Hintergrund: Konsequenzen der Euro-7-Abgasnorm

Der Teufel steckt im Detail

Hintergrund: Konsequenzen der Euro-7-Abgasnorm: Der Teufel steckt im Detail
Erstellt am 2. Dezember 2022

Lange wurde gerätselt, jetzt liegen die Karten der neuen EU-7-Abgasnorm auf dem Tisch. Manche wettern wegen des vermeintlichen Kniefalls vor der Automobilindustrie. Doch im Anhang verstecken sich knallharte Maßnahmen. Letztendlich droht die EU-7-Abgasnorm ein Eigentor zu werden.

Vor ein paar Tagen hat die EU-Kommission endlich den Schleier der Abgasnorm EU 7 gelüftet. Fast schon reflexartig brach bei manchen ein Sturm der Entrüstung los. Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnet die Vorschläge als „Kniefall vor der Autolobby“ und bemängelt, dass Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 7 ab 2025 drei Mal mehr Stickoxide ausstoßen dürfen als beispielsweise in Kalifornien. Spiegel Online stößt ins gleiche Horn und stellt fest, dass die EU-Kommission Milde gegenüber der Industrie walten lässt, damit Benziner bezahlbar bleiben.

Auf den ersten Blick wirken die Vorschläge der Brüsseler Kommission durchaus, als wären Sie nicht mit der letzten Konsequenz verfasst worden. Denn die Abgas-Grenzwerte bleiben grundsätzlich unangetastet. Allerdings gilt ab Juli 2025 generell der geringste Wert der EU-6-Abgasnorm – und zwar für Benziner und Diesel gleichermaßen. Beim Stickoxid (NOx) sind es 60 mg/km und beim Kohlenmonoxid (CO) sind es von 500 Milligramm pro Kilometer „Wir werden präzisere Abgastests haben, die den realen Fahrbedingungen entsprechen, wir werden Schadstoffe wie Ammoniak regulieren, um den Smog in den Städten zu reduzieren, und wir werden die Freisetzung von Mikroplastik aus Reifen begrenzen“, fasst Frans Timmermans, erster geschäftsführender Vizepräsident der EU-Kommission Maßnahmenkatalog zusammen.

Doch aus den Reihen der Autobauer regt sich massiver Widerstand. Die Stolperfallen der EU-Vorschläge sind nämlich im Kleingedruckten des Dokumentes versteckt. Um genau zu sein, im Annex mit der Ziffer 3. Unter dem Punkt „Driving Composition“, also der Zusammensetzung einer Testfahrt, um den Schadstoffausstoß zu ermitteln, steht lapidar „any“ (dt. jedwelche). Das bedeutet unter anderem keine Festlegung der Mindeststrecke, keine Aufteilung nach Autobahn, Überland und Stadt mehr. „Bei solch einem Test kann man Extremsituation an Extremsituation reihen. Zum Beispiel bei Minus zehn Grad, mit einem kalten Motor samt Anhänger und Dachbox einen steilen Bergpass hochfahren. Da werden Sie jeden Grenzwert reißen. Das schafft kein Auto der Welt“, verdeutlicht ein BMW-Experte.

Nach Ansicht des Münchner Autobauers bringen diese Schaufensterfahrten und die dazugehörigen Grenzwerte wenig bis nichts, um die Luftqualität zu verbessern. „Letztes Jahr haben wir einen konstruktiven Vorschlag für eine neue Euro-7-Norm gemacht, die eine erhebliche Verringerung der Schadstoffe und damit eine Verbesserung der Luftqualität mit sich bringen würde,” erklärt BMW-Chef Oliver Zipse. Ginge es nach den Münchnern, wären die Grenzwerte gegenüber der Euro-6-Norm um rund 50 Prozent gesunken. Die Auswirkungen der jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagenen Abgasnorm schlagen einen anderen Weg ein. Letztendlich stehen die Hersteller in der Pflicht, dass die Grenzwerte unter allen Bedingungen und zu jedem Zeitpunkt eingehalten werden. Notfalls muss dazu auch die Leistung reduziert werden.

Dazu kommt noch die geringe Planbarkeit. „Um den vorgegebenen Zeitrahmen einhalten zu können, benötigen wir jetzt klare Vorgaben. Wenn diese erst Mitte 2024 kommen, wird es fast unmöglich, das zu schaffen. Und vor allem teuer“, sagt Frank-Steffen Walliser, Leiter Gesamtfahrzeug-Architektur und -Eigenschaften bei Porsche. Die EU-Kommission hat die Mehrkosten auf 90 bis 150 Euro beziffert. „Da fehlt eine Null“, stellt der Fachmann des Münchner Autobauers nüchtern fest und ergänzt „Da sprechen wir nur von der Hardware, ohne Entwicklungskosten.“ Fakt ist, die Technik, die in ein Auto integriert werden muss, um den Bestimmungen gerecht zu werden, machen den Verbrennungsmotor und die Autos teuer, sodass sich Kleinwagen vermutlich nicht mehr lohnen.

VW prüft bereits, ob sich die Fortführung der Polo-Baureihe unter diesen Umständen überhaupt noch rechnet. Noch kritischer dürfte es bei Marken wie Dacia zugehen, deren Geschäftsmodell es ist, günstige Autos zu verkaufen. „Generell steht die Klasse der Kleinstwagen unter starkem Margendruck. Viele Hersteller haben ihr Angebot in diesem Segment bereits deutlich ausgedünnt oder Modelle mit einem Bestellstopp versehen. Auch wenn höhere Fahrzeugsicherheit und sauberere Antriebe gesamtgesellschaftlich Sinn machen, sind Verbraucher doch damit konfrontiert, dass sich der Einstieg in die automobile Welt spürbar verteuert“, erklärt Peter Fintl von der Unternehmensberatung Capgemini.

Kunden der Premiumhersteller wie BMW oder Porsche können sich den Aufpreis bei einem Neuwagen in der Regel leisten. Für finanziell schlechter gestellte Menschen würde ein Neuwagen oftmals unerschwinglich, falls die EU-7-Abgasnorm wie geplant in Kraft tritt. Die logische Konsequenz: Autos mit älterer Technik werden länger gefahren und so bleiben die Umweltmaßnahmen im Regal. Damit würden die EU-Regularien genau das Gegenteil erreichen, von dem erreichen, was beabsichtigt ist.

Doch geplante Abgasnorm beschränkt sich nicht nur auf Verbrennungsmotoren. Mit den EU-7-Bestimmungen werden Grenzwerte für die Partikelemissionen von Bremsen und Mikroplastikabrieb von Reifen festgezurrt, die auch Elektrofahrzeuge betreffen. „Dass es bei Bremsen in Zukunft Grenzwerte für den Partikelausstoß geben soll, unterstützen wir prinzipiell. Auch wenn der angepeilte Wert von sieben Milligramm pro Kilometer schon sehr ambitioniert ist und die aktuelle Messtechnik das kaum verlässlich messen kann“, erklärt der BMW-Mann. Das gilt auch für Elektrofahrzeuge, die immerhin durch das Rekuperieren einen guten Teil der Verzögerung quasi eingebaut haben.

Bei Reifen soll der Masseverlust nach 1.000 Kilometern gemessen werden, sprich der Abrieb. Auch wenn da der Wert noch nicht genau festgelegt ist, greift die EU-Kommission in ihrer Regulierungsbestrebungen in sicherheitsrelevante Bauteile des Automobils ein. Vor allem bei Nässe könnte sich der Bremsweg verlängern. Und das wäre sicher nicht im Sinne des Erfinders.

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