Technik: So fährt die kommende Mercedes V-Klasse / Van.EA Private

Formel 1 für China

Technik: So fährt die kommende Mercedes V-Klasse / Van.EA Private: Formel 1 für China
Erstellt am 6. März 2025

Mercedes will bei den Vans auch im Luxus-Segment groß absahnen. Damit das gelingt, darf das Nobelgefährt nichts mit einem Nutzfahrzeug gemein haben. Auch wenn die Technik zum Großteil identisch ist. Mercedes-Fans.de hat sich auf das Eis gewagt, um herauszufinden, ob das Projekt Aussicht auf Erfolg hat.

Wenn derzeit von Mercedes die Rede ist, geht es meist um den CLA. Doch im Schatten des Pkw-Stromers tüfteln die Ingenieure an einem anderen Projekt, das für die Zukunft Marke mit dem Stern fast ebenso wichtig ist. Hinter dem Kürzel Van.EA (Van Electric Architecture) verbirgt sich eine Plattform, die mittelgroße Vans zu Stromern mutieren lässt. Jetzt kommt noch die Unterscheidung der Kürzel Van.EA Private und Van.CA dazu. Der Buchstabensalat ist schnell entwirrt: Van.CA bedeutet nichts anderes, als dass die Fahrzeuge auch mit einem elektrifizierten Verbrenner zu haben sein werden. Diese Entscheidung haben die Mercedes-Strategen im Nachhinein getroffen, da die Transformation zur E-Mobilität nicht so schnell wie erwartet vonstatten geht.

Mercedes muss Geld verdienen und dazu gehören mittelfristig auch Modelle mit Verbrennungsmotoren. Da beißt auch die schwäbische Maus keinen Faden ab. Also jetzt zwei Varianten einer Architektur. Ganz ohne Mehraufwand ist die Erweiterung um eine Antriebsform nicht machbar. Baureihenleiter Benjamin Kähler beziffert den Mehraufwand zu der reinen Elektro-Architektur und die zusätzliche Komplexität auf 30 Prozent. Da trifft es sich gut, dass die Van-Truppe bei der Entwicklung des Van.EA-Private-Derivats eng mit den Kollegen der Pkw-Division zusammenarbeiten. Ein Ingenieur aus der AMG-Tuningschmiede kümmert sich um die Hinterachslenkung. Für Fahrspaß ist also gesorgt. Die WLTP-Reichweite wird mehr als 500 Kilometer betragen.

Schließlich will Mercedes auch bei den Luxus-Vans erstmals in China, den USA und Kanada erfolgreich sein. Und da ist es wichtig, dass sich ein solcher Nobel-Großraumtransporter nicht wie ein Nutzfahrzeug anfühlt. „Das würden die Kunden in China nicht akzeptieren“, erklärt Entwicklungschef Dr. Andreas Zygan und verweist auf die Tatsache, dass im Reich der Mitte Tuner die V-Klasse aufpeppen und dann teuer verkaufen. Dieses Geschäft wollen die schwäbischen Cleverles natürlich selbst mitnehmen.

Aus diesem Grund ist auch eine klare Unterscheidung zwischen den gewerblichen und privaten Fahrzeugen notwendig. Das fängt schon bei der Sitzposition an. Wenn man einen Van entert, der Pkw-Feeling vermitteln soll, will nicht auf dem Kutschbock eines Nutzfahrzeugs thronen. Diesen Punkt können die Entwickler schon mal abhaken. Schnell ist eine gute Sitzposition gefunden, die der eines SUVs gleicht. Doch das ist nur ein Teil der Gleichung. Die Skateboard-Plattform mit dem flachen Boden lässt im Fond geräumiges Lounge-Feeling aufkommen. Aber das ist nur Makulatur, wenn das Fahrwerk die Passagiere an jedem Kieselstein teilhaben lässt, über den das Vehikel hinwegrollt.

