Die deutschen Automobilzulieferer stehen am Scheideweg. Nur ein radikales Umdenken und Zusammenarbeit mit den Herstellern kann die Abwärtsspirale stoppen. Die Zeichen sind dennoch alarmierend, da ändert auch ein kurzes Aufhellen der Umsatz-Lage nichts. Ist doch alles nicht so schlimm! Zumindest könnte man das meinen, wenn den ersten Absatz der PricewaterhouseCoopers-Untersuchung „Automobilzulieferer-Studie 2022“ liest. „Die Top-Zulieferer konnten ihren Umsatz sogar stärker als die Automobilhersteller steigern und haben in puncto Profitabilität besser als erwartet abgeschlossen“, schreiben die Experten der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft. Na, dann ist doch alles in Butter. Das „Handelsblatt“ berichtet sogar von „übertriebenen Warnungen der Autozulieferer“.
Angesichts des positiven Trends des Geschäftsjahres 2021, bei dem Unternehmen wie Bosch, Schaeffler, ZF und Continental den Umsatz im Durchschnitt um 15 Prozent steigern konnten, scheint diese Einschätzung korrekt und die Alarmmeldungen der Zulieferer nur ein weiterer Ausdruck der berühmt-berüchtigten „German Angst“, der typisch deutschen Panikmache zu sein. Doch man sollte ich nicht von einer Momentaufnahme blenden lassen. Die echten Herausforderungen kommen erst noch. Und die haben es in sich. VW-Chef Thomas Schäfer malt kein rosiges Bild: „Man merkt, dass die Lage angespannt ist. Da spielt sich das Gleiche ab wie bei uns. Wichtig ist, wie die Zulieferer sich auf die Transformation vorbereitet haben. Die nächsten beiden Jahre werden spannend. Das Erschreckende ist, dass die kleineren Unternehmen oft besser vorbereitet sind.“
Der Top-Manager bringt es auf den Punkt. Die Krise der deutschen Automobilindustrie geht tief, ist struktureller Natur. Momentan sind die Auftragsbücher noch prall gefüllt und die Autobauer haben alle Hände voll zu tun, den aufgrund der Halbleiter- und Kabelbaumkrise entstandenen Produktionsstau abzuarbeiten. Doch der Sonnenschein währt nicht ewig. Das Ende des Verbrennungsmotors ist unausweichlich und schon jetzt sind Anzeichen einer wahren Flucht aus dieser klassischen Automobilbausparte zu erkennen. Pleiten wie die des Traditionsunternehmens Borgers, das seit 1866 existiert, kommen nicht von ungefähr und werden durchaus als bedrohliches Signal gesehen. Zumal der Zulieferer seine Maschinenbau-Sparte bereits abgestoßen hat und sich nach eigenen Angaben auf besonders leichte Verkleidungs- und Trägerteile, Dämpfungen und Isolationen spezialisiert hat. Leichtbau ist eine Kernkompetenz, wenn es um Elektromobilität geht.
Der Umstieg auf die Elektromobilität kostet immens viel Geld. Dass Arbeitsplätze wegbrechen werden, scheint unausweichlich. Insofern ist Herbert Diess‘ Ankündigung, dass die Transformation bei VW rund 30.000 Arbeitsplätze kosten wird, mehr als valide. Der Aufschrei der Arbeitnehmervertreter ist nachvollziehbar, ändert aber nichts an der Tatsache. In Zeiten steigenden Kostendrucks werden die Daumenschrauben noch ein ganzes Stück strammer angezogen als ohnehin schon. Den Autobauern ist das eigene Hemd natürlich deutlich näher als das Wohlergehen der Zulieferer. Der Ton wird rauer und selbst jahrelang gewachsene Kooperationen infrage gestellt. Zunehmend regiert der Rotstift. Zum Beispiel werden Entwicklungsaufgaben auf die Kooperationspartner abgewälzt und wenn die Bänder in Wolfsburg oder Stuttgart stillstehen, baden die Zulieferer oft die Suppe aus.
Was also tun? Für Wolf-Dieter Hoppe von der Unternehmensberatung Arthur D. Little führt Eigenbrötelei unweigerlich ins Verderben. Letztendlich sitzen Autobauer und Zulieferer in einem Boot. „Die deutschen Zulieferer müssen wieder zurückkehren zu einer konsequenten Ausrichtung an kontinuierlicher Steigerung der Produktivität, aber nicht gegen, sondern mit den Herstellern. Von der künftigen Beziehung zu den Herstellern wird ein großer Teil des Erfolgs abhängen. Diese werden sich darauf einstellen müssen, in den kommenden Jahren ein stärker kooperatives Zusammenarbeiten mit den Zulieferern auch kommerziell zu etablieren. Zulieferer müssen dies auch klar einfordern“, verdeutlicht der Analyst.
Bosch, Continental & Co müssen sich wieder auf das besinnen, was sie groß gemacht hat: Die Innovationsstärke. Allerdings wird das zunehmend schwierig, wenn Software und Batterietechnik bei den elektrisch angetriebenen Fahrzeugen zentrale Elemente sind. Wolf-Dieter Hoppe sieht die Gefahr, dass finanziell angeschlagene Zulieferer von ausländischen Konkurrenten übernommen werden. Für China und andere aufstrebende Industriestaaten ist das Know-how der deutschen Unternehmen nach wie vor interessant. Finanzielle Stabilität ist das A und O, um das Entern des Unternehmens abwehren zu können. „Angesichts der Nachfragerückgänge in Europa wird es jetzt immer wichtiger, den operativen Betrieb auf eine in Teilen geringere Auslastung bei steigenden Personalkosten und weiterhin hohen Material- und Energiekosten vorzubereiten. Entscheidend ist dies, um die Liquidität zu sichern“, sagt Wolf-Dieter Hoppe.
Die Ausgaben müssen runter, da führt kein Weg daran vorbei. Fakt ist, dass der Produktionsstandort Deutschland aus diesem Grund für die Zulieferer immer unattraktiver wird. Der Auszug aus dem ehemals gelobten Automobilland droht. „Viele Spieler planen verstärkt die Verlagerung von einzelnen Geschäftsbereichen und Produktionsstandorten, aber auch einzelner Funktionen ins Ausland – Stichwort Shared Services. Die Energiesituation wird sich kurzfristig nicht wesentlich strukturell verbessern. Und die in den kommenden Monaten zu erwartenden Personalkostensteigerungen sind erheblich. Gleichzeitig müssen die Zulieferer mit ihren Erträgen zumindest die wieder gestiegenen Kapitalkosten erwirtschaften, was in Deutschland zunehmend schwieriger wird“, verdeutlicht Hoppe. Dieses Szenario wäre fatal, denn dann würden weitere Arbeitsplätze wegfallen und der Industriestandort Deutschland einen starken Schlag hinnehmen müssen.
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