Mercedes & Diesel-Abgasskandal

Brisante Belege oder heiße Luft - bringt ein neues Gutachten den Stern in Bedrängnis?

Mercedes & Diesel-Abgasskandal: Brisante Belege oder heiße Luft - bringt ein neues Gutachten den Stern in Bedrängnis?
Erstellt am 5. November 2021

Ist die Daimler AG womöglich tiefer in den Diesel-Abgasskandal verstrickt als bislang bekannt? Ein neues Gutachten, das seit gestern in den Medien die Runde macht, kommt jedenfalls zu dem brisanten Ergebnis, dass in einer Mercedes-Benz E-Klasse mit Euro 6 Diesel acht bisher unbekannte Abschalteinrichtungen installiert seien, um über die tatsächlichen, viel höheren Emissionswerte hinwegzutäuschen. De facto nährt das Gutachten bei den Daimler-Gegnern und -Kritikern den Verdacht, er habe aller Beteuerungen zum Trotz, nicht unrechtmäßig gehandelt zu haben, illegale Abschaltvorrichtungen installiert.

Der Verfasser des brisanten Gutachtens, Motorsteuerungssoftware-Experte Felix Domke, ist kein Unbekannter und ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet. Unter anderem fungierte er als Sachverständiger beim parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum VW-Abgasskandal im Jahr 2017. Domke wurde von der US-Anwaltskanzlei Milberg mit einem Gutachten zur Frage beauftragt, ob Mercedes-Fahrzeuge ihr Abgasreinigungssystem im realen Fahrbetrieb absichtlich herabsetzen. Zu diesem Zweck wurden Messdaten an einem Mercedes E 350 BlueTEC 4MATIC T mit OM642-Motor erhoben und die Kalibrierungsdaten des eingebauten Motorsteuergeräts analysiert. Anschließend wurden die Messdaten des Motorsteuergeräts im realen Fahrbetrieb mit den Kalibrierungsdaten korreliert. In seinem Gutachten dokumentiert der Kfz-Software-Experte acht Abschalteinrichtungen, die bislang unbekannt gewesen seien. In der Summe sei die Wirkungsweise dieser Installationen so, dass die tatsächlichen Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb bis 500 Prozent über dem gesetzlich festgeschriebenen Grenzwert gelegen hätten. Übrigens: Das Kraftfahrt Bundesamt (KBA) hat der Darstellung, wonach es sich bei den im Gutachten erwähnten Abschaltvorrichtungen um bislang unbekannte Installationen handelt, zwischenzeitlich öffentlich widersprochen (Bericht dazu siehe z.B. HIER). Diese seien, so ist vom KBA zur Sache zu hören, weder neue Entdeckungen noch seien sie als illegal einzustufen.  

Die Daimler AG hat in der Vergangenheit stets Wert auf die Feststellung gelegt, dass in Mercedes-Benz Pkw keine illegale Abschalteinrichtungen verbaut worden seien. Das nun vorgelegte Gutachten wird offenbar nicht dazu führen, dass der Daimler sich genötigt sieht, diese Auffassung zu modifizieren oder zu relativieren. Die Stuttgarter sehen sich durch die vermeintlich neuen Belege des Gutachtens, welche beweisen würden, dass sie bewusst getäuscht hätten, jedenfalls nicht in Bedrängnis gebracht. In den Medien wird ein Daimler-Sprecher zitiert, der betont Gelassenheit verbreitet: So seien die im Domke-Gutachten „beschriebenen Parametrierungen" nicht neu. Wortwörtlich wird er wie folgt wiedergegeben: „Aus unserer Sicht sind diese im Zusammenspiel und Gesamtkontext des hochkomplexen Emissionskontrollsystems nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen zu bewerten.“

Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH), welche dem Daimler in dieser Sache seit Jahr und Tag misstraut, beweise das Domke-Gutachten allerdings eine bewusste Täuschungsabsicht des Daimler zu Lasten der Umwelt und der Gesundheit der Menschen: "Das Gutachten von Felix Domke überführt Daimler endgültig. Es zeigt uns erstmals, wie es dem Konzern gelingt, im Prüflabor die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, im realen Straßenbetrieb unsere Städte hingegen mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden regelrecht zu fluten. Die Manipulation der Abgasreinigung gibt es nicht etwa, weil dies aus physikalischen Gründen oder zum Zweck des Motorschutzes erforderlich wäre. Der Grund ist so simpel wie zynisch: Es geht um Profitmaximierung zu Lasten der Umwelt und der Gesundheit der Stadtbewohner", meint Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.


Ob das neue Gutachten Relevanz in den anhängigen oder noch kommenden Schadensersatzklagen gegen den Daimler bekommt? Für die Klagevertreter bedeutet das Gutachten jedenfalls neue und vor allem scharfe Munition. "Aus rechtlicher Sicht ist die Sachlage klar", kommentiert Glenn Phillips, geschäftsführender Gesellschafter der internationalen Anwaltskanzlei Milberg, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. "Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der Daimler-Konzern eine Vielzahl unzulässiger Abschalteinrichtungen installiert hat, die eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Betroffenen Verbrauchern steht jetzt offensichtlich Schadensersatz zu, schließlich ist ihnen ein mangelhaftes Fahrzeug verkauft worden, für das sie den vollen Kaufpreis bezahlt haben. Rechtlich kann man hier von Betrug sprechen - nicht nur gegen die Umwelt, sondern auch gegen die Kunden."

Droht breitere Front im Dieselskandal gegen Daimler? Update: Das Klageregister für die Musterfeststellungsklage gegen Daimler AG ist seit 03.11.eröffnet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat heute eine Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG vor dem OLG Stuttgart eingereicht

1 Kommentar

  • Pano

    Pano

    Das KBA sagt sinngemäß "Kennemerschon, alles sauber". Wer hat nun recht? Unabhängig davon werden wieder zwei Punkte deutlich: a) große Teile der Presse berichten über die DUH Studie, das Dementi des KBA wird nicht wahrgenommen. b) Man könnte den Eindruck bekommen, dass es bei der DUH was Persönliches ist... Grüße Pano

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