Die Formel-1-Saison 2021 ist genauso zu Ende gegangen, wie sie das ganze Jahr ablief: spektakulär, kontrovers, hoch dramatisch – und hoch spannend! Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton hat es nicht geschafft, seinen achten WM-Titel einzufahren, obwohl es bis kurz vor Schluss ganz danach aussah. Red Bull Pilot Max Verstappen schnappte dem Briten den Titel noch weg. Wie es allerdings dazu kam, darüber wird zu reden sein. Und das tun wir hier in unseren ausführlichen Rückblick.
Punktgleich zum Saisonfinale – eine ideale Voraussetzung für ein spannendes letztes Rennen. Lewis Hamilton hatte trotzdem einen kleinen Nachteil gegenüber seinem direkten Titelkonkurrenten Max Verstappen, denn dieser brachte einen Saisonsieg mehr mit zum Finale und lag damit trotzdem in Führung. Ein beidseitiger Ausfall hätte damit Verstappen automatisch zum Champion gemacht. Eine Tatsache, die man später im Rennen noch deutlich spüren sollte.
Red-Bull-Trick beschert Verstappen die Pole Position
Zunächst ging es aber im Qualifying um den besten Startplatz, der schon mal eine gute Voraussetzung für ein erfolgreiches Rennen bedeuten würde. Hier zeigte zum ersten (aber nicht zum letzten) Mal an diesem Wochenende, wie virtuos Red Bull das Thema Teamarbeit ausspielen kann. Verstappens Teamkollege Sergio Perez opferte seine erste Qualirunde und zog den Niederländer mittels perfekt getimten Windschattens zur Pole Position. Zudem konnte er trotzdem noch den vierten Rang belegen und stand so direkt hinter Hamilton, der Zweiter wurde. Und Bottas? Enttäuschender Achter. Auch das Thema Windschatten stand bei Mercedes nie zur Debatte. Hinterher fragte man sich im Team, ob man sowas in Zukunft nicht auch mal probieren sollte… Der schlechte Startplatz von Bottas sollte sich im Rennen übrigens auch noch bitter rächen. Dazu ganz am Ende mehr.
Hamilton mit Glanzleistung zu Rennbeginn
Beim Start zeigte zunächst einmal Lewis Hamilton, warum er sich bereits sieben Mal die WM-Krone aufgesetzt hat. Trotz der härteren Reifen und der schlechteren Straßenseite beschleunigte er seinen Widersacher locker aus und setzte sich in der ersten Kurve in Führung. Dieser Mann hat wirklich Nerven aus Stahl. Aber bereits nach der ersten langen Geraden schlug der Niederländer zurück und startete eine der gefürchteten Verstappen-Aktionen. Mit einem extrem späten Bremspunkt konnte er sich neben Hamilton setzen, schob diesen aber in gewohnter Manier von der Strecke. Lewis musste mit dem Wissen, dass ein gemeinsamer Ausfall nur dem Niederländer nützt, die Lenkung öffnen und einmal quer durch die Auslaufzone der Schikane brettern. Damit hatte er geistesgegenwärtig nicht nur einen Crash vermieden, sondern durch den kürzeren Weg auch die Führung behalten. Die Rennleistung entschied sich trotz wütender Proteste von Seiten Red Bulls nicht für eine Bestrafung Hamiltons wegen Abkürzens, da Verstappen ihm keine andere Wahl gelassen hatte. Mit den besseren Reifen und in Führung liegend sah es nun nach einem sicheren Sieg für Hamilton aus.
Red Bull nutzt Perez als Bremse
Das blieb auch nach den ersten Boxenstopps so. Verstappen, der wegen seiner weichen Reifen früh stoppen musste, blieb etwas im Verkehr hängen und verlor weiter Zeit auf Hamilton. Nun kam aber wieder der Faktor Teamwork ins Spiel. Red Bull hatte Perez auf seinen alten Reifen draußen gelassen Dieser wartete nun in Führung liegend auf den anstürmenden Hamilton in der klaren Absicht, diesen aufzuhalten, damit Verstappen aufschließen kann. Und diese Aufgabe meisterte der Mexikaner mit Bravour. Er lieferte sich mit Hamilton einen atemberaubenden Zweikampf um die Rennführung, blieb dabei aber stets absolut fair. Hamilton merkte man deutlich an, wie vorsichtig er trotz seiner deutlich besseren Reifen zu Werke ging, während Perez alles riskierte und sich mehrfach die Führung wieder zurückholte. Zwar musste der Mexikaner den Noch-Champion am Ende doch ziehen lassen, aber seine Aufgabe, Verstappen heranzuholen, hatte er meisterlich erfüllt. Mehr als acht Sekunden konnte der Niederländer gutmachen und steckte nun wieder im Heck von Hamilton. Dieser hatte jedoch klar das schnellere Auto und konnte sich wieder absetzen.
