Das hätte man nicht besser scripten können: Im allerletzten Rennen der Saison holten Nyck de Vries und das Mercedes-EQ Formel E Team sowohl den Fahrer- als auch den Team-Titel in der Formel E Weltmeisterschaft. Das Timing ist perfekt. In diesem Jahr hat die FIA erstmals die Formel E als WM tituliert. Zudem hat das Team den Doppel-Titel bereits im zweiten Jahr nach dem Einstieg in die Formel E geholt. Die vor dem Rennen herumgeisternden Gerüchte über einen zügigen Wiederausstieg nach 2022 dürften nun weiter an Fahrt gewinnen, nachdem man bereits beide Titel im Sack hat.
Chaotische Saison ohne Spannungsbogen
Vor dem Finale in Berlin, das als Doubleheader zwei Läufe auf dem Programm hatte, konnten noch mehr als ein Dutzend Fahrer Weltmeister werden. Diese unübliche Situation macht das Chaos deutlich, das in den einzelnen Rennen zumeist herrschte. Wegen Strommangels strauchelnde Führende, später disqualifizierte Rennsieger und jede Menge Strafen und Kollisionen machten diese Saison zu einer wahren Lotterie. Darüber waren weder die Beteiligten noch der Veranstalter glücklich. Dass man bei so vielen potenziellen WM-Kandidaten auch schwerlich einen guten Spannungsbogen spannen kann, machte die Vermarktung nicht einfacher.
Silberpfeile mit Titelchancen am Samstag ohne Glück
Das Mercedes-EQ Formel E Team reiste mit dem WM-Leader Nyck de Vries und an zweiter Stelle in der Teamwertung liegend mit berechtigten Titelhoffnungen nach Berlin. Am Samstag allerdings sah es nicht danach aus, als ob die Hauptstadt der Mannschaft um Teamchef Ian James viel Glück bringt. De Vries bekam im Qualifying keine saubere Runde auf den rauen Beton des Tempelhofer Flugfeldes und startete nur von Rang 19. Stoffel Vandoorne, ebenfalls noch mit theoretischen Titelchancen, kam sogar nur auf den 22. Startplatz. Nach dem Start machte de Vries 10 Plätze gut, bevor ihn ein Reifenschaden wieder ans Ende des Feldes zurückwarf. Vandoorne überquerte als 12. die Ziellinie und war damit all seine Titelchancen los. Da aber auch die anderen WM-Kandidaten nicht richtig punkten konnten, lag de Vries auch vor dem letzten Rennen am Sonntag noch knapp in Führung.
Sonntag: Chaos, Action und ein Doppel-Titel
Dieses Sonntagsrennen spiegelte einmal mehr die komplette Saison wider. Spektakulär, überraschend und voller Action bot es Motorsport vom Feinsten. Bereits am Start egalisierten sich zwei der härtesten WM-Kontrahenten gegenseitig. Jaguar-Pilot Mitch Evans blieb am Start wegen eines Defektes stehen. Venturi-Fahrer Edoardo Mortara - ebenfalls mit Mercedes-Technik im Heck unterwegs und mit guten Titelchancen - konnte dem Briten nicht mehr ausweichen und krachte mit hoher Geschwindigkeit in dessen Heck. De Vries, der direkt dahinter fuhr, konnte selbiges nur mit viel Glück und Können verhindern. Beide Piloten konnten selbst aussteigen. Das Rennen wurde unterbrochen und neu gestartet. Noch in der Startrunde erwischte es mit BMW-Fahrer Jake Dennis den nächste Titelaspiranten. Er verbremste sich, touchierte die Mauer und schied aus.
