Reportage: Daimler Truck fahren ab Ende des Jahrzehnts autonom

Wie von Geisterhand

Reportage: Daimler Truck fahren ab Ende des Jahrzehnts autonom: Wie von Geisterhand
Erstellt am 18. April 2022

Noch vor Ende des Jahrzehnts will Daimler Truck Lastwagen auf die Straße bringen, die autonomes Fahren Level 4 beherrschen. Wir waren bei einer Probefahrt dabei.

Der 20 Meter lange und 40 Tonnen schwere Daimler Truck nähert mit 65 km/h sich dem Autobahnkreuz, bei dem such die I25 North nach Santa Fe und der I 40 East Richtung Texas treffen. Ein sechsspuriges Asphaltmonstrum, wie es in jedem Bundesstaat der USA zu finden ist. Nichts Außergewöhnliches in den USA. Nur dass der mächtige Lkw von einem virtuellen Fahrer gesteuert wird. Der Mensch sitzt nur zur Sicherheit am Lenkrad, um einzugreifen, falls nötig. Das Kommando hat der virtuelle Fahrer. Die Tatsache, dass Albuquerque (Bundesstaat New Mexiko) zu den Städten in den USA mit den schlechtesten Autofahrern gehört, macht es für den Robo-Truck nicht einfacher. Wir sitzen ebenfalls im Führerhaus und beobachten Monitore, auf denen die Ergebnisse der Sensorabtastungen und der Kamera angezeigt werden.

Das Einfädeln in den fließenden Verkehr ist die erste Herausforderung. Der Freightliner Cascadia erspäht eine passende Lücke im fließenden Verkehr, die grün angezeigt wird, steigert langsam das Tempo, setzt eigenständig den Blinker und wechselt die Fahrspur. Besser hätte es ein menschlicher Fahrer nicht machen können. Dann machen die Autofahrer dieser Gegend ihrem Ruf alle Ehre. Plötzlich schießt ein weißer Pick-up direkt vor dem Truck über drei Fahrspuren nach rechts. Blinken? Fehlanzeige. Der Auto-Pilot lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und hält konstant sein Tempo. „Der virtuelle Fahrer hat erkannt, dass das Auto beschleunigt und von uns wegbewegt“, erklärt Torc Robotics-Techniker Andrew Culhane. Der Auto-Pilot ist ein höflicher Zeitgenosse, hält sich an die Verkehrsregeln, fährt defensiv und lässt anderen Verkehrsteilnehmer den Vortritt.

Die Technik hinter dem Spektakel ist quasi hausgemacht: Daimler Truck hat 2019 die Mehrheit an dem US-amerikanische Unternehmen Torc Robotics erworben und entwickelt gemeinsam Transporter, die autonomes Fahren Level 4 beherrschen. Also selbstständig auf Highway von einer Station zur nächsten fahren und dabei auch an Ampeln anhalten, abbiegen und die Spur wechseln. Hub-to-Hub heißt das im englischen Logistik-Fachjargon. Das Tanken ist kein Problem: Die Reichweite des Auto-Cascadias wird rund 1.600 Kilometer betragen. Bei unserer Probefahrt schlägt sich der Truck prächtig und nutzt sogar die Motorbremse, wenn es bergab geht, genau wie es ein erfahrener Fahrer tun würde. „Wenn man laufend die regulären Bremsen einsetzen würde, müssten wir sie jede Woche wechseln“, sagt Andrew Culhane. Bei den Logistik-Unternehmen geht es um Kosten, jedes Verzögern, jedes Beschleunigen kostet Sprit und damit Geld. Der Robo-Truck soll konstant und geschmeidig von A nach B fahren, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ohne Fahrer. Das Ziel ist, dass der Auto-Pilot besser agiert als das ein menschlicher Fahrer könnte.

Allerdings wird es auch beim Robo-Truck keine hundertprozentige Sicherheit geben. „Wir können die Physik nicht aushebeln“, weiß Daimler-Truck-Chef Martin Daum. Wenn direkt vor dem Fahrzeug ein Unfall passiert, bremst der Truck zwar blitzschnell, aber die Software tut im Zusammenspiel mit den Sensoren alles, um Unfälle zu verhindern und blickt möglichst weit voraus. Schließlich beträgt der Bremsweg des tonnenschweren Vehikels bei einer Geschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde rund 160 Meter. „Unser LIDAR-Sensor erkennt kleine Objekte, die sehr wenig reflektieren“, verdeutlicht Dr. Peter Vaughan Schmidt, Leiter der Autonomous Technology Group Daimler Truck. Die Leistungsfähigkeit der Sensoren muss hoch sein. Ein Stauende müssen die Fahrzeuge schon aus 250 Meter Entfernung erkennen, um genug Sicherheitsabstand beim Verzögern zu haben. Dennoch wird der Robo-Truck zunächst kein Alleskönner sein und sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Dichter Schneefall stellt das System noch vor zu große Probleme, weswegen die ersten autonom fahrenden Trucks in Südwesten der USA eingesetzt werden.

Neben Torc Robotics arbeitet Daimler Truck auch mit der Google-Tochter Waymo zusammen. Noch vor 2030 sollen die ersten autonomen Lkws auf amerikanischen Straßen rollen. Für die Schwaben steht die Sicherheit ganz oben, auch wenn es etwas länger dauern sollte. „Wenn jemand sagt, dass Level 2 autonomes Fahren kann, dann bringt er Leute um“, stellt Martin Daum unmissverständlich klar und meint damit offenbar Tesla. Die Schwaben stellen mit dem „autonomous-ready“ Freightliner Cascadia das Fahrzeug zu Verfügung, die beiden Partnern Waymo und Torc Robotics definieren dann, welche Sensoren eingebaut werden müssen, damit das autonome Fahren Level 4 Realität wird. Im Falle von Torc Robotics sind das Radarsensoren (Geschwindigkeit), Kameras (identifiziert Objekte) und LIDAR (Entfernung und Dichte)

Damit die Algorithmen der beiden Software-Spezialisten funktionieren und Cascadia zum Robo-Truck wird, muss die Hardware stimmen. Deswegen baut Daimler Truck in den Lkw Systeme ein, die einspringen, wenn es ein Problem gibt. Dieses Konzept kommt vom Flugzeugbau und wird auch in autonomen Pkws verwendet. „Redundanz bedeutet nicht, dass das Fahrzeug bei einem Ausfall eines Systems einfach weiterfährt, sondern sicher anhält“, sagt Daimler-Trucks-Ingenieur Suman Naranyanan. Bei dem Robo-Cascadia kommt erstmals eine Brake-by-Wire-Bremse zum Einsatz, die zwei Steuergeräte hat, falls eines ausfällt. Außerdem sind zwei 8-Newtonmeter-Servomotoren verbaut. So kann das Schwergewicht gesteuert werden, wenn die Hydraulik versagt. Auch das Bordnetz kann 20 Minuten mithilfe von zwölf Batterien aufrecht erhalten werden. Das sind vier mehr als im Standard-Cascadia. Übrigens Wegen der Robo-Trucks wird kein Fahrer seinen Job verlieren. Gemäß Vorhersagen wird 2030 die Nachfrage nach geeigneten Kraftfahrern das Angebot übersteigen.

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