Für die einen ist Elon Musk ein Guru, wenn nicht sogar ein Gott. Musk, der Gründer und Chef des Elektroautobauers Tesla, gilt vielen als Fleisch gewordenes Sinnbild für Fortschritt und modernes Unternehmertum. Viele Medien jedenfalls jubelten nach dem zweiten Quartalsbericht 2020 des Unternehmens, dass Tesla angeblich zum vierten Mal hintereinander einen Vierteljahresgewinn ausweist. Endlich, könnte man sagen, ist der Laden in den schwarzen Zahlen. Musk ist für viele ein Macher, der aktuell im Raum Grünheide östlich von Berlin ein neues Produktionswerk hochziehen und sich dafür feiern lässt. Von Sommer 2021 an sollen dort etwa 12.000 Mitarbeiter rund 500.000 Fahrzeuge pro Jahr bauen. Andere Beobachter, auch nicht wenige, sehen in ihm lediglich einen Lautsprecher, der regelmäßig große Sprüche klopft und es schafft, alle paar Monate durch Kapitalerhöhungen Milliarden an Dollar vom Finanzmarkt abzugreifen - weil seiner Firma sonst das Geld auszugehen droht. Ein Blick hinter die Fassade der jüngsten Tesla-Erfolgsmeldungen fördert Erstaunliches zutage.
Musk, ein stark selbstverliebter Typ, fällt oft mehr durch merkwürdige Aktionen auf als durch sein eigentliches Geschäft. Wie etwa durch das öffentliche Paffen eines Rauschmittels in einem Video-Podcast, durch das Herstellen und Vertreiben eines Flammenwerfers oder wie jüngst vor wenigen Wochen durch die Produktion und den Vertrieb so genannter Short-Shorts. Mit den knappen Höschen wollte er jene Börsen-Haie veräppeln, die auf einen fallenden Aktienkurs (im Börsenchinesisch „Short“ genannt) von Tesla wetteten.
Nicht nur, dass die Flammenwerfer rasch ausverkauft waren und auch die Shorts weg gingen wie warme Semmeln, obendrein amüsierte sich die Szene auch noch darüber, und der Unterhaltungskünstler Musk bekam dafür wieder von vielen Seiten Applaus. Ohne Zweifel kommt seine Hollywood-Attitüde bei vielen an. Doch hat der US-Glamourboy mit Superstaranstrich auch seinen Laden im Griff?
Bei der Qualität fallen sie durch
Antwort: Eher nicht. Das zeigt sich in der Qualität der Autos. Nach der jüngsten Einstufung des renommierten J.D.-Power-Reports für 2020, das ist die wohl wichtigste und aussagekräftigste Hitliste über die allgemeine Zufriedenheit mit neuen Automobilen in den USA, sieht es sehr düster aus. Die Marke Tesla liegt mit 250 Qualitätsproblemen (Durchschnitt 166) innerhalb von 90 Tagen nach dem Kauf auf dem katastrophalen letzten Platz. Rang 28. Gründe dafür sind laut J.D. Power besonders Fertigungsprobleme aber auch eine geringere Reichweite als angegeben oder ein ungenauer Entfernungsmesser. Die Befragung wurde in 35 US-Bundesstaaten unter 1250 Tesla-Besitzern – zumeist Fahrer des populären Mittelklassewagens Model 3 – durchgeführt.
Und jetzt geht es ans Eingemachte. Denn auch wirtschaftlich sieht es längst nicht so rosig aus, wie Musk stets glauben machen will. Das kann jeder mit etwas Hintergrundwissen an der Bilanz ablesen. Musk meldete zwar für das zweite Quartal 2020 nach dem US-Rechnungslegungsstandard „Generally Accepted Accounting Principles“ (GAAP) überraschend 104 Millionen Dollar Gewinn (rund 88 Millionen Euro). Macht unterm Strich 0,50 US-Dollar je Aktie. Doch, so notierte „Focus-online“, ein tieferer Blick ins Zahlenwerk zeigt, „dass bei Tesla nicht alles so rund läuft, wie es den Anschein hat. Die Gewinne, die Tesla vermeldete, stammen nämlich gar nicht aus dem Verkauf der Stromer“.
