Technik: Autonome Lkws werden zum Fokus der Entwickler

Neue Prioritäten

Technik: Autonome Lkws werden zum Fokus der Entwickler: Neue Prioritäten
Erstellt am 10. August 2022

Von einem Neben-Schauplatz haben sich autonom fahrende Lkws zum Fokus der Entwicklung gemausert. Der Fahrermangel und die Kostenersparnis versprechen satte Gewinne. Doch ganz so einfach ist das Geld in der kostensensiblen Transportbranche nicht verdient. Ein harter Wettbewerb droht.

Die Reihenfolge hat sich über Jahrzehnte eingespielt. Erst bekommen die Pkws ein neues System, die Trucks sind viel später dran. Wenn überhaupt. Die Gründe sind vielfältig. Die Logistikbranche schaut ganz genau auf die Ausgaben und packt nur Elemente in die Lkws, die auch wirklich nötig sind. Zudem sind die Laufzeiten der Brummis um ein Vielfaches höher als die eines Automobils. Also dauert es länger, ehe eine neue Technologie den Weg auf die Straße findet. Zudem steigen mit dem Grad der verbauten Technik die Anfälligkeit und die Kosten. Ein No-Go für die Transportunternehmen. Doch jetzt verschieben sich die Prioritäten, die Lkws holen beim autonomen Fahren auf. Daimler Trucks will noch vor Ende der Dekade die ersten Level-4-Robo-Transporter auf die Straße bringen und arbeitet deswegen mit Torc Robotics und Waymo mit Hochdruck an den autonom agierenden Lkws, die von Depot zu Depot auf den Autobahnen pendeln sollen.

„Der autonome Lkw-Verkehr war lange Zeit ein Nebenschauplatz für autofokussierte Technologieunternehmen wie Waymo und Aurora. Inzwischen hat sich die Meinung durchgesetzt, dass selbstfahrende Trucks eine deutlich größere Chance im Vergleich zum Personentransport bietet. Es ist die Killeranwendung der autonomen Fahrtechnologie und der ultimative Wendepunkt für die gesamte Lkw-Branche“, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung Berylls, die sich mit den Robo-Trucks als disruptive Technology und den gewinnbringenden Geschäftsmodellen auseinandersetzt.

Der Wandel von der Nebenher-Technologie zur Entwicklungspriorität hat handfeste Gründe. Eine treibende Kraft hinter den Robo-Lkws ist der drohende Engpass an Fahrern. Alleine in den USA fehlen aktuell 80.000 Steuermänner, eine Zahl, die sich bis Ende des Jahrzehnts verdoppeln könnte. In Europa schaut es nicht viel anders aus. Auch suchen die Unternehmen händeringend nach „Königen der Landstraße“. Die Unterbesetzung hat fatalen Auswirkungen: Lieferketten werden durchtrennt, Güter bleiben aus und Supermarktregale leer. Der wirtschaftliche Schaden wäre immens. Klar ist auch, dass der Schienenverkehr diese Lücke nicht schließen kann und Kapazitäten offenbleiben.

Der Fahrermangel zieht einen ganzen Rattenschwanz von Konsequenzen nach sich. Um die Versorgungslücke zu schließen, müssen schnell neue Trucker her. Die sind aber nicht so erfahren wie die alten Hasen und daher ist die Chance größer, dass ihnen Missgeschicke unterlaufen. Etwa beim Rangieren. Neben dem Blechschaden reißt die Reparatur des Lkws ein tiefes Loch in das Budget. Jede Minute, die ein Transporter steht, kostet Geld, viel Geld. Also sind auch Zwischenschritte, die zum autonomen Fahren führen, hilfreich. Die vollzieht der Zulieferer ZF, der seine Level-4-Robo-Trucks etwa 2028 fertiggestellt haben will. Darunter die elektromechanische Lenkung, die hilft, den 40-Tonner auf der Spur zu halten, einen Notbremsassistenten sowie ein System, das den Fahrer beim Rangieren und Andocken an der Ladestation unterstützt, bevor die Technik diese Aufgabe in einem klar definierten Umfeld selbsttätig übernimmt.

Diese Entwicklungen hin zum autonomen Fahren kosten Geld und ergeben nur dann Sinn, wenn sich der Einsatz auch auszahlt – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Fahrer ist das teuerste Element in der Wertschöpfungskette. Die Berylls-Analysten gehen davon aus, dass der menschliche Faktor im Jahr 2025 bereits 40 Prozent der Betriebskosten eines Trucks ausmacht. Noch vor dem Treibstoff (30 Prozent). Laut dem American Truck Research Institute (ATRI) sind die Fahrer für 90 Prozent der Lkw-Unfälle verantwortlich und das hat die Versicherungskosten in der letzten Dekade um durchschnittlich 4,1 Prozent pro Jahr nach oben getrieben. Vom bereits erwähnten Verdienstausfall des Fahrzeugs ganz zu schweigen. Übernimmt der Robo-Pilot das Steuer, fährt der Lkw gleichmäßiger, verbraucht weniger Benzin, der Verschleiß wird geringer und die Versicherungskosten gehen ebenfalls zurück. Kostet die Meile laut Berylls-Berechnungen Mitte der Dekade 2,10 Dollar, käme ein autonomer Truck um 0,95 Cent günstiger.

Eine Kalkulation, die nicht nur bei den Logistikbetreibern strahlende Augen hervorruft, sondern auch bei den Truck-Herstellern, die mit den autonomen Vehikeln gute Geschäfte wittern. Allerdings werden sich einige Hersteller um den lohnenden Kuchen streiten und ein knallharter Wettbewerb droht. Zumal die Transportunternehmen auch beim autonomen Fahren jeden Cent zweimal umdrehen und sich für die günstigste Lösung entscheiden. Also müssen die Hersteller der Robo-Trucks genau darauf achten, welche Systeme vom Kunden gewünscht sind und welche nicht, um nicht unnötig Geld zu versenken für Technologien, die gar nicht gewünscht sind. Die Amerikaner sprechen dann gerne vom Over-Engineering. Also kann des Guten zuviel sich zu einem Boomerang entwickeln.

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