Mercedes-AMG Customer Racing hat über die Jahre einen Kader von erstklassigen Werksfahrern aufgebaut. Besonders herausgestochen ist seit 2017 der für die Schweiz startende Italiener Raffaele Marciello, dem AMG viele der bedeutendsten Siege verdankt. Der in weiten Teilen der GT3-Welt als bester Fahrer angesehene Pilot kehrt AMG allerdings nach sieben erfolgreichen Jahren den Rücken, genau wie Daniel Juncadella, der ebenfalls einer der großen Stars im Aufgebot war. Wie geht es weiter mit dem Werkskader und wer kann in die Lücke stoßen?
Der Leuchtturm sucht sich neue Herausforderungen
Er war - nicht nur aufgrund seiner Körpergröße - der Leuchtturm im AMG-Fahrerkader: Raffaele Marciello. Seit 2017 steht der baumlange Italo-Schweizer im Kader und hat seitdem praktisch im Alleingang für fast alle großen Siege von AMG gesorgt. Ob bei den 24h von Spa, beim 24h-Rennen auf dem Nürburgring, beim FIA GT World Cup oder Top-Serien wie GT World Challenge oder ADAC GT Masters, stets war "Lello" an den größten Siegen und Titeln beteiligt. In Zukunft muss AMG diese großen Siege aber ohne Marciello einfahren, denn dieser verabschiedete sich jüngst. Und zwar nicht wie erst vermutet in Richtung Lamborghini, wo ihn nicht nur seine Landsleute, sondern auch ein Engagement in den superschnellen Le-Mans-Prototypen locken könnten. Nein, es kommt schlimmer, denn Marciello dockt wohl bei den Erzrivalen von BMW an. Auch hier gibt es ein Le-Mans-Projekt und es ist kaum vorstellbar, dass Marciello da nicht berücksichtigt wird. Schließlich wirkte der ehemalige Ferrari-Formel-1-Testfahrer im GT3 manchmal sogar etwas unterfordert und er machte nie einen Hehl daraus, wieder schnellere Rennwagen pilotieren zu wollen. Da ihm Mercedes da auch auf lange Sicht nichts zu bieten hat, folgte jetzt der aus Marciellos Sicht logische Schritt. Ein aus fahrerischer Sicht allerdings großer Verlust für Affalterbach!
Ähnlich sieht es bei Daniel Juncadella aus. Dieser ist seit vielen Jahren ein fester Bestandteil des Performance-Kaders von AMG. Nach durchwachsenen Leistungen in den letzten Jahren unter anderem in der DTM wurde es in dieser Saison sehr ruhig um den Spanier. Nun wurde bekannt, dass er zu Corvette abwandert, um dort deren neues Le-Mans-Projekt auf GT3-Basis voranzutreiben.
Hat AMG noch genug Top-Piloten?
Zwei absolute Leistungsträger weg, wer kann da die Lücke füllen? Natürlich verfügt AMG immer noch über einige absolute Weltklassepiloten. Allen voran Maro Engel, der als Markenbotschafter einen ganz festen Platz im Kader hat und Marciello in Sachen Speed kaum nachsteht. Gleiches gilt für Luca Stolz, der von AMG zu einem absoluten Top-Piloten herangezogen wurde und sehr loyal ist. Von der Persönlichkeit und vom Speed gehört auch Maximilian Götz in diese Kategorie. Allerdings hat man in letzter Zeit das Gefühl, dass der 2021er DTM-Champ nicht mehr erste Wahl bei der Zuteilung von interessanten Fahrerplätzen ist. Götz ist als absoluter Publikumsliebling ein echter Aktivposten für AMG, hat aber auch eine klare eigene Meinung, was bei AMG manchmal nicht so gewünscht scheint.
Lucas Auer ist ebenfalls ganz oben in der Weltspitze anzusiedeln. Allerdings hatte "Luggi" vor einigen Jahren schon mal einen Ausflug zu BMW gewagt, um damals nach dem Abschied von Mercedes weiter DTM fahren zu können. Danach versuchte er in Japan, an seinem Formel-1-Traum zu arbeiten, leider ohne Erfolg. Daraufhin kehrte er zu Mercedes zurück. Ein weiterer Top-Mann ist Jules Gounon, der allerdings in letzter Zeit keine Glanztaten vollbringen konnte. Mit Fabian Schiller hat AMG einen Rohdiamanten im Portfolio, der vor allem auf der Nordschleife zu den Besten gehört und von dem in Zukunft noch viel zu erwarten ist. Philip Ellis hat bereits bewiesen, dass er mit den Besten mithalten kann und ist auf allen Strecken schnell. Bei den Junioren drängt sich vor allem Jusuf Owega auf, der trotz seiner Jugend schon beachtliche Leistungen erbracht hat. Patrick Assenheimer hingegen, der im Jahr 2022 in den Kreis der Juniorfahrer bei AMG aufgenommen wurde und vor allem auf der Langstrecke stets gute leistungen zeigte, ist seit diesem Jahr nicht mehr Teil des AMG-Kaders.
