Die Formel E spaltet die Motorsport-Fans wie kaum eine zweite Meisterschaft. Mit der konsequenten Ausrichtung auf die E-Mobilität verschreckt sie die klassischen "Petrol-Heads", während sie unter den modernen urbanen Leuten genau damit den Zeitgeist zu treffen scheint. Und auch den der großen Autohersteller. Der bevorstehende Mercedes-Einstieg zur kommenden Saison war auch für Mercedes-Fans.de ein Anlass, sich beim Heimspiel in Berlin einmal hautnah mit dem Thema zu beschäftigen.
Raus aus der Komfort-Zone
Wenn man als Motorsport-Journalist und Fotograf das erste Mal live ein Formel-E-Rennen beruflich begleitet, lauern naturgemäß gewisse Vorbehalte im Unterbewusstsein. Zu dominant war die jahrelange Prägung im Umfeld der DTM, des GT-Langstreckensports oder der TCR-Serie. Motorsport muss laut sein, basta. Und die Formel E ist es nicht, soviel ist schon mal klar. Ganz unvoreingenommen an die Sache heranzugehen, gelingt mir als bekennendem Petrol-Head nicht. Aber wenn derart viele Top-Piloten und Hersteller sich in dieser Serie engagieren, muss man ihr wohl einmal eine Chance geben. Nachdem wir also seit letztem Jahr über jedes Rennen berichtet hatten, stand nun mein erster Live-Besuch als akkreditierter Pressevertreter an.
Hoch professionell trotz temporärer Struktur
Alleine die unfassbar umständliche FIA-Akkreditierungsprozedur macht schnell deutlich, dass man es ernst meint mit dieser Rennserie. Dieser Eindruck verstärkt sich beim Eintreffen an der Rennstrecke. Normalerweise findet die gesamte Veranstaltung an nur einem Tag statt. Deshalb muss das Event generalstabsmäßig organisiert sein. Darin ist die FIA bekanntermaßen ungeschlagen, weshalb man sich an der Rennstrecke bestens zurecht findet. Dass man den Zeitplan in Berlin wegen des am selben Wochenende stattfindenden Fußball-Pokal-Finales auf zwei Tage streckt, entspannt die Situation zudem.
Tempelhof bietet einzigartiges Flair
Das einzigartige Flair des ehemaligen Alliierten-Flughafens Tempelhof wird von der Formel E geschickt genutzt. So dienen beispielsweise die einstigen Checkin-Schalter heute als Fahrerplätze bei der Autogrammstunde, eine grandiose Idee! Und auch das überdachte Vorfeld wird als Ausstellungsmeile genutzt. Hier zeigt sich auch schnell die Konsequenz der Ausrichtung auf die Emobility. Sämtliche Aussteller - und es sind unzählige - haben etwas damit zu tun. Ob es nun E-Roller, Scootersharing auf E-Basis oder sämtliche teilnehmende Automarken mit ihren elektrischen Antrieben - alles ist elektrisch. Auch Mercedes-EQ ist mit einem Stand vertreten, auf dem neben den E-Smarts auch das nächstjährige Formel-E-Fahrzeug präsentiert wird.
Toller Sport, viel Action, null Sound
An der Strecke verfällt man schnell in die gewohnten Arbeitsabläufe. Das Mediacenter - wie alle anderen Bauwerke ein provisorisches Zelt - ist trotzdem hoch professionell ausgestattet und bietet gute Arbeitsbedingungen. Auch die Strecke, die wie fast alle Formel-E Kurse nur zum Rennen aufgebaut wird, bietet dank zahlreicher Foto-Fenster in den FIA-Sicherheitszäunen gute Foto-Gelegenheiten. Alles wie immer im Motosport eigentlich - bis auf den Sound. Irgendwie ist das Gejaule der E-Motoren ja trotzdem ganz spannend, aber laut ist es definitiv nicht. Und so wird man als Fotograf schon mal von heran jagenden Boliden überrascht, die man im Normalfall schon drei Kurven vorher gehört hätte. Auch die Michelin-Straßenreifen, die in den Kurven hilflos wimmern, machen die Geräuschkulisse irgendwie nicht angenehmer. Umso deutlicher sind die zahlreichen Kollisionen zu vernehmen. Geräusche, die sonst im Motorlärm untergehen, werden hier dominant. Wie krass zwei aufeinander prallende Carbon-Teile klingen können, kann man sich erst hier vor Ohren führen. Und Kollisionen gibt es ohne Ende, denn die Piloten geben es sich wieder ordentlich.
HWA Racelab als Mercedes-Vorbote
Für die Truppe von HWA Racelab, die in dieser Saison als Venturi-Kundenteam den kommenden Mercedes-Einstieg vorbereitet, lief der Rennsamstag anfangs voll nach Plan. Sowohl DTM-Champion Gary Paffet als auch Formel-1-"Rentner" Stoffel Vandoorne schaffen es ins finale Einzelzeitfahren, wo die Startplätze 2 (Vandoorne) und 4 (Paffett) heraus sprangen. Der Jubel in der HWA-Box war entsprechend groß, nachdem man sich zu Saisonbeginn durch ein langes Tal der Tränen kämpfen musste.
