Im streng gesicherten Daimler-Testzentrum in Immendingen fungiert eine Schafsherde als Landschaftsgärtner und Rasenmäher. Doch die Tiere einfach drauflos weiden lassen, ist Teil eines wohlüberlegten Plans, bei dem der Schäfer Alexander Zonta sich sogar als Züchter betätigen muss.
Sobald Alexander Zonta pfeift, setzt sich die Schafsherde in Bewegung. Aber nicht gemächlich, wie man sich das in griechischer Inselromantik vorstellt, sondern ziemlich zackig. Mit einem Affenzahn galoppieren die Tiere auf den Schäfer zu, der mit einem grünen Eimer auf einem Feld des riesigen Mercedes Testzentrums in Immendingen nah am Schwarzwald steht. Das Signal ist eindeutig: Die Fütterung steht an und da kennt die Herde kein Halten mehr. Besser, man steht nicht im Weg. Wie passt das zusammen? Eine Herde von 120 Schafen inmitten dröhnender Motoren? „Die Schafe stört das überhaupt nicht und wenn wir über das Gelände ziehen, ruht auch mal der Testbetrieb“, beruhigt der Schäfer. Der Grund, warum die Schafe hier auf dem 520 Hektar großen Geländes leben, ist ein nachhaltiger: Die Tiere weiden das Gras und die Büsche ab. „Die Bebuschung zurückzudrängen ist ein der Hauptaufgaben der Herde“, erklärt Alexander Zonta. Die 120 Schafe bearbeiten 13,5 Hektar der Gesamtfläche. Um alles zu beweiden, wären mehr als vier Mal so viele nötig.
Die Idee des natürlichen Rasenmähers war schon vor dem Baubeginn des Testzentrums klar, als sich die Offiziellen der Gemeinde Immendingen mit den Vertretern des Autobauers zusammensetzten, um eine möglichst nachhaltige Pflege des Geländes zu gewährleisten. Die Idee mit der Schafsherde erwies sich schnell als praktikabel und so kam man schnell auf Alexander Zonta, der als Landschaftsbauer und Gärtner bei der Gemeinde Immendingen beschäftigt ist und als Hobby die Schäferei mit drei Herden betreibt. Die größte bearbeitet zwischen Mai und Ende Oktober das Gelände des Testzentrums, von November bis Ende April sind die Schafe im Winterquartier.
Doch wer meint, dass es mit dem Führen einer Herde getan ist, täuscht sich gewaltig. Die Fleischschafe, also typischen großen weißen Wattebäusche, sind für das Weiden und das Zurückdrängen der Bebuschung aufgrund ihres Gewichts von rund 90 Kilogramm nur bedingt geeignet. Das Gelände aus Magerwiesen besteht, sind deutlichen kleineren Wildschafe mit ihren 45 bis 50 Kilogramm deutlich besser geeignet, um diese Aufgabe zu erfüllen. Noch dominieren die Fleischschafe die Herde, doch Zonta will die Tiere zu Wildschafen zurückzüchten. Das geschieht mit einem Mufflon als Bock und wird noch rund 15 Jahre dauern. Momentan besteht die Herde aus neun verschiedenen Rassen, Zonta kennt jedes Mitglied einzelne mit Namen. Wie etwa Nora, ein Walliser Bergschaf mit dem markanten dunklen „Gesicht“. Manche Tiere hat Alexander Zonta mit viel Einsatz wieder aufgepäppelt. „Das Schaf war fast tot, als es zu uns kam. Es ist immer noch etwas schwach“, erzählt der Mann mit den freundlichen Augen und zeigt auf ein kleines Tier, das auf wackeligen Beinen den anderen hinterherstakst.
Ob Fleischschaf oder nicht. Jedes Tier wird eines natürlichen Todes sterben, das bedeutet einfach friedlich einschlafen. Damit die natürlichen Feinde wie Wölfe oder Füchse nicht zuschlagen, fungieren sechs Lamas als Bodyguards. „Wenn ein einzelner Wolf in das Gehege käme, würden ihn die Lamas einkreisen und verjagen, notfalls töten“, erzählt Alexander Zonta. Die Schafe sind weit mehr als Rasenmäher, sie sind Teil einer Artenvielfalt, wie man sie auf solch einem Areal nicht vermuten würde. Hier hausen Falken und Wespenbussarde und im letzten Jahr hat Zonta sogar eine italienische Schönschrecke entdeckt, eine Heuschreckenart, die es eigentlich nur im Land südlich der Alpen gibt.
Wie wird man eigentlich zum Teilzeit-Schäfer? Bei Alexander Zonta ereignete sich das Schlüsselerlebnis während des Studiums. Vier Schafe suchten ein neues Zuhause und einen neuen Schäfer. „Keiner wollte die Tiere haben, also habe ich sie genommen, und wenn man einmal vom Virus Schaf angesteckt ist, wird man das nicht mehr los“, sagt der Zonta. Wie es denn zu dem Engagement beim großen Autobauer gekommen sei? „Daimler ist an mich herangetreten“, lautet die Antwort. Einen Bezug zum Auto hat der freundliche Schäfer dann doch. Er ist über „100 Ecken“ mit dem brasilianischen ehemaligen Formel-1-Piloten Ricardo Zonta verwandt.
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