Prominente Neuzugänge?
Wer könnte nachfolgen? Ein prominenter Name bietet sich geradezu an. Luca Engstler, Sohn von Tourenwagen-Legende Franz Engstler und momentan noch Audi-Werkspilot, überzeugte kürzlich bei den Young Driver Testfahrten von AMG. Zwar ist die Engstler-Truppe momentan noch mit Audi unterwegs, aber Vater Engstler hat schon mehrfach bewiesen, dass er zugunsten der Karriere seines Sohnes auch mal die Markentreue über Bord werfen kann. Zuletzt geschehen beim spontanen Wechsel von Volkswagen auf Honda in der TCR Germany, um die Titelchancen von Luca zu verbessern. Kam nicht überall gut an, zeigt aber die Konsequenz der Engstlers. Da Audi sich werksseitig aus dem GT3-Programm verabschiedet hat, wäre ein Wechsel nun auch keine Sensation. Ein weiterer prominenter Name ist schon länger im Juniorkader, konnte bislang aber noch nicht überzeugen: David Schumacher. Der Sohn von Ex-F1-Pilot Ralf Schumacher agierte in den letzten beiden DTM-Jahren glücklos.
Vorstellbar ist allerdings auch, dass AMG im ehemaligen Audi-Kader weiter fündig wird, der zum Ende des Jahres infolge der Einstellung der Kundensport-Aktivitäten des Audi-Werkes aufgelöst wird. Hier sind dann Großkaliber wie Christopher Haase, Christopher Mies oder Senkrechtstarter Ricardo Feller auf dem Markt, die alle zu den Top-GT3-Kutschern gehören.
Fakt ist, der Abgang von Marciello ist praktisch nicht auszugleichen. Seine individuelle Stärke wird AMG mit Sicherheit fehlen und es wird spannend zu sehen, wie sich der Werkskader nun entwickelt.
Zum Abschied von "Lello" viel Würdigung
Nach sieben erfolgreichen Jahren endet die Zusammenarbeit von Mercedes-AMG Customer Racing und Performance-Fahrer Raffaele Marciello. Beim FIA GT World Cup in Macau bestritt der Schweizer seinen letzten Einsatz im Mercedes-AMG GT3 – und sorgte mit einem Start-Ziel-Erfolg und der damit verbundenen Titelverteidigung für einen Abschied nach Maß. Der 28-Jährige ist der erste Fahrer überhaupt, der den FIA GT World Cup zweimal (2019, 2023) gewinnen konnte. Damit ist er auch der Erste, der den FIA-Titel auf dem berühmten Straßenkurs in Macau verteidigen konnte. Der historische Sieg auf dem Guia Circuit, wo er einst sein erstes Rennen als AMG Vertragsfahrer absolviert hatte, markierte den perfekten Schlusspunkt einer großartigen Erfolgsgeschichte und Partnerschaft.
2017 wechselte der zu diesem Zeitpunkt 22-jährige Raffaele Marciello vom Formel– in den GT-Sport, wo er im Mercedes-AMG Kundensportprogramm ein neues Zuhause fand. Die Zusammenarbeit war auf Anhieb von Erfolg gekrönt: Gleich sein erstes Rennen mit dem Mercedes-AMG GT3 bei der Blancpain Sprint Series in Misano beendete Raffaele Marciello zusammen mit dem AKKA ASP Team (heute AKKODIS ASP Team) als Dritter auf dem Podium. Im selben Jahr trat er erstmals beim Langstreckenklassiker in Spa an, verbrachte in Summe über zehn Stunden im Cockpit und erreichte ebenfalls einen dritten Platz.
Durch seine Schnelligkeit und seinen Teamgeist empfahl sich Marciello noch im selben Jahr für den Aufstieg zum offiziellen Mercedes-AMG Performance-Fahrer. Ein besonderer Moment für ihn, wie er gerne erzählt. Der Schweizer erarbeitete sich schnell das Image als einer der besten GT3-Fahrer der Welt. 2018 gewann Marciello in der heutigen Fanatec GT World Challenge Europe powered by AWS jeweils die Fahrermeisterschaft in der Gesamtwertung sowie im Sprint Cup. In den Saisons 2022 und 2023 gelang ihm zweimal in Folge das Double aus Gesamt- und Endurance-Cup-Titel.