Virtuelles Safety Car mit Vorteil Verstappen
Erneut sah es nach einem klaren Sieg für den Mercedes-Piloten aus. Erst als ein Alfa Romeo auf der Strecke strandete, wurde es wieder spannend. Das dadurch ausgerufene Virtuelle Safety Car (VCR) zwang alle Piloten zu langsamer Fahrt. Verstappen nutzte die Chance für einen Reifenwechsel mit wenig Zeitverlust. Bei Mercedes zögerte man zu lange und verpasste die Chance, da man Angst hatte, hinter Verstappen zurückzufallen. Nach dem Ende des VSC lag Verstappen 18 Sekunden zurück, machte aber 20 Runden vor Schluss sehr viel Boden gut auf Hamilton. Aber schon bald wurde klar, dass auch dieser Strategiepoker wohl nicht aufgehen würde, denn Hamilton konnte vorn auf den nunmehr ziemlich alten Reifen noch gute Zeiten fahren.
Safety-Car-Phase bringt Verstappen neue Reifen und direkten Kontakt zu Hamilton
Fünf Runden vor Schluss hatten wohl schon alle – inklusive des Red Bull Kommandostandes – sich mit einem Weltmeister Hamilton arrangiert. Viele Journalisten – auch der Autor dieser Zeilen – hatten bereits ihre Artikel und Headlines entsprechend vorbereitet, um beim Rennende möglichst schnell online gehen zu können. Aber ein Rennen endet erst mit der Zielflagge. Zuvor crashte allerdings noch Nicholas Latifi im Williams Mercedes in die Bande und löste dadurch ein echtes Safety Car aus, um den Boliden bergen zu können. Das war der Super-GAU für den Führenden Hamilton, da Verstappen nun aufschließen konnte. Schlimmer noch: Der Niederländer holte sich noch schnell neue Reifen! Mercedes versäumte es wieder, Hamilton ebenso zu bedienen. Natürlich wäre man dadurch ins Risiko gegangen, die Position zu verlieren, da Verstappen in diesem Fall sicher draußen geblieben wäre. Als Führender muss man eben die Deckung fallen lassen und als Erster agieren. Der Verfolger kann dann entsprechend reagieren und hat dadurch immer die besten Karten. Zudem war Hamilton beim ausrufen des Safety Cars gerade an der Boxeneinfahrt vorbei. Wäre man bei Mercedes mutiger gewesen, hätte man auf das (eigentlich unausweichliche) Safety Car spekuliert und Hamilton trotzdem an die Box geholt. Hat man aber nicht.
Chaos um den Restart
Und so kam es zu der Situation, dass Hamilton auf sehr alten Reifen draußen blieb und Verstappen hinter ihm brandneue Pneus zur Verfügung hatte. Be einem Restart wäre der Niederländer so haushoch überlegen gewesen. Zwei Hoffnungen blieben Mercedes allerdings noch. Zunächst stellte sich die Frage, ob die Marshalls es überhaupt schaffen würden, die Strecke rechtzeitig frei zu bekommen. Schnell wurde klar, dass dies kein Problem werden würde. Nun lagen noch fünf überrundete Fahrzeuge zwischen Hamilton und Verstappen. Unter normalen Bedingungen hätten diese sich vor den Restart zurückrunden dürfen, um nicht im Weg zu stehen. Wegen der wenigen verbliebenden Runden entschied sich Rennleiter Michael Masi zunächst dazu, dies zu untersagen, weil es zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Ein klarer Vorteil für Mercedes, weil sich so Verstappen erst an den fünf Nachzüglern vorbei kämpfen hätte müssen. Weil nur noch eine freie Runde zur Verfügung stand, hätte er Hamilton wohl nicht mehr angreifen können.
