2013

Der Streit um das Kältemittel eskaliert. Die EU hat Frankreich nun Recht gegeben, Mercedes-Modelle, die mit dem schwer entzündlichern und weniger gesundheitschädlichen Kältemittel befüllt sind, nicht zuzulassen. Das klingt bizarr, ist aber so.



Denn das neue Kühlmittel R1234yf hat erwiesenermaßen einen geringeren direkten Einfluss auf das Klima als das bislang verwandte R134a. Dennoch erachtet selbst Greenpeace das alte Kältemittel R134a als das kleinere Übel. Zynisch betrachtet könnte man festhalten, dass der zuständigen EU-Kommission eine lebensbedrohliche Verätzung nach EU-Regeln lieber ist als die Weiterverwendung des bisherigen Kältemittels.



Nun könnte man uns vielleicht Parteilichkeit unterstellen. Dem ist aber nicht so. Aus unserer Sicht geht es in dieser Angelegenheit um den gesunden Menschenverstand, den manche EU-Politer, die ja auch Regeln zur ordnungsgemäßen Krümmung von Gurken und Bananen erlassen haben, immer wieder einmal spektakulär vermissen lassen. Daimler riskiert in dieser Frage viel, aber es geht schließlich auch um den Eigenanspruch , das sicherste Auto der Welt zu bauen.



Mit dem neuen Kältmittel R1234yf sehen die Verantwortlichen das nicht gewährleistet. Und sie finden bei ihrem Kampf um mehr Sicherheit auch unerwartete Verbündete wie Greenpeace.

Daimler arbeitet wie andere Hersteller auch an Klimaanlagen die CO2 als Kältemittel verwenden und setzt auf eine Übergangsregelung.



Mercedes-Fans.de hat in diesem Streit die wichtigsten Fakten und Meinungen zusammengestellt.

Um was geht es?

Die EU will ein Kältemittel in Klimaanlagen durchsetzen, dass weniger klimabelastendend ist als das bisherige. Problematisch an dem neuen Kältemittel aber ist, dass dieses leicht entflammbar ist und beim Brennen Stoffe bildet, die für den Menschen hochgiftig sind und auch zum Tod durch Verätzen führen können. Mercedes beharrt auf das für den Menschen ungefährliche Kältemittel – Frankreich akzeptiert die EU-weit gültige Typzulassung vom Kraftfahrtbund nicht und verbietet die Zulassung. EU-Industriekommissar Antonio Tajani gibt Frankreich vorläufig Recht.

Was macht das neue Kältemittel R1234yf so gefährlich?

Beim Verbrennen besteht die Gefahr, dass sich z.B. durch den Kontakt mit dem heißen Motor Flusssäure bildet. Flusssäure ist ein ebenso hochgradiges wie heimtückisches Kontaktgift, das die oberen hautschichten sofort durchwandert und darunterliegende hautschichten, Muskel und Knochen angreift. Eine Verätzung von nur % genügt, um für den Menschen tödlich zu sein.



So wirkt Flusssäue: Video


Das berichten die Medien:

Online-Magazin Mercedes-Fans.de:
Safety First: Im Kältemittel-Streit kämpft Mercedes gegen Brandgefahr!

Einer gegen alle: Mercedes-Benz trotzt dem politischen Druck der EU, ein umweltfreundliches aber entzündliches Kältemittel einzusetzen.



Bei Mercedes-Benz genießt die Sicherheit der Fahrzeuginsassen von jeher oberste Priorität. Und es ist gut zu wissen, dass man in Stuttgart seine ehernen Prinzipien und Überzeugungen nicht so schnell über Bord wirft, wie das die EU-Kommission in Sachen Kältemittel wohl erwartet. Die EU hat das neue, umweltfreundlichere R1234yf als Ersatz für das alte Kältemittel Tetrafluorethan in Autoklimaanlagen beginnend mit Januar 2013 verpflichtend vorgeschrieben. Doch Daimler macht da nicht mit und verfüllt weiterhin das bewährte, nicht entzündliche Kältemittel R134a.

Spiegel.de Kältemittelstreit: Greenpeace hält zu Mercedes

Im Streit um ein verbotenes Kältemittel verhärten sich die Fronten zwischen dem Autohersteller Mercedes und der EU. Die Stuttgarter beharren darauf, weiterhin die Substanz R134a in einigen Modellen zu verwenden. Nun erhält der Konzern unerwartete Unterstützung.



Mercedes musste in den vergangenen Tagen eine Menge Prügel einstecken. Nachdem Frankreich gegen einige Modelle der Schwaben einen Zulassungsstopp verhängte, segnete die EU dieses Vorgehen ab. Brüssel drohte sogar mit einer Rückrufaktion.



Greenpeace ist für das kleinere Übel



Das von Mercedes abgelehnte Kühlmittel sei "vollkommen unkalkulierbar in seinen Umweltauswirkungen", sagte Greenpeace-Autoexperte Wolfgang Lohbeck. "Ich bin froh, dass Daimler den Mumm hatte, der Nachfolgeneration von FCKW-Mitteln einen Riegel vorzuschieben."



