Hintergrund zum Verbleib von Mercedes und Lewis Hamilton in der Formel 1

Was ist dran an der "Schocknachricht" vom Rücktritt Hamiltons und was bedeutet das für Wolff und Mercedes?

Hintergrund zum Verbleib von Mercedes und Lewis Hamilton in der Formel 1: Was ist dran an der "Schocknachricht" vom Rücktritt Hamiltons und was bedeutet das für Wolff und Mercedes?
Erstellt am 5. November 2020

Seit Wochen kocht das Thema langsam, aber sicher vor sich hin. Bleibt Mercedes längerfristig als Werksteam in der Formel 1? Bleibt Toto Wolff Teamchef? Und vor allem: Bleibt Sieg-Garant Lewis Hamilton beim Team? Definitive Antworten haben auch wir nicht, aber im Gegensatz zu vielen anderen Medien beleuchten wir einmal nüchtern, was wir wissen und was nicht.

Hamilton mit Rücktritts-"Drohung"

Am Sonntag schockte Lewis Hamilton nach seinem Sieg in Imola mit der eher beiläufigen Aussage, dass er noch gar nicht wisse, ob er nächstes Jahr Formel 1 fahren würde und stellte somit ein baldiges Karriereende in Aussicht. Zumindest wurde es von der für solche Geschichten dankbaren Fach- und Boulevard-Presse so dargestellt. Ganz falsch ist das nicht, aber wenn man sich die Umstände genauer anschaut, bietet sich ein etwas anderes Bild. Der britische Dauersieger hatte lediglich auf die Frage nach der Zukunft von Mercedes-Teamchef Toto Wolff mit der Feststellung gekontert: „Ich weiß nicht einmal, ob ich noch dabei bin im nächsten Jahr, also mache ich mir darüber gerade keine Gedanken.“ Das ist nur logisch, denn nach wie vor hat Hamilton keinen Vertrag für 2021, was natürlich zu Spekulationen anreizt. Solche Aussagen gießen da nur zusätzliches Öl ins Feuer. Ob Hamilton dies gezielt macht oder diese Aussage nur gedankenlos in den Raum warf, weiß man natürlich nicht. Aber man darf davon ausgehen, dass der Brite mittlerweile erfahren genug ist, um auch diese Pokerspielchen perfekt zu beherrschen. Denkbar ist, dass er damit nur seine Verhandlungsposition mit Mercedes stärken möchte. Der derzeit diskutierte Budgetdeckel ab 2022, bei dem nun auch entgegen der ersten Version die Fahrergehälter mit eingerechnet werden sollen, muss dem Rekordverdiener natürlich ein Dorn im Auge sein. Die Lösung aus seiner Sicht wäre, noch davor einen möglichst langfristigen, hoch dotierten Vertrag auszuhandeln, da bestehende Verträge von dieser Regelung ausgenommen sein werden. Da kann ein wenig medialer Druck sicher nicht schaden.

Die Jagd nach dem Rekord

Ein tatsächliches Karriereende nach dieser Saison ist dagegen absolut unwahrscheinlich. Schließlich war es seit langem das erklärte Ziel von Lewis, den Rekord von Michael Schumacher mit sieben WM-Titeln nicht nur zu egalisieren, sondern zu brechen. Und die Voraussetzungen könnten nicht besser sein, denn in der nächsten Saison ist die Technik weitgehend eingefroren und damit ist Mercedes automatisch wieder ein absoluter Titel-Favorit, zumal mit Valtteri Bottas weiterhin sein ungefährlicher "Flügelmann" an seiner Seite ist. Hamilton wird diese Chance auf den achten Titel garantiert nicht leichtfertig sausen lassen.

Politiker? Musiker? Teamchef? Umwelt-Aktivist?

Danach allerdings stehen einige Fragezeichen auf einer Fortführung seiner Karriere. Erstens ist zu erwarten, dass die komplett neuen Technik-Regeln das Klassement zumindest am Anfang deutlich durcheinander würfeln werden, was dem sieggewohnten Engländer womöglich nicht behagen dürfte. Zudem äußerte Hamilton in der Vergangenheit immer öfter reges Interesse an anderen Dingen wie beispielsweise der Musik. Auch engagierte sich Lewis vor allem in dieser Saison sehr stark im politischen Bereich. Zudem gründete er sein eigenes Extreme-E-Team und lässt sich gern als Umwelt-Aktivist abbilden. An Interesse und Möglichkeiten nach einer F1-Karriere mangelt es dem bald 36-Jährigen also nicht.

Geheimnisvoller Toto Wolff als Schlüsselfigur

Noch ein wichtiger Faktor: Lewis Hamilton hat sein Verbleiben stets an das Schicksal seines Teamchefs Toto Wolff geknüpft, der ebenfalls noch nicht final bestätigt hat, welche Rolle er ab dem nächsten Jahr spielen wird. Ohne seinen Mentor Wolff könnte Lewis keine Lust mehr haben, zumal er seine Team-Netzwerk neu knüpfen müsste. Wolff meinte dazu letzte Woche: „Wir gehören in einer Weise zusammen, dass wir eine Symbiose haben und natürlich ist es wichtig, wo sich unser Herz und Mindset für das nächste Jahr befinden. Aber ich habe schon gesagt, dass dies mein Team ist, ich ein sehr stolzer Miteigentümer bin und nirgends hingehen werde“, betonte der 48-Jährige. Er - und auch Hamilton sowie Mercedes - sei noch nicht fertig mit der Formel 1. In welcher Rolle er weiterhin dem Team verbunden sein möchte, lässt er aber weiterhin offen. Dass er aber bereits über mögliche Nachfolger nachdenkt, wie er in Imola erklärte, zeigt, dass hier noch lange nichts entschieden ist.