Einen weiteren bemerkenswerten Erfolg erzielte Raffaele Marciello 2019 mit seinem ersten Sieg beim FIA GT World Cup in Macau. Es folgten Podiumsplätze bei den 24-Stunden-Rennen in Daytona und auf der Nürburgring-Nordschleife sowie drei Pole-Positions in Folge (2020, 2021, 2022) bei den 24 Hours of Spa – Rekord in der seit 2011 andauernden GT3-Ära des Ardennen-Klassikers. 2022 gelang ihm gemeinsam mit Jules Gounon (AND) und Daniel Juncadella (ESP) schließlich der ersehnte Gesamtsieg bei dem hochklassigen Langstreckenrennen. In derselben Saison wurde er zudem Meister im ADAC GT Masters und damit Internationaler Deutscher GT-Meister. 2023 stand Raffaele Marciello neben dem jüngsten Erfolg in Macau auch bei den 24-Stunden-Rennen in Spa und auf dem Nürburgring sowie beim Bathurst 12 Hour auf dem Podium. Am Nürburgring stellte Marciello einen neuen Qualifying-Rekord auf und erhielt als Pole-Setter die beliebte Glickenhaus-Trophäe.
Eindrucksvolle Statistik „made by Lello“
Raffaele Marciello bestritt seit 2017 insgesamt 232 Rennen auf fünf Kontinenten mit dem Mercedes-AMG GT3. Bei diesen Einsätzen holte er 35 Siege, davon 21 von der Pole Position aus. Insgesamt stand er 102 Mal auf dem Podium. Damit erreichte er in diesem Zeitraum eine beeindruckende Podestquote von rund 44 Prozent. Die meisten Starts, Siege und Podiumsplätze feierte Raffaele Marciello gemeinsam mit dem AKKODIS ASP Team. Mit dieser Bilanz endet die einzigartige Erfolgsgeschichte bei Mercedes-AMG.
„Lello“, wie er in der Motorsportwelt genannt wird, beweist sein fahrerisches Können immer wieder. Zusätzlich interessiert er sich aber auch für die technischen Feinheiten seines Fahrzeugs. Er selbst bezeichnet sich in dieser Hinsicht als „Nerd“. Wenn er mal nicht im Rennauto sitzt, ist er als Hobby-Radfahrer auf zwei Rädern unterwegs. Für die neuen Herausforderungen, denen er sich ab der nächsten Saison stellt, wünscht ihm das gesamte Team von Mercedes-AMG Customer Racing alles Gute. Bei der offiziellen Saisonabschlussfeier in Valencia erhielt Marciello als Abschiedsgeschenk ein Modell seines siegreichen Fahrzeugs beim 24-Stunden-Rennen von Spa 2022.
Raffaele Marciellos Zeit bei Mercedes-AMG Customer Racing in Zahlen:
Rennen: 232; Siege: 35; Podien: 102; Poles: 44; Meisterschaften: 7; Meiste Einsätze für: AKKODIS ASP Team (104), HTP-WINWARD (29), GruppeM Racing (27), Landgraf Motorsport (16), GetSpeed (10)
Jahr |
Serie |
Ergebnis |
2017 |
Blancpain GT Series |
3. Platz 24h Spa |
2018 |
Blancpain GT Series |
Meister |
Blancpain GT Series Sprint Cup |
Meister |
|
Intercontinental GT Challenge |
1. Platz 10h Suzuka |
|
2019 |
FIA GT World Cup Macau |
1. Platz
|
Intercontinental GT Challenge |
3. Platz 12h Bathurst |
|
2020 |
GT World Challenge Europe Endurance Cup / Intercontinental GT Challenge |
Pole-Position 24h Spa |
2021 |
IMSA WeatherTech SportsCar Championship |
2. Platz 24h Daytona (GTD) |
24h Nürburgring |
3. Platz |
|
GT World Challenge Europe Endurance Cup / Intercontinental GT Challenge |
Pole-Position 24h Spa |
|
2022 |
GT World Challenge Europe |
Meister |
GT World Challenge Europe Endurance Cup |
Meister |
|
ADAC GT Masters |
Meister |
|
Intercontinental GT Challenge |
1. Platz 9h Kyalami |
|
Intercontinental GT Challenge |
1. Platz 8h Indianapolis |
|
GT World Challenge Europe Endurance Cup / Intercontinental GT Challenge |
1. Platz 24h Spa, Pole-Position |
|
2023 |
GT World Challenge Europe |
Meister |
GT World Challenge Europe Endurance Cup |
Meister |
|
FIA GT World Cup Macau |
1. Platz |
|
GT World Challenge Europe Endurance Cup / Intercontinental GT Challenge |
2. Platz 24h Spa |
|
24h Nürburgring |
3. Platz, Pole-Position |
|
Intercontinental GT Challenge |
3. Platz 12h Bathurst |
Keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar