Hintergrund: Elektroautos der Politiker – oft nur fauler Zauber

Umwelt- statt Personenschutz

Hintergrund: Elektroautos der Politiker – oft nur fauler Zauber: Umwelt- statt Personenschutz
Erstellt am 17. Februar 2022

Immer mehr Toppolitiker werben damit, dass sie zwischen ihren zahlreichen Terminen nunmehr mit sauberen Elektroautos unterwegs ist. Doch die Wahrheit ist bisweilen eine andere – die schwer gepanzerten Limousinen fahren oftmals parallel mit. Doppeltes Vergnügen, doppelter Verbrauch.

Das Kabinett der neuen Bundesregierung war noch nicht lange im Amt, da vermeldete die Partei der Grünen, dass die frisch gekürte Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Dienstwagen auf einen elektrischen Mercedes EQS umgestiegen sei. Vor ein paar Tagen folgte ihr der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch er ist ab sofort mit einer elektrischen Luxuslimousine aus Sindelfingen unterwegs – dem ebenso eleganten wie luxuriösen Mercedes EQS 580 4matic. „Mein neues Dienstfahrzeug ist ein sehr gutes Beispiel für nachhaltige Mobilität, made in Baden-Württemberg‘. Als erste vollelektrische Limousine aus dem Hause Mercedes-Benz setzt es Maßstäbe bei Effizienz und Klimaschutz. Weiterhin geht auch die gesamte Landesverwaltung bei der emissionsarmen Mobilität voraus“, so Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

So weit, so gut; doch die ganze Wahrheit ist dann doch eine andere, denn der 522 PS starke Mercedes EQS ist nicht das einzige Fahrzeug, mit dem der Ministerpräsident im Alltag reist. Bereits zuvor war er mit dem Plug-in-Hybriden der mittlerweile ausgelaufenen Mercedes S-Klasse unterwegs. Ebenso wie der neue Mercedes EQS 580 4matic war der hybride Luxus-Daimler jedoch nicht gepanzert. Winfried Kretschmann muss als Ministerpräsident aufgrund seiner Gefährdungsstufe jedoch an sich eine schwer gepanzerte Limousine fahren beziehungsweise in dieser gefahren werden. Selbst ins Steuer darf er während seiner Dienstzeit genauso wenig wie Annalena Baerbock, Olaf Scholz oder andere Politiker aus der ersten Reihe. Für ihre Sicherheit sorgen speziell geschulte Personenschützer von Bund und Land, die auch die Fahrzeuge bewegen. Und da Politiker wie Baerbock oder Kretschmann aufgrund ihrer hohen Sicherheitseinstufung nicht ungepanzert fahren dürfen, ist bei den elektrischen Luxuslimousinen gleich immer eine gepanzerte Limousine im Parallelflug unterwegs, in die die Politiker umsteigen oder generell reisen. Kretschmann kam zu seinen Terminen in der Vergangenheit oftmals mit der hybriden Mercedes S-Klasse und hintenan fuhr ein schwer gepanzerter Audi A8 L. Schließlich muss der Landesvater dafür sorgen, dass die Konzerne im eigenen Bundesland gleichsam auf ihre Kosten kommen. Der Audi A8 wird – ungepanzert wie gepanzert – in Neckarsulm und somit ebenfalls im Ländle gefertigt.

Fahren die Politiker jedoch bei einem offiziellen Termin vor, wird das Fahrzeug oftmals ein paar hundert Meter vor dem Termin gewechselt - von der schweren Panzerlimousine in die Ökovariante, weil es einfach sauberer und somit besser aussieht. Die mittlerweile ausgeschiedene Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte während ihrer Amtszeit zumeist auf einen gepanzerten Audi A8 und blieb ihm bis dato treu. Vorgänger Gerhard Schröder reiste zumeist in einem ebenfalls schwer gepanzerten VW Phaeton. Der neu gewählte Bundeskanzler Olaf Scholz steigt auf die Hütchenspielertricks seiner Koalitionspartner nicht ein und bekennt sich ganz offen zu seinem neuen Dienstwagen – einem Mercedes S 680 Guard – eines der sichersten Fahrzeuge weltweit aus der Schutzstufe VR10. „Der S 680 Guard 4matic ist eines der am stärksten kundenorientierten Produkte von Mercedes-Benz. Denn dieses Sonderschutzmodell stellt den Menschen und seine Sicherheit in den Fokus“, sagt Dirk Fetzer, Leiter Produktmanagement S-Klasse, „keine andere Serienlimousine erfüllt ebenso vollumfänglich die höchste Schutzklasse für Zivilfahrzeuge. Und gleichzeitig sind Qualität und Langlebigkeit dank umfangreicher Entwicklungs- und Erprobungsumfänge auf Serienniveau.“ Im neuen S 680 Guard sitzen die Insassen in einer maximal geschützten Zelle, was jedoch nur Experten auffallen dürfte, denn von außen sieht der S 680erbeinahe aus wie eine ganz normale S-Klasse. Optische Unterschiede sind auf den zweiten Blick nur bei den zentimeterdicken Scheiben und den Reifen mit Pax-Notlaufsystem von Michelin zu erkennen.