Also baut man einfach adaptive Dämpfer ein. Logisch oder? Jetzt soll sich der Van aber auch noch in den großen Metropolen Chinas sowie den USA so einfach und wendig fahren lassen wie ein Kleinwagen. Kein Problem. Eine Hinterachslenkung löst dieses Problem. Zumindest in der Theorie. Nur hat man das in diesem Segment bei einer Elektro-Plattform noch nie versucht, da einige Hindernisse zu überwinden sind. Zunächst sind da die Achslasten. Eine elektrische Van-Architektur samt Karosserie wiegt deutlich mehr als ein herkömmliches Auto. Sollen die Hinterräder einschlagen, wird es mit dem Bauraum eng. Neben dem Elektromotor muss ganz hinten im Van eine breite Dreiersitzbank Platz finden und die Räder sollten keine Teerschneider sein. Schließlich soll das Fahrzeug auch optisch etwas hermachen. Also kommen auch noch die Radkästen dazu, die die Aufgabe alles unterzubringen zusätzlich erschweren.

Die Operation ist gelungen. „Das ist im Grunde eine Formel-1-Achse, da sie sehr kompakt ist. Da steckt die eigentliche Arbeit drin“, freut sich Andreas Zygan. Wir machen die Probe aufs Exempel und wenden auf engstem Raum. Klappt problemlos. Immer wieder schärfen uns die Techniker ein, dass wir uns von der Transporter-Optik nicht täuschen lassen sollen. Die dient lediglich der Tarnung. Die Technik ist die der Van-Variante. Ok. Wie schaut es mit der Dynamik aus? Auf einer Eisfläche loten wie den Grenzbereich aus. Rauf aufs Gas und das Lenkrad einschlagen, sofort rutscht der Frontriebler über die Vorderachse nach außen. Wir lupfen den rechten Fuß und schon will uns das Heck überholen. Aber alles gutmütig und berechenbar. Einfaches Gegenlenken fängt den Mercedes-Van im Tarn-Blechkleid eines Transporters wieder ein. Problemlos. Der Entwicklungschef neben uns lächelt zufrieden. Das ist auch bei der Frage nach dem Winkel, mit dem Die Räder einschlagen der Fall. Alles wollen sie bei Mercedes dann doch nicht verraten. Wir gehen von maximal acht Grad aus.

Damit sind die Entwicklungs-Aufgaben der Techniker noch lange nicht erledigt. Vieles wird mit Simulationen abgearbeitet. Bei der Software arbeiten die Mercedes-Van- und die Pkw-Experten Hand in Hand und nutzen so Synergien. Beide Entwicklungsgruppen haben identische Software-Varianten installiert und sobald ein Fehler auftritt, wird der gemeinsam gelöst. So spart man Zeit, Ressourcen und letztendlich Geld. Doch nicht alles lässt sich per Simulation oder mit ausgefeilten Algorithmen bewerkstelligen. Geht es um die Regelsysteme wie das ESP ist nach wie vor gründliche Abstimmungsarbeit nötig, um die perfekte Feinabstimmung zu erreichen.

Genau das tun die Mercedes-Ingenieure derzeit in Nordschweden. Für ein ESP-System ist kaum etwas herausfordernder als der berühmt-berüchtigte μ-Split-Test, bei dem auf der einen Seite die Räder auf Asphalt Traktion finden und auf der anderen Seite blankes Eis genau das verhindert. Wir sind mit 80 km/h unterwegs und bremsen hart ab, als wir die Versuchsfläche erreichen. Das Gefährt bleibt stabil. Passt also. Das Anfahren auf diesem Untergrund mit extrem unterschiedlichen Reibwerten ist so etwas wie die Königsdisziplin. Denn die Regelsysteme müssen erkennen, dass das Fahrzeug auch dann stabil ist, wenn aufgrund des Schlupfs unterschiedliche Drehzahlen bei den Rädern anlegen und sollten nicht eingreifen. Soweit zur Theorie: Als wenn diese Herausforderung nicht schon genug wäre, platzieren wir den Mercedes-Van an einer Steigung von 15 Grad. Allradantrieb? Fehlanzeige. Die Vorderachse muss den Job alleine erledigen. Wir steigen ohne Rücksicht auf Verluste aufs Gas und warten ab, wie sich die Technik schlägt. Kurz ringen die Pneus um Grip, ehe sie die schwere Fuhre nach oben ziehen. Langsam aber sicher und souverän. „Die Regelsysteme sind so weit entwickelt, dass das auch für einen Vorderradantrieb kein Problem ist. Deshalb haben wir uns für dieses Konzept entschieden“, sagt Andreas Zygan und versichert im gleichen Atemzug, dass es auch eine Version mit Allrad geben wird. Und wie schaut es mit einer Maybach-Variante aus? Darauf gibt es keine Antwort. Wir gehen aber stark davon aus.

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