Gekämpft wurde auch während des Rennens. Der Start - wegen der fehlenden Geräuschkulisse auch ziemlich sonderbar anmutend - lief noch vergleichsweise zahm ab und beide HWA RACELAB Piloten konnten sich zunächst gut behaupten. Stoffel Vandoorne büßte zwar eine Position ein, konnte aber mit zahlreichen sehenswerten Manövern den dritten Platz verteidigen. Auch in der turbulenten Phase, als die Teams erstmals ihre Attack Modes einsetzten, blieb der Belgier auf Podiumskurs. In der zweiten Rennhälfte konnte Stoffel dann aber dem Druck von zwei Verfolgern nicht mehr standhalten. Nach 37 Runden über die 2,375 km lange Strecke kam er auf dem fünften Rang ins Ziel.
Racing als Show für die ganze Familie
Der vom vierten Platz gestartete Gary Paffett hatte gleich zu Beginn Pech: Der Brite berührte bei einem engen Positionskampf die Mauer der Streckenbegrenzung. In der Folge konnte er mit seinem beschädigten Fahrzeug die Pace der Spitze nicht mehr mitgehen und verlor mit zunehmender Dauer an Positionen. Zur Rennmitte rutschte der DTM-Champion aus den Top-Ten und verlor bis ins Ziel weitere Plätze. So konnten beide Piloten an der Podiums-Zeremonie nicht teilnehmen. Diese war auch ganz auf den Event-Charakter zugeschnitten. Die drei Erstplatzierten parkten vor einer Bühne und durften über einen langen Laufsteg wie Popstars durch die jubelnde Menge bis zum Podest schreiten. Eine tolle Show. Und genau hier liegt auch der Hauptunterschied zum „klassischen“ Motorsport. Die Formel E möchte gar nicht in Konkurrenz dazu treten, sondern spricht mit ihrem Event-Format und der Konzentration auf Stadtkurse in den Innenstädten der Metropolen dieser Welt ganz neue Zielgruppen an, die sonst wahrscheinlich nie in die Nähe von Rennstrecken wie Hockenheim oder Nürburgring kommen würden. Und ganz ehrlich: Für Familien mit Kindern, die in der Stadt leben, ist solch ein Formel-E-Event eine ganz tolle Sache, auch und vor allem wegen des fehlenden Rennlärmes. Kompakt, sauber, leise und politisch überaus korrekt.
Mit dem EQC auf dem Racetrack!
Auf Mercedes-Fans wartete an diesem Tag aber noch eine tolle Gelegenheit. Der Roadtrip, den Mercedes-EQ mit dem brandneuen E-Mobil EQC von Oslo aus absolvierte, endete genau hier im Rahmen des Formel-E-Rennens. Und wir hatten die exklusive Möglichkeit, mit dem Elektro-SUV - dem ersten Modell der neuen Marke EQ - ein paar schnelle Runden auf der Formel-E-Rennstrecke zu drehen. dabei liegt darin gar nicht die Kernkompetenz des ersten konsequenten Elektrofahrzeuges von Mercedes-Benz, sondern vielmehr im Komfort und der Effizienz. Dass solch ein Mercedes aber auch sportliche Atribute beherrschen muss und kann, durften wir im Wortsinne erfahren.
Power ohne Ende, dazu überraschend handlich
Schon beim entern des Fahrersitzes wird schnell klar, dass der Fokus des EQC im überragenden Komfort liegt. Die Sitze, das Ambiente, die Platzverhältnisse - einfach fürstlich und sehr gediegen. Ob das Ding auch sportlich kann, sollten wir schnell herausfinden. Alle Regler auf "Sport" und ab auf die verwinkelte Strecke. Schon in den ersten Kurvenstellte sich heraus, dass man das immense Gewicht des EQC kaum spürt. Der Grund ist der durch die im Boden befindlichen Batterie-Packs extrem niedrige Schwerpunkt, der den Aufbau kaum wanken lässt und extrem schnelle Kurvengeschwindigkeiten möglich macht. Wahnsinn, wie spontan der schwere Brocken einlenkt und wie präzise er sich durch enge Kurven zirkeln lässt. Und beim rausbeschleunigen treten einem wegen des sofort anliegenden, extrem hohen Drehmomentes der zwei ZF-Motoren sofort die Freudentränen in die Augen. So lässt sich der EQC fast wie ein Sportwagen um den Kurs scheuchen. Einzig die in jeder Kurve um Gnade winselnden Reifen erinnern daran, dass sich die Physik auch von Mercedes nicht aus den Angeln heben lässt.
Mercedes in Elektro macht Lust auf mehr
Anders als bei einigen Mitbewerbern kann man diese Leistungen im EQC dauerhaft abrufen. In den fast 30 Minuten auf der Rennstrecke zeigte der schwere SUV keinerlei Ermüdungs- oder Überhitzungserscheinungen, sondern rief seine Leistung in jeder Runde zuverlässig ab. Genau so, wie man es von Mercedes erwartet. Auch die hoch belastete Bremse zeigte keinerlei Schwäche. Dass die Restreichweite im Widescreen-Display bei dieser Fahrweise in beängstigendem Maße schrumpfte, liegt in der Natur der Sache. Jedenfalls macht dieses Erlebnis auf der Rennstrecke deutlich Lust auf die kommende Mercedes-EQ Familie und die E-Mobilität insgesamt. Und auch die Formel E hat sich durchaus in unser Herz gefahren.
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