Vanoorne auf dem Podium, De Vries mit WM-Titel
De Vries, der von Rang 13 ins Rennen gestartet war, fuhr ein kluges Rennen und hielt sich aus allem heraus. Zwischenzeitlich konnte er sogar den Trainingsschnellsten und Teamkollegen Vandoorne überholen, verlor am Ende aber mehrere Plätze in harten Zweikämpfen, die ihn noch fast den Titel kosteten. Zuletzt brachte er den elektrischen Silberpfeil als Achter über die Linie und feierte seinen WM-Titel. Vandoorne fuhr mit einer starken Leistung auf das Podium und sicherte so dem Team den Titel in der Mannschaftswertung.
Vor dem Rennen machte die Meldung die Runde, dass bei Mercedes die Entscheidung gefallen sei, ob man nach 2022, wenn eine neue Generation von Formel-E-Autos eingeführt wird, weiter an der WM teilnehmen will. Obwohl die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, geht jeder davon aus, dass sich Mercedes zurückziehen wird. Mehr dazu hier.
Nyck de Vries: Gelingt der Aufstieg in die Formel 1?
Was dieser Titel für Nyck de Vries` Zukunft bedeutet, wird mit Spannung zu betrachten sein. Schließlich kam der Niederländer, der ganz nebenbei der erste Holländer mit einem Motorsport-WM-Titel ist, vor zwei Jahren als amtierender Champion der Formel 2 zu den Silberpfeilen. Der F2-Titel ist normalerweise ein gutes Sprungbrett in die Formel 1 und de Vries machte nie ein Hehl daraus, dass er über die Formel E in die Königsklasse kommen möchte. Nachdem er sogar diesen WM-Titel geholt hat, müsste der nächste Schritt nun zeitnah erfolgen. Dass er sofort in das Mercedes-Werksteam befördert wird, ist trotz der momentanen Schwäche von Valtteri Bottas sehr unwahrscheinlich. Denkbarer ist es eher, dass er George Russell im Williams ersetzt, der wiederum erwartungsgemäß den Sitz von Bottas im Silberpfeil erben wird. Bottas wäre damit eine Rückkehr zu Williams verwehrt, weshalb er aktuell sogar mit Red Bull in Verbindung gebracht wird. Die Zukunft von de Vries wird auf jeden Fall ein deutlicher Fingerzeig für alle Nachwuchs-Piloten sein, ob sich der Umweg über die Formel E in Richtung Formel 1 lohnt.
Nyck de Vries:
"Mir fehlen die Worte. Es war eine unheimlich harte Saison mit Höhen und Tiefen. Am Schluss kam es auf das letzte Rennen an und ich bin überglücklich, dass es für mich zum Titelgewinn gereicht hat. Jetzt kommen in mir die Emotionen hoch. Wir hatten heute auch das Glück auf unserer Seite, wenn man bedenkt, was im Rennen alles passiert ist und ich bin froh, dass alle nach dem Startunfall okay sind. Wir sind ein unglaubliches Rennen gefahren, hatten eine sehr gute Pace und ich freue mich sehr für das Team, das wir nicht nur die Fahrer-, sondern auch die Teamweltmeisterschaft gewonnen haben. Das Team hat in dieser Saison wahnsinnig hart gearbeitet und das ist der verdiente Lohn dafür. Gegen Ende des Rennens hatte ich das Gefühl, als ob ich eine Zielscheibe auf dem Rücken hätte. Ich wurde von allen Seiten angegriffen und als ich wusste, dass es für die Weltmeisterschaft reichen würde, habe ich es nach Hause gefahren. Was für ein Rennen."
Stoffel Vandoorne:
"Das war ein ereignisreiches Rennen. Nach dem Start hat mir ein wenig die Pace gefehlt und wir waren nicht so schnell, als es vor dem Attack Mode darauf ankam. Deshalb fand ich mich nach der Safety-Car-Phase in einer schwierigen Situation wieder. Ich musste gegen einige Fahrer kämpfen und bin froh, dass ich noch auf das Podium fahren konnte. Alles in allem ist es ein fantastischer Tag für das Team. Glückwunsch an Nyck zum Gewinn der Fahrer-Weltmeisterschaft und natürlich auch an die gesamte Mannschaft zum Gewinn der Teammeisterschaft. Es war eine großartige Saison, in der es für uns auf und ab ging, aber es ist klasse, sie mit so einem Erfolgserlebnis abzuschließen. Das hat sich jeder im Team mit seinen Leistungen verdient."
