Hintergrund: Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Autoindustrie

Überschaubare Auswirkungen

Hintergrund: Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Autoindustrie: Überschaubare Auswirkungen
Erstellt am 25. Februar 2022
Bild: Mercedes-Benz Cars startet im April 2019 die Produktion im neuen Pkw-Werk Moscovia mit dem Anlauf der Mercedes-Benz E-Klasse Limousine für den lokalen Markt: (v.l.n.r) Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars, Vladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation und Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie.

Wie hart treffen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland die Autobauer? Am empfindlichsten  trifft es die Renault-Gruppe sowie Hyundai/Kia. Und Mercedes-Benz: 2019 startete man in der Region Moskau  die Produktion für den lokalen Markt mit dem neuen Werk Moscovia. Mercedes-Benz Cars investierte in das Werk in der Region Moskau insgesamt mehr als 250 Millionen Euro. Über 1.000 Mitarbeiter arbeiten hier in Produktion und Verwaltung. 

In der Ukraine tobt ein Krieg. Um der gewalttätigen Auseinandersetzung ein Ende zu bereiten, verhängen die EU, die USA und einige andere Länder Sanktionen gegen Russland, die die Wirtschaft des großen Landes ins Mark treffen sollen. Da geht es um Bankgeschäfte, das Ende von Gas- und Energiekäufen bis hin zum Einfrieren von Privatvermögen. Doch Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Angriff offenbar von langer Hand geplant und bereits hohe Finanzreserven aufgebaut. Doch Sanktionen, ob wirksam oder nicht, haben immer auch eine Kehrseite, denn sie treffen auch die eigene Wirtschaft. Allerdings gehen nur zwei Prozent der deutschen Exporte nach Russland, darunter auch Autos. Deutsche Karossen sind in Putins Reich nach wie vor sehr beliebt.

„Russland wird lange Zeit als wichtiger Absatzmarkt und Produktionsstandort für die Automobilindustrie ausfallen. Zwar sind die konkreten Effekte des Krieges und der anstehenden Sanktionen noch nicht genau abzusehen. Allerdings dürfte das Anlagevermögen von Automobilherstellern und Zulieferern in Russland erheblich an Wert verlieren. Die Automobilindustrie wird für viele Jahre keine relevanten Investitionen in Russland tätigen. Allerdings ist auch mit erheblichen indirekten Folgen für die Automobilbranche in Deutschland und Europa zu rechnen. So werden in den nächsten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Verteuerung der Energie- und Mineralölpreise die Kosten für die Automobilproduktion und für die Autonutzung steigen“, stellt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) fest.

Dabei galt Russland noch vor zehn Jahren mit 2,8 Millionen verkaufter Autos pro Jahr als wichtiger Zukunftsmarkt. Doch aus dem russischen Autofrühling wurde nur ein lauer Sommer. Seit 2015 stagniert der russische Automarkt mit 1,4 bis 1,8 Millionen verkaufter Autos pro Jahr, im vergangenen Jahr waren es rund 1,67 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Damit belegt das größte Land der Erde nach Südkorea und vor Frankreich lediglich den achten Platz der globalen Automobilmärkte.

Die deutschen Autobauer werden die wirtschaftlichen Sanktionen zwar spüren, aber andere trifft es deutlich härter. Von den deutschen Herstellern ist die Volkswagen-Gruppe mit einem Marktanteil von zwölf Prozent beziehungsweise 204.000 Fahrzeugen am stärksten in Russland engagiert. Doch im weltweiten Vielmarkenreich des niedersächsischen Konzerns ist Russland nur ein wirtschaftlicher Nebenschauplatz. „Da die Marktrelevanz von Russland für Volkswagen jedoch nur bei zwei Prozent liegt, sind die negativen direkten Absatzeffekte ähnlich wie bei BMW und Mercedes-Benz jedoch als moderat einzuschätzen“, analysiert Stefan Bratzel. Die beiden deutschen Premiummarken halten mit 49.000 abgesetzten Fahrzeugen pro Jahr (BMW) beziehungsweise 50.000 Einheiten/Jahr (Mercedes) einen Marktanteil von drei Prozent. Angesichts der weltweiten Verkäufe beider Autobauer, die 2021 deutlich mehr als zwei Millionen Autos absetzten, sind diese Volumen verschmerzbar.

Anders schaut es bei Hyundai/Kia und der Renault-Gruppe aus. „Renault-Nissan-Mitsubishi ist aufgrund der hohen Absatzanteile der Gruppe sowie des russischen Tochterunternehmens Avtovaz wirtschaftlich am stärksten betroffen“, so Bratzel. Die Zahlen bestätigen die Einschätzungen des Experten: Avtovaz (Lada) brachte 2021 rund 351.000 Vehikel an den Mann, bei der Renault-Nissan-Mitsubishi Allianz waren es circa 212.000 Fahrzeuge. Die Renault-Gruppe peilt für das Jahr 2022 eine operative Marge von 4 Prozent oder mehr und einen operativen freien Cashflow für den Automobilsektor von mindestens einer Milliarde Euro an. Angesichts der aktuellen Ereignisse könnten diese Ziele ins Wanken geraten. Auch Hyundai/Kia sind in Russland erfolgreich, die beiden koreanischen Marken setzten im vergangenen Jahr rund 380.000 Fahrzeuge ab. Das dürfte sich ändern.

Die Import-Export-Bilanz verdeutlicht die Automobil-Einbahnstraße. Während Russland im Vor-Coronajahr 2019 weniger als 50.000 Pkw exportiert und die gesamte russische Automobilindustrie es auf einen Exportwert von etwa 3,3 Milliarden US-Dollar brachte, lag der Importwert dagegen bei 20 Milliarden US-Dollar. Harte Sanktionen haben Auswirkungen auf die Lieferkette der Autobauer. Auch hier ist die Renault-Gruppe, die mehrere Werke in Russland betreibt, besonders betroffen. Aber auch Volkswagen und andere Autobauer betreiben Fabriken in dem großen Land, die aber auf Teile aus dem Ausland angewiesen sind. Sobald der Sanktionshammer fällt, dürfte die Produktion zunächst ins Stocken geraten und letztendlich versiegen. Allerdings spielen die russischen Werke im globalen VW-Fabrikverbund eine untergeordnete Rolle. Ähnliches gilt für die Ukraine und Russland als Zulieferer. Dennoch sind die weltweiten Lieferketten so komplex, dass selbst kleinste Störungen spürbare Auswirkungen in den europäischen Werken haben können. Zumal das Gebilde aufgrund der Chip-Krise aktuell ohnehin sehr fragil ist.

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