Technik: So gut ist Mercedes‘ Drive Assist Pro im Stadtverkehr

Langsam, aber sicher

Technik:  So gut ist Mercedes‘ Drive Assist Pro im Stadtverkehr: Langsam, aber sicher
Erstellt am 24. April 2025

Mercedes klopft mit seinem Level 2++-Fahrassistenten an der Tür des autonomen Fahrens. Mercedes-Fans.de Reporter Wolfgang Gomoll hat das System im Shanghaier Stadtverkehr getestet - und er war positiv überrascht.

Die chinesische Regierung zieht bei den autonomen Fahrfunktionen die Zügel an. Grund ist ein Unfall, bei dem ein Xiaomi SU7 mit 97 km/h gegen einen Mast prallte und drei Menschen ums Leben kamen. Offenbar passierte das Unglück nur wenige Sekunden, nachdem der Fahrer die Kontrolle über das Fahrassistenzsystem (ADAS) übernommen hatte und noch versuchte, den Crash zu verhindern. Infolgedessen ist die Erprobung autonomer Fahrfunktionen mithilfe von Beta-Testern genauso verboten wie irreführende Bezeichnungen wie „automatisches Fahren“, "autonomes Fahren", "intelligentes Fahren" oder “fortgeschrittenes intelligentes Fahren". Deswegen nennt Mercedes sein urbanes Level 2++-System „Drive Assist Pro“.

Klingt zunächst nicht besonders aufregend. Schließlich hat der schwäbische Autobauer schon länger ein Fahrassistenzpaket im Programm, mit dem Drive Pilot 95 sogar ein Level-3-System. Der Unterschied ist, dass es diesmal um den Stadtverkehr geht. Der Endgegner für jede Art des automatisierten Fahrens. „Wir verwenden keine hochauflösenden Karten und kein Lidar. Das macht das System bezahlbar“, erklärt Georges Massing, Chefentwickler der autonomen Fahrfunktionen bei Mercedes. Also nur mit Kameras und konventionellen Radar- sowie Ultra-Sensoren. Der Clou dieser Technologie ist, dass sie an das Navigationssystem gekoppelt ist und zudem noch auf Daten aus der Cloud zugreift.

Eine Flotte von Autos sammelt bereits seit einiger Zeit Daten, um die künstliche Intelligenz beim Lernen zu unterstützen beziehungsweise mit Verkehrssituationen zu füttern, damit das System im Falle des Falles richtig reagiert. Die Entwicklung ist schon so weit fortgeschritten, dass der Assistent dieses Jahr in China auf den Markt kommt und nächstes Jahr in den USA. „Wir werden das System nach Europa bringen, sobald es die Homologation erlaubt“, erklärt Oliver Löcher, seit 1. April Leiter Integration Gesamtfahrzeuge bei Mercedes und zuvor für die Entwicklungsarbeit des Autobauers in China zuständig.

Aber auch im Reich der Mitte geht es nicht von jetzt auf gleich. Erst im nächsten Jahr sollen alle chinesischen Großstädte erfasst sein. „Wenn man einen Führerschein hat, kann man überall fahren. Aber in einer neuen Stadt ist man erst vorsichtig. Das ist das Gleiche hier“, erklärt Löcher die Vorgehensweise. Mit jedem Meter lernt der Assistent dazu. Wir sitzen in einem Mercedes CLA, dem nächsten großen Wurf der Sternenmarke und wollen dem urbanen Fahrassistenten im Verkehrsalltag auf den Zahn fühlen. „Wichtig ist, dass das kein autonomes Fahren ist und der Fahrer stets die Kontrolle über das Auto hat“, sagt Oliver Löcher. Deswegen registriert das kapazitive Lenkrad, ob der Fahrer das Steuer in der Hand hat. Ist das nicht der Fall, wird eine Warn-Sequenz losgetreten: Nach 15 Sekunden die erste Stufe, nach 30 Sekunden die zweite und final nach einer Minute. Kommt keine Reaktion des Menschen, stoppt das Auto. Ergänzt wird die Überwachung von einer Kamera, die sich oberhalb des zentralen Displays befindet. So ist sichergestellt, dass der Pilot stets die Augen auf der Straße hat und nicht auf dem Display des Smartphones.

Wir fahren los und der Robo-Fahrer übernimmt die Kontrolle über das Fahrzeug. Na ja, fast. Der Lenkradkranz läuft durch Oliver Löchers Daumen und Zeigefinger. Die Berührungskontrolle ist also erfüllt. Noch herrscht nicht viel Verkehr und das Assistenzsystem absolviert die ersten Aufgaben souverän. Ein Kleintransporter parkt in der zweiten Reihe, doch der Robo-gesteuerte CLA lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, schert geschmeidig aus und fährt in einem Zug an dem Hindernis vorbei. Kaum ist das geschafft, nähert sich schon die nächste rollende Eskalationsstufe in Form eines Motorrollers. Wie so oft in China entgegen der Fahrtrichtung. Auch dieses Szenario führt nicht zu einem ratlosen Verhalten oder einem Zögern. Die Software zieht aus den Meldungen der Kameras und Sensoren die richtigen Schlüsse und erkennt, dass der Zweiradfahrer sich nicht auf Kollisionskurs befindet und zieht weiter unbeirrt seine Kreise.

Was passiert, wenn der automatische Chauffeur an seine Grenzen stößt. „Dann muss der Fahrer übernehmen“, lächelt Oliver Löcher und fügt hinzu: „Die Aufforderung kommt früh genug.“ Allein dieses Prozedere erfordert ein gehöriges Maß an Rechenleistung und einen ausgereiften Algorithmus. Mercedes und andere deutsche Hersteller werden oft dafür kritisiert, dass sie mit dem Entwicklungstempo der chinesischen Hersteller nicht mithalten können. Manchmal ist allerdings das Motto langsam, aber sicher zielführender. „Wir bieten funktionale Sicherheit“, meint Löcher. Das fängt bei der Distronic, den Tempomaten an, den Mercedes schon seit vielen Jahren verfeinert hat, lange bevor sich die chinesischen Autobauer mit dieser Technik beschäftigt haben und hört mit der Programmiersprache auf. Mercedes verwendet QNX anstelle von (safe) Linux wie manche Konkurrenten aus dem Reich der Mitte. Dieser Code ist sicherer, erfordert aber einen größeren Aufwand bei der Dokumentation und man muss genauer arbeiten. „Wer einen Mercedes kauft, kauft Sicherheit“, strahlt Löcher.

Also alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Im Stadtverkehr macht der Mercedes Drive Assist Pro zumeist eine gute Figur. Auch Kreisverkehre meistert er. Doch beim Linksabbiegen offenbaren sich ähnliche Schwächen wie bei Nios Autopilot NOP+ (Navigation on Pilot Plus). Der CLA bleibt nicht auf seiner virtuellen Abbiegespur, sondern fährt in die Kreuzung ein und bleibt stehen. Auf Chinas Straßen ist Anarchie Programm, also bringt der statische Geisterfahrer niemanden aus der Ruhe. Dennoch gibt es noch Entwicklungsbedarf. Auch bei der Annäherung an Zebrastreifen agiert das System eher aggressiv und zieht durch, auch wenn sich Menschen nähern, erkennt aber Fußgänger, die vermeintlich zwischen parkenden Autos auf die Straße laufen. Also ist auch hier noch etwas Feintuning nötig.

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