Ian James, Teamchef:
"Die mehr als 125-jährige Motorsport-Geschichte von Mercedes-Benz wurde heute nicht nur um den Fahrer-, sondern auch um den Team-Weltmeistertitel in der Formel E erweitert.
Für Nyck ist dies der Beleg für seine fahrerischen Leistungen in dieser Saison, für seine Herangehensweise, seine harte Arbeit und die Tatsache, was für ein echter Racer er ist. Er ist heute beharrlich und hartnäckig geblieben und das brachte uns in die Situation, in der wir uns jetzt gerne befinden.
Für das Team stellt dies eine Belohnung für die unzähligen Arbeitsstunden und den unermüdlichen Einsatz dar, den sie alle in die Entwicklung dieses Autos und aller anderen Bereiche des Teams gesteckt haben, was schlussendlich zu diesem Weltklasseniveau geführt hat. Ich bin stolz darauf, jede Einzelne und jeden Einzelnen von ihnen zu meinen Teamkollegen zu zählen und sie haben diesen Titel absolut verdient.
Gleichzeitig ziehe ich meinen Hut vor Norman Nato und Venturi Racing, die einen fantastischen Sieg erzielt haben. Es war phänomenal mit anzusehen, wie der Mercedes-EQ Silver Arrow 02 das erreicht hat, was wir schon immer wussten, wozu er in der Lage ist. Jetzt freue ich mich sehr darauf, unsere beiden Titel in der Saison 8 zu verteidigen."
Toto Wolff, Mercedes-Benz Motorsportchef:
"Was für ein Abschluss für diese Saison, in der es viele Höhen, Tiefen, Aufs und Abs gegeben hat - und das letzte Saisonrennen war dabei keine Ausnahme. Was wir heute gesehen haben, war ein Spiegelbild dessen, wie die Saison verlaufen ist - alles andere als unkompliziert, immer unerwartet, aber am Ende wurde harte Arbeit stets belohnt.
Mit dem heutigen ersten vollelektrischen Weltmeister-Titel für Mercedes-Benz hat das Team Geschichte geschrieben.
Herzlichen Glückwunsch an die gesamte Mannschaft, alle Frauen und Männer in Großbritannien und Deutschland, die das möglich gemacht haben. Diese Weltmeisterschaft ist ihr Erfolg."
Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Daimler AG und der Mercedes-Benz AG, verantwortlich für Konzernforschung, COO Mercedes-Benz Cars:
"Herzlichen Glückwunsch an das Mercedes-EQ Formel E Team und Nyck de Vries, das erste Team und den ersten Fahrer, die eine vollelektrische Weltmeisterschaft gewinnen konnten. Zudem war es der erste große Erfolg für Mercedes-Benz im Elektro-Rennsport und ein weiterer Eintrag in der bereits langen und erfolgreichen Motorsportgeschichte von Mercedes-Benz. Ich bin sehr stolz darauf, dass unser Team einmal mehr die Kompetenz von Mercedes-Benz bei elektrischen Antrieben demonstrieren konnte.
Das Team hat der Welt in den vergangenen beiden Saisons gezeigt, wofür Mercedes-Benz steht: Die Grenzen zu verschieben und den Weg in jedem Bereich der Mobilität zu bereiten."
Fotostrecke aus Berlin: 77 Bilder Fotostrecke | Formel E Weltmeisterschaft Finale in Berlin: Mercedes-EQ ist Doppel-Weltmeister!
2 Kommentare
Egide aus belgien
16. August 2021 20:37 (vor über 3 Jahren)
Pano
16. August 2021 14:22 (vor über 3 Jahren)
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