So mancher Mercedes-Fan reibt sich beim Anblick des zum Cabriolet umgebauten W201 verdutzt die Augen. Bespoilerung und SEC-Haube lassen überdies zunächst an die eigenwillige Schöpfung eines hobbyschraubenden Extrem-Individualisten glauben. Doch weit gefehlt! Denn tatsächlich handelt es sich bei dem ungewöhnlichen 190E um ein Modell aus der Kleinserie des Eutiner Karosseriebauers AKH Caro. Zwar war dem modifizierten Mercedes-Benz seinerzeit kein großer Erfolg beschieden. Dafür aber findet er auf Treffen und in den Foren heute um so mehr Beachtung.
Cabrio-Umbau auf W201 Basis
Üblicherweise stammen automobile Exoten eher aus den temperamentvollen Gefilden des südlichen Europas. Doch dieses Mercedes-Benz Cabriolet auf Basis des W201entstand im coolen deutschen Norden. Genauer gesagt bei der Firma AKH Caro in Eutin. Wenngleich man Holsteinern und Hanseaten den Hang zur Sachlichkeit nachsagt, zeugt dieser sehr speziell gestylte 190E hingegen durchaus von einer sympathischen Verrücktheit. Denn ein bisschen verstrahlt muss man schon sein, um eine Limousine zum Cabriolet zurechtzustutzen.
Mercedes-Benz 190 für Extrem-Individualisten
Karosseriebauer mit Exzentrik im Blut denken wohl auch weniger über den ökonomischen Sinn eines solchen Umbaus nach. Die machen das einfach! Auch wenn der Verkaufspreis aufgrund des Aufwands gigantisch in die Höhe schnellt und jeden Bezug zur wirtschaftlichen Vernunft verliert. Denn als Käufer kommen für einen solchen Cabrio-Umbau ebenfalls nur Individualisten in Frage, die bewusst nach einem Automobil abseits des Mainstreams suchen koste es, was es wolle...
95.000 Mark für einen W201
Allzu groß ist der Kreis potentieller Kunden also nicht, zumal der Preis den AKH Caro seinerzeit für den umgebauten W201 forderte, astronomische Höhen erreichte. Summa Summarum kostete der obdachlose Mercedes 1988 nämlich ca. 95.000 DM (ca. 47.000 Euro).
Der Umbau des Baby-Benz kostete 39.000 DM (ca. 20.000 Euro)
Die beachtliche Kalkulation berechnete sich wie folgt: Ein fabrikneuer Mercedes 190E schlug bereits mit knapp 36.000 DM zu Buche. Die Kosten für den Umbau veranschlagte AKH Caro mit knapp 39.000 DM. Für das elektrohydraulische Verdeck waren weitere 5.700 Märker zu zahlen. Des Weiteren stand noch ein Karosserie-Kit mit Stoßfängern, Schwellerleisten und W126 SEC-Haube mit etwa 5.400 DM auf der Preisliste des Eutiner Karosseriebauers. Andere Extras hinzugerechnet, betrug der Anschaffungspreis für den in Nachtgrün-Metallic lackierten 190E besagte 95.000 DM.
Teurer als ein Mercedes-Benz 300SL
Damit war das W201 Cabriolet sogar teurer als ein Mercedes-Benz 300SL, der zu jener Zeit mit etwa 71.000 Mark in den Prospekten stand. Im Übrigen bot BMW mit dem 325i Cabriolet ein in Leistung und Ausstattung durchaus vergleichbares Cabrio an, für das allerdings lediglich etwa 50.000 Euro aufzuwenden waren.
Der 190E schrumpft zum Viersitzer
Das AKH-Caro-Konzept könnte darauf spekuliert haben, dass eingefleischte Mercedes-Fans das BMW-Angebot verschmähen. Und dem Mercedes SL hatte die AKH-Variante zwar nicht das exklusivere Image, dafür aber dank Rückbank ein besseres Platzangebot voraus, wenngleich der Fond aufgrund der Verdecktechnik ein wenig an Geräumigkeit einbüsste.
Ohne Schweiß(en) kein Preis!