Plötzlich entschied sich der umstrittene Rennleiter jedoch um und ließ die fünf Fahrzeuge doch zurückrunden. Laut Reglement hätte er danach das Rennen erst nach der folgenden Runde freigeben dürfen, wodurch das Rennen hinter den Safety Car geendet hätte, mit dem Ergebnis: Hamilton Weltmeister. Aber wieder entschied der Rennleiter anders und gab das Rennen noch für eine letzte Runde frei, obwohl auch hinter Verstappen noch Überrundete lagen, die sich nicht zurückrunden durften.
Hamilton lässt Verstappen ziehen
Es kam, wie es kommen musste. Verstappen machte kurzen Prozess mit Hamilton und überholte ihn spielend bereits in Kurve fünf. Danach versuchte der Noch-Weltmeister zwar auf den langen Gerade zu kontern, aber Verstappen ließ in eiskalt abblitzen und siegte. Natürlich hatte Hamilton die klar schlechteren Reifen. Trotzdem muss man sich fragen, warum er beim Überholvorgang nicht stärker dagegengehalten hat. Perez hatte ihm ja vorher gezeigt, wie stark man trotz alten Reifen kämpfen kann. Hamilton war wohl immer noch im Modus „Crashvermeidung“, was zwar das ganze Rennen über äußerst sinnvoll, in der letzten Runden beim direkten Kampf um den Titel aber hinderlich war. Hier wäre eine härtere Gangart des Briten sicher nötig gewesen. Da Verstappen ja schon fast vorbei war, wäre der Titel ja sowieso weg gewesen. Er hatte also in dieser speziellen Situation nicht mehr zu verlieren.
Nachspiel unter Juristen - Bleibt Verstappen Champion?
Das ganze Spiel war aber noch nicht vorbei. Verstappen ließ sich zwar als Champion feiern und Hamilton hatte die Größe, ihm im Moment seiner (nach der Schlappe gegen Rosberg) sicher größten Niederlage fair und ehrlich zu gratulieren, aber im Mercedes-Team kochten die Emotionen hoch. Vor allem Toto Wolff wollte sich mit den Geschehnissen vor dem Restart nicht abfinden und zettelte einen Protest gegen die Rennleitung und die Wertung an. Dass man „zufällig“ einen Star-Anwalt dabeihatte, half dabei sicher. Nun bleibt es dem Fan überlassen zu beurteilen, ob das eine berechtigtes Vorgehen wegen Benachteiligung oder einfach nur „Schlechtes Verlieren“ war. Fakt ist, dass die Proteste von den Stewards abgeschmettert wurden. Verstappen ist nun Weltmeister. Ob das Mercedes-Team in Berufung geht und vor das Sportgericht zieht (und damit eine WM-Entscheidung womöglich und mehrere Wochen verzögert), ist noch nicht bekannt. Seit der Zieldurchfahrt gab es keinerlei Statement des Teams mit Ausnahme von Hamiltons Interview auf dem Podium. Alle Medienrunden wurden abgesagt. Und auch auf die offizielle Pressemitteilung des Teams, die sonst pünktlich wie ein Uhrwerk zwei Stunden nach Rennende auf unseren Redaktionsschreibtisch flattert, warten wir immer noch.
Konstrukteurs-WM trotz Bottas Schwächephase
Dass Mercedes sich zum achten Mal in Folge den Konstukteurs-Titel sicherte, ging bei dem ganzen Trubel leider völlig unter. Wir gratulieren trotzdem! Hier hatte natürlich auch Valtteri Bottas einen großen Anteil. Trotzdem muss man seine Rolle bei dem Ganzen vor allem in der Endphase der Saison klar hinterfragen. Einst als „Bester Wingman“ gefeiert konnte der scheidende Finne seinen Teamkollegen überhaupt nicht mehr unterstützen, während Perez für Verstappen eine wertvolle Hilfe war. Viel zu weit weg war Bottas in den Rennen und blieb auch in den Zweikämpfen blass. Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn man den Jung-Star Russell nicht erst zur nächsten Saison, sondern wie von vielen gefordert schon dieses Jahr in den zweiten Silberpfeil gesetzt hätte. Aber „hätte“ und „wäre“ zählen nunmal nicht…
Wer noch genauer wissen will, was hinter den Protesten steckt, welche Folgen dies noch haben kann und in welcher Zwickmühle Toto Wolff nun steckt, dem lege ich die lesenswerte Kolumne meines Kollegen Stefan Ehlen ans Herz.
1 Kommentar
Pano
13. Dezember 2021 11:11 (vor über 2 Jahren)
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