Neben den unsichtbaren Panzerelementen ist der transparente Bereich der Scheiben ein wesentlicher Bestandteil des Schutzkonzepts. Material und Dicke des mehrlagigen Scheiben-Sandwichs entsprechen ebenfalls den Anforderungen der Klassifizierung VR10. Auf der Innenseite sind die Scheiben mit einem Polycarbonat-Splitterschutz beschichtet. Auf Wunsch gibt es im 390 Liter großen Laderaum einen vom Innenraum nutzbaren Kühlschrank. Neben der Panzerzelle gibt es faustdicke Glasscheiben und Fensterheber mit einer hydraulischen Notfunktion. Zu den weiteren Sonderausstattungen zählen unter anderem eine Feuerlöschanlage, ein Notfall-Frischluftsystem, das Insassen vor eindringendem Rauch oder Reizgasen schützt und mit Frischluft versorgt. Da die meisten Fahrzeuge in den Dienst von Behörden, Regierungen oder Könighäusern gehen, sind die Guard-Modelle mit Flashern, Signalanlage oder Funk ausgestattet. So viel Sicherheit hat ihren Preis, denn die Produktionszeit der schwer gepanzerten Mercedes S-Klasse liegt bei 51 Tagen.

Der Grund weshalb die Politiker sich nur allzu gerne in einem vermeintlichen Ökomobil zeigen, ist offensichtlich. Doch warum sind Elektro- und Plug-in-Modelle nicht oder nur selten zu Nachrüstfirmen gepanzert? Der Grund liegt nicht allein im besonders hohen Fahrzeuggewicht, sondern auch die Konstruktion eines Elektroautos schiebt den Panzerversionen einen Riegel vor. Achsen und Reifen des Mercedes S 680 Guard mit einem Leergewicht von 4,2-Tonnen-Modells stammen dabei von der Vorgängerversion. Die maximale Zuladung liegt bei 660 Kilogramm. Die Schutzklasse VR10 erfüllt die höchste ballistische Prüfstufe für Zivilfahrzeuge und ist nicht nur gegen entsprechende Sprengladungen gesichert, sondern auch gegen den Beschuss mit Sturmgewehren mit entsprechender Stahlhartkern-Munition. Ein Sprengschutz im Unterboden wäre nach unten durch das Batteriepaket kaum zu machen und auch sonst wären die zahlreichen Panzerungen der Schutzstufe VR10 kaum mit dem Elektroantrieb zu vereinbaren.

Bleibt die Dauerbelastbarkeit in einer Gefahrensituation. Hier wird der S 680 Guard von einem 450 kW / 612 PS / 830 Nm starken V12-Turbotriebwerk zu sportlichsten Höchstleistungen getrieben, um aus der Gefahrensituation zu spurten. Die Dauerlast in einer Gefahrenlage würde die Situation für Schutz- und die Begleitpersonen nennenswert erhöhen. Spricht man mit Personenschützern, so sehen diese die Ökotendenzen so mancher Politiker eher mit großer Zurückhaltung, weil durch den Umstieg vom einen auf das andere Fahrzeug Gefahrenherde entstehen, die man sonst vermeiden könnte.

Das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier, gerade erst für fünf weitere Jahre im Amt bestätigt, wechselt seine Fahrzeuge regelmäßig; ist zumeist jedoch in einer gepanzerten Mercedes S-Klasse unterwegs. Seine Vorgänger waren häufig mit gepanzerten Limousinen des Wettbewerbers BMW unterwegs. Doch aufgrund technischer Probleme gab es vom aktuellen Siebener BMW keine Werkspanzerversion. Das wird sich mit dem neuen Siebener, der im April seine Weltpremiere feiert und Ende des Jahres auf den Markt kommt, ändern. Dann hat auch BMW wieder eine gepanzerte Luxuslimousine im Angebot und auch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder dürfte dann nicht mehr in einem alten 7er-Panzer oder einem Audi A8 L unterwegs sein. Aktuell bietet BMW nur eine mittelschwer gepanzerte Version des BMW X5 Protection in der Schutzklasse VR6 an, der bevorzugt von Spezialkräften der Polizei und des BKA eingesetzt wird. Audi überarbeitete jüngst sein Topmodell A8 und bietet dieses auch weiterhin als Sonderschutzfahrzeug A8 L Security mit einem 571 PS starken V8-Doppelturbo an, der für mehr Effizienz zumindest mit einem 48-Volt-Bordnetz ausgestattet ist.

Von der Partei der Grünen, den Autoherstellern Audi und Mercedes sowie der baden-württembergischen Staatsregierung war auf Anfrage keine Stellungnahme zu bekommen.

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