In der Fabrikationshalle von AKH Caro stutzen die Karosseriebauer die viertürige Limousine auf die Features eines Cabriolets zurecht. Demzufolge schnitten sie das Dach ab und verstärkten A-Säule sowie Chassis. Ferner schnitten sie die Original-Türen auseinander, um sie hernach in der nunmehr benötigten Breite wieder zusammenzuschweißen. Ebenso wurde mit den Seitenteilen verfahren.
Ein elektrohydraulisches Verdeck für den Mercedes
Als hübsches Käppchen haben die Norddeutschen ihrer Schöpfung ein elektrohydraulisches Verdeck mitgegeben. Selbiges überzeugt dank dickem Futter mit guter Dämmung und akzeptablen Windgeräuschen selbst bei flotter Fahrt. Außerdem lässt es sich bei Schrittgeschwindigkeit wie von Zauberhand ein- und ausfahren. Ein Gadget, das die damaligen Zeitgenossen durchaus beeindruckt haben dürfte. Die Friemelarbeit, die der Cabriolet-Pilot zur Ver- und Entriegelung des Verdecks an der A-Säule freilich auch zu leisten hatte, blieb der Öffentlichkeit indes verborgen.
Modifizierte Sitze gewähren Zutritt zum Fond
Der erforderliche Verdeckkasten machte eine Neukonstruktion des Scharniermechanismus der Heckdeckel erforderlich. Auch erweisen sich die Sitze modifiziert. Denn ohne den neuen Klappmechanismus bliebe den Passagieren der bequeme Zutritt zum Fond verwehrt. Außerdem war jedes Cabrio mit elektrischen Fensterhebern vo/hi sowie elektrischen Außenspiegeln ausgerüstet.
Die helle Freunde im Innenraum des 190E
Für wohlig-wohnlichen Komfort sorgt die gepflegte hellbeige Lederausstattung, die der Mercedes W201 bereits ab Werk erhielt. Farblich schön darauf abgestimmt präsentieren sich die Kunststoffabdeckungen und Teppiche genauso wie das von AKH Caro nachgerüstete Verdeck. Die freundlich-helle Farbe harmoniert außerordentlich gut mit dem kräftigen Nachtgrün-Metallic der Karosserie.
Die Haube eines Mercedes-Benz W126 SEC dient als Visitenkarte
Ein Karosserie-Kit aus Front- und Heckstoßfänger, Schwellerleisten sowie der markanten SEC-Haube sollen dem Cabriolet aus dem Hause AKH Caro zu stilistischer Eigenständigkeit verhelfen. Herausgekommen ist ein interessantes Facelift, das beim Publikum allerdings ein geteiltes Echo findet. Vor allem W126 SEC-Haube, die sich mit ihrem breiten Grill sogar vor die Scheinwerfer drängelt, empfinden etliche Betrachter mindestens als gewöhnungsbedürftig.
Originalität ist Trumpf beim exotischen Mercedes-Benz
Ein derartiges Optik-Tuning ist für manchen W201-Fan wahrscheinlich zu viel des Guten. Gleichwohl handelt es sich hier um ein Original-Fahrzeug, ergreift Eigner Ralf Weber das Wort. Der in der Mercedes-Szene bekannte Sammler hat ein besonderes Faible für zeittypische Außergewöhnlichkeiten. Heute stehen die Namen Brabus und AMG für anspruchsvolle Autoveredlung. Vor 30 Jahren aber haben ebenfalls etliche Zeitgenossen angesichts üppiger Kotflügelverbreiterungen und tiefgezogener Schürzen pikiert die Nase gerümpft.
Das AKH-Cabrio in der Tradition des klassischen Karosseriebaus
Ralf Weber sieht den W201 von AKH Caro in der Tradition des klassischen Karosseriebaus, wie er bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch hoch im Kurs stand. Individualität war vielen Automobilisten damals noch wichtig, so dass auch Kleinserien durchaus am Markt bestehen konnten. Mit den steigenden Produktionskosten ging der Kundenzuspruch allerdings dramatisch zurück. Die Karosseriebauer konzentrierten sich daher mehr und mehr auf die Fertigung von Spezialfahrzeugen oder sie wichen auf die Verwendung von kostengünstigen Kunststoff-Anbauteilen aus.
