Erst vier Rennen der Formel-1-Saison 2022 sind vorbei und bereits jetzt scheint klar, dass das Mercedes-AMG Petronas F1 Team in diesem Jahr kein Wort um den Titel mitreden wird. Auch wenn der Punkterückstand angesichts der noch 19 ausstehenden Läufe rechnerisch natürlich noch aufzuholen ist, scheinen die Silberpfeile technisch nicht in der Lage, mit ihren Gegnern mithalten zu können. Aber warum? Und welche Chancen gibt es auf Besserung? Unsere Analyse:
Nomen est Omen
Wenn ein siebenmaliger Weltmeister Lewis Hamilton, der in den letzten Jahren als einer der besten Fahrer aller Zeiten gefeiert wurde, ein ganzes Rennen nicht an einem Pierre Gasly vorbeikommt und nur 13. wird, schrillen im Mercedes-Universum natürlich alle Alarmglocken. Teamkollege George Russell kam immerhin auf dem vierten Platz ins Ziel, war aber trotzdem meilenweit von der Spitze entfernt. Fakt ist, dass der W13 einfach nicht die Performance für die Spitze hat. Abergläubische werden sagen: „Kein Wunder, bei dem Namen!“. Wir aber wollen einmal aufdröseln, was dem Silberpfeil fehlt und ob die Fangemeinde auf Besserung hoffen darf.
Zu gut gemeint?
Tatsächlich ist es so, dass Mercedes entgegen der landläufigen Meinung sogar ein besonders gutes Auto gebaut hat, und dass fällt den Ingenieuren jetzt auf die Füße. So widersprüchlich das auch klingt. Mercedes hat die neuen Regeln am extremsten interpretiert und ein Auto gebaut, dass praktisch keine Seitenkästen mehr hat. Dazu kommt eine extrem konsequente Ausrichtung der Aerodynamik auf den Ground Effect des Unterbodens. Damit die aber funktioniert, muss das Auto so tief wie möglich gefahren werden. In den Simulationen lief das alles perfekt. Im wahren Leben aber nicht. Woran liegts?
Alter Effekt, neues Problem
Hier kommt ein Effekt ins Spiel, den man schon seit Urzeiten – also seit der letzten Ära der Ground Effect Cars – kannte, aber wohl unterschätzt hat. Das sogenannte „Bouncing“ – auf deutsch „hoppeln“ – sucht die Silberpfeile in besonders starker Form heim. Hierbei wird das Fahrzeug durch den Unterdruck auf den langen Geraden bis auf den Asphalt angesaugt. In dem Moment, wo der Unterboden aufsetzt, reißt die Strömung ab und der Anpressdruck geht schlagartig verloren. Das Auto hüpft hoch und sofort saugt der Ground Effect wieder. Das Ganze wiederholt sich in schneller Folge, was auf den TV-Bildern gut zu erkennen war.
Leider gibt es kurzfristig nur einen Weg, das zu verhindern oder zumindest zu verbessern. Mit einer höheren Fahrlage verhindert man das Aufsetzen und damit verringert sich das Bouncing. Allerdings funktioniert nun der Ground Effect auch lange nicht mehr so gut. Den so verlorenen Abtrieb muss man durch steilere Flügel wieder hereinholen, was wiederum Top-Speed kostet. Und genau das ist das große Problem des W13.
Teamarbeit auf Hochtouren
Die große Frage ist nun, ob das Team dieses Problem in den Griff bekommt. Und wenn man die Mannschaft von Toto Wolff aus der Vergangenheit kennt, weiß man, dass es eigentlich nur eine Frage der Zeit ist. Kein anderes Team wird derart generalstabsmäßig geführt und ist personell wie finanziell derart gut ausgestattet. Im Hintergrund wird seit Wochen hart an entsprechenden Updates gearbeitet, die allerdings nicht so schnell umsetzbar sind. Daher konnte man in den ersten vier Rennen auch nur Schadensbegrenzung betreiben. Aber schon in Miami soll es ein erstes Update geben. Allerdings darf man nicht vergessen, dass man als Konstrukteursweltmeister in dieser Saison reglementbedingt deutlich weniger Windkanalzeit zugestanden bekommt. Außerdem musste das Mercedes-AMG Petronas F1 Team in den vergangenen Jahren jede Menge promineter Abgänge in der Technikabteilung verkraften. Toto Wolff relativiert dies und spricht von einer normalen Flukturation und davon, dass ja die jungen Leute aus der zweiten Reihe stets aufrücken würden. Ob diese aber unter den schwierigen Bedingungen nun schnelle Lösungen finden, ist zumindest fraglich.
Prognose: Entweder richtig Top oder totaler Flopp
Unser Prognose: Wenn es Mercedes schafft, das Bouncing in den Griff zu bekommen, könnte der W13 schlagartig zu einem Siegerauto werden, da dann sein extremes Konzept voll aufgeht. Das Hopsen belastet die Fahrer auch körperlich sehr stark, wie George Russell zuletzt in Imola klagte. Wenn das wegfällt, sind auch die Piloten in der Lage, ans absolute Limit zu gehen.
Falls man es aber in den nächsten 3-4 Rennen nicht schafft, dieses Problem zu lösen, muss man die Saison quasi abschreiben und das Auto weiter mit konservativen Mittel ruhigstellen, was natürlich Rundenzeit kostet. Wichtig ist, dass man sich entscheidet, ob man dieses extreme Konzept weiterverfolgen kann, da jetzt bereits die Entwicklung des nächstjährigen Autos beginnt. Und da möchte man natürlich nicht wieder in eine Sackgasse laufen.
Russell ist Kummer gewöhnt, Hamilton nicht
Dass George Russell scheinbar viel besser mit dem problematischen Fahrverhalten klarkommt, hat einen einfachen Grund: Der ehemalige Williams-Pilot ist es gewöhnt, aus schlechten Autos das Beste herauszuholen und seinen Fahrstiel stets an die Bedürfnisse des Autos anzupassen. Dies musste Lewis Hamilton seit 10 Jahren nicht mehr tun, denn den perfekten Silberpfeil konnte er stets auf seine Bedürfnisse anpassen und nicht anders herum.
Fazit: Alles ist möglich. Entweder bekommt Mercedes schnell die Kurve und kann das extreme Konzept für den Rest der Saison und die Zukunft voll ausreizen. Dann sind auch Siege und Titel wieder absolut in Reichweite. Falls man es nicht schafft, sieht es nicht nur für den Rest der Saison düster aus, sondern eventuell auch für die kommende. Es bleibt also spannend!
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