Der Daimler mauert

Das hängt auch mit der nach wie vor fehlenden offiziellen Bestätigung des Daimler-Konzerns zusammen, weiterhin als Werksteam aufzutreten. Bislang ist nur der Verbleib bis einschließlich 2021 sowie das Engagement als Motorenlieferant darüber hinaus gesichert. Zwar unterzeichnete das Team auch das neue Concorde-Abkommen, das die Teams zu einer Teilnahme bis 2025 verpflichtet. Allerdings gibt es eine Ausstiegsklausel, die Mercedes nutzen könnte. In letzter Zeit häuften sich aber die Anzeichen, dass man als Werksteam bestehen bleiben möchte. Zuerst äußerte sich Konzern-Kommunikator Jörg Howe gegenüber der Deutschen Presse-Agentur wie folgt: "Wir haben nicht vor, uns aus der Formel 1 zurückzuziehen.“ "Es gibt keinen Beschluss und keinen Grund, aus der Formel 1 auszusteigen."

Ola Källenius ziemlich eindeutig pro Formel 1

Daimler-CEO Ola Källenius stieß zuletzt in einem Interview mit dem Manager-Magazin ins selbe Horn. „Wir haben unser Engagement in der Formel 1 gründlich unter die Lupe genommen. Wir sehen, wie das Interesse an der Königsklasse steigt – in Asien, Europa, Südamerika, überall. Die Zahl gerade junger Fans explodiert förmlich, vor allem über die sozialen Netzwerke und dank e-Sports. Sollten wir das alles wegwerfen? Da wären wir doch verrückt.“ Zudem kam im Rahmen einer Telefonkonferenz diese Aussage: „Es gibt derzeit so wenig Anlass für Mercedes-Benz, aus der Formel 1 auszusteigen, wie für den FC Bayern München, aus der Bundesliga auszusteigen. Die Formel 1 genießt vor allem in den ganzen sozialen Netzwerken eine enorme Resonanz und bietet für uns damit einen wachsenden Wert.“

Mercedes-Team wie FC Bayern München

Allerdings nannte Källenius strikte Sparziele. „Wir wollen die finanziellen Belastungen durch die Formel 1 bis Ende 2023 halbieren und haben damit deutlich ehrgeizigere Ziele als für den gesamten Konzern.“ Das ist gemäß Källenius und Teamchef Toto Wolff ein machbares Ziel aufgrund des kommenden Budgetdeckels in der Formel 1 und weiterer Sparmaßnahmen des Autosport-Weltverbands FIA. „Unser Finanzchef Harald Wilhelm freut sich darüber, dass wir die Kosten halbieren werden und neue Werbepartner erhalten. Das Team wird sich verändern von einer Kostenstelle zu einer wertvollen Firma, fast wie Bayern München“, sagte Källenius im Manager-Magazin. „Wir werden die Hybridtechnik vorantreiben, und wir könnten auf synthetische Kraftstoffe umstellen. Die Formel 1 wird CO2-neutral. Und das sind alles notwendige Änderungen, denn sonst würden Autorennen zu altertümlichen Veranstaltungen.“

Der Eiertanz um die offiziellen Bekanntgaben

Warum man sich dennoch derart lange Zeit lässt, den doch scheinbar feststehenden Verbleib offiziell zu zementieren, könnte Marketinggründe haben. Schließlich generiert man so ein ständiges Medien-Interesse. Andererseits steht aber auch die Möglichkeit im Raum, dass man zunächst abwartet, wie sich die Situation um Lewis Hamilton und Toto Wolff entwickelt - die ihrerseits auf eine Entscheidung des Konzerns warten könnten. Dass man sich in Corona-Zeiten und angesichts des engen F1-Kalenders, wo die Teammitglieder zwischen den Rennen wie Einsiedler leben müssen, kaum persönlich treffen kann, macht die Sache nicht einfacher. Das neue Technik-Reglement dürfte den Ingenieuren allerdings keine großen Kopfzerbrechen machen, denn die Fabrik in Bradley arbeitet mittlerweile nach eigenem Bekunden auf Flugzeugbau-Niveau und sollte das neue Regelwerk bestenfalls als willkommene Herausforderung betrachten. Wobei es hierbei natürlich viel zu verlieren und kaum etwas zu gewinnen gibt.

Was wird passieren?

Unsere Erwartung: Hamilton wird natürlich bis 2021 weiter machen. Sollte er jedoch nur einen 1-Jahres-Vertrag bekommen, ist ein Karriereende im Anschluss nicht ausgeschlossen, falls es seinen achten Titel tatsächlich eingefahren hat. Mercedes wird den Verbleib als Werksteam bald bestätigen, dabei aber offenlassen, wie lange man noch dabei sein wird. Bei Toto Wolff steht alles noch in den sprichwörtlichen Sternen. Denkbar wäre, dass er 2021 noch als Teamchef weitermacht, dabei aber bereits seinen Nachfolger bestmöglich in Position bringt und anschließend in eine etwas ruhigere Rolle wechselt. Schließlich ist Wolff auch Familienvater und dürfte angesichts der diesjährigen Umstände seine Familie mittlerweile heftigst vermissen. 

 

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