Instandsetzungsarbeiten erhalten den W201 für die Zukunft
Freilich lässt sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten, da Schönheit nun einmal im Auge des Betrachters liegt. Aber ganz unzweifelhaft ist der Mercedes-Benz in der Interpretation von AKH Caro ein authentisches Relikt aus den 80er Jahren. Bis auf notwendige Restaurationsarbeiten (z.B. mussten die Schweller geschweißt werden), befindet sich der Wagen in einem unverbastelten Originalzustand. Und Originalität ist mir in jedem Falle wichtig, wirft der Mercedes-Fan ein.
Der 190E von AKH Caro: Exot oder automobiler Außenseiter?
Dabei ist sich der Immobilienmakler durchaus bewusst, dass Exponate wie das W201 Cabriolet ziemliche Exoten sind. Im Grunde waren solche Fahrzeuge beinahe unverkäuflich. Ihnen haftete der Touch des Halbseidenen an, weshalb sie wenig geschätzt und in sechster oder siebter Hand lieblos heruntergeritten wurden, erzählt Ralf Weber. "Ein solches Auto zu kaufen ist ein bisschen so, als würde man eine Promenadenmischung, die sonst keiner will, aus dem Tierheim zu sich nach Hause holen.
Vermutlich nur vier AKH-Cabriolets noch existent
Tja, ein großer Verkaufserfolg war dem Mercedes 190E von AKH Caro in der Tat nicht beschieden. Im Verlauf seiner Recherchen konnte Ralf Weber von der heute noch existierenden Firma Caro in Erfahrung bringen, dass ursprünglich geplant war, den Wagen in größeren Stückzahlen für die Upper Class auf den kanarischen Inseln herzustellen. Nach Firmenunterlagen können aber schlussendlich nicht mehr als ein Dutzend Autos produziert worden sein. Tatsächlich belegt ist heute nurmehr die Existenz von vier Cabriolets.
Ein 2,3-Liter-Vierzylinder treibt den 190E an
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Fotostrecke | Open Flair: ein seltenes Mercedes 190 Cabrio: Aus fast unbekannter Kleinserie: Cabriolet von AKH Caro auf Basis Mercedes-Benz 190E 2.3 (W201)
Angetrieben wird der zurechtgestutzte Baby-Benz von dem 2.3-Liter Vierzylinder mit 136 PS. Damit ist das Cabriolet mehr als ausreichend motorisiert, urteilt der sechzigjährige Mercedes-Sammler, der sich freut, dass der Wagen nach seiner Instandsetzung nun auch wieder die TÜV-Plakette trägt. Es macht einen Riesenspaß, mit dem Cabrio übers Land zu cruisen. Und nicht minder große Freude habe ich an den erstaunten Reaktionen vieler Mercedes-Fans, die mit der ungewöhnlichen Optik des W201 zunächst nichts anzufangen wissen. Ralf Weber sorgt dann stets gern für Aufklärung. Auf dass ein zwar gewagtes, aber eben leider glückloses Cabriolet-Konzept nicht dem Vergessen anheim fällt!
Mercedes-Fans Technische Daten: Cabriolet-Umbau AKH Caro Fahrzeugbau auf Basis Mercedes-Benz 190E 2.3 (W201)
Baujahr: 1988
Motor: Vierzylinder mit 2276 ccm Hubraum, Leistung: 136 PS
Kraftübertragung: Fünfgangschaltung
Räder: 15-zöllige King-Felge
Reifen: Firestone, 205/55-15 vo/hi
Fahrwerk: Dämpferbeinachse mit Dreiecksquerlenker vorne, Raumlenker-Hinterachse
Bremsen: Bremsscheiben vo/hi
Karosserie: Cabrioumbau von AKH-Fahrzeugbau, Karosseriekit mit Frontstoßfänger, Heckstoßfänger, Seitenschwellern und SEC-Motorhaube, elektrohydraulisches Stoffverdeck.
Innenraum: Hellbeige Lederausstattung
4 Kommentare
SebastianNast
28. Februar 2011 11:25 (vor über 13 Jahren)
HanSchopp
26. Februar 2011 13:09 (vor über 13 Jahren)
ScionTJ
25. Februar 2011 15:14 (vor über 13 Jahren)
Amg-andy
25. Februar 2011 07:50 (vor über 13 Jahren)
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