Das neue Kühlmittel R1234yf hat erwiesenermaßen zwar einen geringeren direkten Einfluss auf das Klima als das bislang verwandte R134a. Weil das neue Mittel jedoch jene anderen, unerforschten Risiken berge, ist Greenpeace dafür, vorerst das alte Mittel als kleineres Übel weiter zu erlauben. Parallel soll eine Alternative zu beiden entwickelt werden. R134a soll nach dem EU-Gesetz schrittweise verschwinden. "Die EU muss sich durchringen zu einer verlängerten Frist", sagte Lohbeck.

Berliner-Zeitung: Kühlmittel-Streit läuft heiß

Der Streit um Kühlmittel bei Mercedes-Marken geht weiter. Jetzt erhält Daimler Unterstützung durch Greenpeace. Beide kämpfen gegen die chemische Substanz für Autoklimaanlagen - allerdings aus unterschiedlichen Motiven.

Manager Magazin: Imagepflege auf Umwegen

Experten zollen dem Vorgehen der Stuttgarter Lob. "Es verdient Respekt, dass ein Konzern solche Entscheidungen nur aus der Erwägung heraus trifft, dass Kunden gefährdet sein könnten", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research der Universität Duisburg Essen. Daimler positioniere sich damit so, dass die Schwaben bei einer möglichen Sicherheitsgefahr sogar wirtschaftliche Konsequenzen in Kauf nehmen.

Tagesspiegel: Hitziger Streit um Daimlers Kältemittel

Die EU-Kommission hält Zulassungsverbote für Mercedes-Modelle mit dem alten Kältemittel für zulässig. Der deutsche Autokonzern bleibt bei seiner Position - das kann teuer werden.

Auto-Bild: Daimler bleibt hart

Daimler bleibt trotz neuen Widerstandes bei seiner Ablehnung des Kältemittels R1234yf. Zuvor hatten Experten aus den EU-Staaten Frankreich bestärkt, bestimmte Mercedes-Modelle nicht zuzulassen.

Bild.de: Droht Mercedes ein Zulassungsstopp in Europa?

EU-Industriekommissar Antonio Tajani hatte Frankreich bei dem Vorgehen Rückendeckung gegeben. Ihm zufolge dürfen die Autos nach vorläufigen Untersuchungen der Kommission in der EU „weder vermarktet noch zugelassen werden”.



Mercedes droht nun auch die Sperre in weiteren Ländern. Bei einem Ausschuss-Treffen auf EU-Ebene erklärten die Teilnehmer, es solle auf ein einheitliches Vorgehen hingearbeitet werden.

Dazu gehöre auch der Rückruf bereits verkaufter Fahrzeuge. In den kommenden Wochen seien weitere Gespräche mit Frankreich und Deutschland zu dem Fall geplant.

Frankfurter Rundschau: Bizarrer Streit um Kältemittel

Eigentlich wollte die EU erreichen, dass Autos umweltfreundlich gekühlt werden. Das Verbot eines Kältemittels hat aber nun für bizarre Entwicklungen gesorgt. Die Diskussion um das Kältemittel R1234yf ist bizarr, und führt zu kuriosen Allianzen. So solidarisiert sich Greenpeace mit Autobauer Daimler. Beide kämpfen gegen die chemische Substanz für Autoklimaanlagen – aus unterschiedlichen Motiven.

Süddeutsche: Retourkutsche der Franzosen?

Die Interessenlage dürfte dabei verworren sein. Eigentlich war die Autoindustrie auf dem Weg, Kohlendioxid als umweltfreundliches Kältemittel einzusetzen, doch dann präsentierten US-Chemiehersteller eine eigene Alternative, eben R1234yf. Manchen Herstellern dürfte das Produkt, mit dem die Chemieindustrie viel verdienen kann, gelegen gekommen sein, weil sie sich die Entwicklung neuer CO2-Klimaanlagen sparen konnten. Daimler lenkte im Jahr 2009 auf diesen Weg ein. Bis zu den Katastrophen-Tests eben.



Und dann ist da auch noch die vermutete Retourkutsche der Franzosen: Viele deutsche Politiker werten die französische Haltung auch als Antwort auf die jüngste Blockade Deutschlands bei der Verschärfung der CO2-Emissionen von Neuwagen ab 2020. Vor allem die deutschen Premiumhersteller mit ihren großen Karossen profitieren von lascheren Emissionsregeln.

Auto-Bild.de: Auch Ersthelfer sind in Gefahr

Peter Sefrin vom Bundesverband der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) ist das zu wenig: "Es reicht nicht, Insassen zu schützen. Auch Notärzte und Ersthelfer würden sich beim Kontakt mit Fluorwasserstoff schwerste Verletzungen zuziehen. Sie sind ja nicht wie Feuerwehrleute mit Atemmasken und Schutzkleidung ausgerüstet. Wenn jeder Autounfall zu einem potenziellen Chemieunfall wird, verlieren wir wertvolle Zeit für die Rettung von Verletzten."

Neue Entwicklungen werden hier nachgetragen!

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