Umweltboni teuer verkauft
Zwischen April und Juni kamen allein 428 Millionen Dollar der Einnahmen vom Verkauf so genannter „regulatory credits“ – Punkte, die von diversen US-Staaten für umweltfreundliche, emissionsfreie Fahrzeuge vergeben werden. Sie werden auch „ZEV credits“ genannt (ZEV steht für Zero Emission Vehicles). Wer in den in Frage kommenden Bundesstaaten Autos verkaufen will, muss ein Mindestmaß solcher Punkte haben, sonst drohen Strafen von den Behörden dafür, dass zu wenig umweltfreundliche Autos verkauft worden sind. Die Formel dafür, wie viele dieser Credits es gibt, ist höchst kompliziert, erschließt sich keinem Laien und bemisst sich unter anderem nach der Reichweite wie auch nach dem Aufladetempo der verwendeten Akkus.
„Focus-online“ weiter: „Da Tesla nur Stromer herstellt, sammelt der Konzern reichlich Punkte, die er an Wettbewerber weiterverkaufen kann, die noch Punkte brauchen. Das System gleicht damit dem Handel mit Emissionszertifikaten in Europa. Der Clou dabei: Weil Tesla die Punkte umsonst kassiert, kann der Konzern diese mit einer 100-prozentigen Marge weiterverkaufen. Nie verkaufte Tesla mehr solcher Punkte als im zweiten Quartal.
Noch im Vorjahresquartal hatte Tesla mit diesem Geschäft nur 111 Millionen Dollar erlöst. Im zweiten Quartal 2020 waren es, wie vorhin erwähnt, 428 Millionen Dollar. Zieht man diese Erlöse vom Nettoumsatz von 1,267 Milliarden Dollar ab, bleiben nur noch 839 Millionen Dollar übrig – das ist zu wenig, um die operativen Kosten von 940 Millionen Dollar zu decken.“
Ohne den Punktehandel wäre es mit dem Bilanzgewinn also nichts geworden, sondern Musk hätte im einfachen Geschäft Auto gegen Geld einen Verlust von 101 Millionen Dollar ausweisen müssen.
Umsätze von morgen schon heute verbucht
Damit nicht genug, denn es gibt noch andere Merkwürdigkeiten im Quartalsbericht. Dazu schrieb die britische „Financial Times“, dass sich auch bei den so genannten „accounts receivables“ (erwartete Einnahmen) im zweiten Quartal etwas getan habe. Der Begriff bezeichnet noch ausstehende Zahlungen, die, sofern alles sauber läuft, Kunden und Geschäftspartnern schon in Rechnung gestellt sind und dann auch bilanziert werden dürfen. Seit Jahren schwankt die Zahl der „accounts receivables“ im Bereich von etwa 20 Prozent des Umsatzes. Im zweiten Quartal jedoch sprang dieses Verhältnis bei Tesla auf 25 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit sechs Jahren, so die „Financial Times“.
Anders ausgedrückt: Während die Umsätze insgesamt leicht gesunken sind, hat Tesla offenbar mehr als früher (noch) unbezahlte Rechnungen als Erlöse bilanziert. Bei Fachleuten hat das – höflich formuliert – zu Irritationen und hochgezogenen Augenbrauen geführt, denn solche Bilanzierungspraktiken geltend mindestens als fragwürdig. Tatsächlich stieg diese Position in der Bilanz des zweiten Quartals im Vergleich zum Vorjahresquartal auf nun 1,485 Milliarden Dollar (eine Zunahme von fast 30 Prozent).
Wichtig dabei ist die Feststellung, dass ein Großteil dieser offenen Rechnungen nicht aus dem Verkauf der Fahrzeuge stammt. Das bestätigte Teslas Finanzvorstand Zachary Kirkhorn in einer Analystenkonferenz nach der Vorstellung des Zahlenwerks. Kirkhorn sagte: „Weniger als 30 Prozent unserer receivables stammen aus dem Verkauf neuer Autos.“ Laut Kirkhorn machen allein offene Rechnungen aus dem Handel mit den Emissionspunkten gut 40 Prozent der Position aus. Und diese „erwarteten Einnahmen“ entsprechen 594 Millionen Dollar in der Bilanz. Streng genommen hat der Konzern also im zweiten Quartal 2020 im reinen Autogeschäft in der Addition den saftigen Verlust von 695 Millionen Dollar gemacht. Doch das scheint die Jubler nicht zu jucken.
Luftbuchungen?
Kritische Analysten gehen davon aus, dass womöglich alle Pluspunkte-Verkäufe im zweiten Quartal zunächst auf Rechnung gemacht wurden, damit der Konzern sie als Umsatz verbuchen kann. Bezahlt werden diese Außenstände erst dann, wenn die Käufer die Punkte auch wirklich verwenden wollen. Die Vermutung liegt also nahe, dass Tesla künftige Umsätze auf diese Weise in die Gegenwart gezogen hat, mit dem Ziel, das vierte Gewinnquartal in Folge zu vermelden. Man könnte auch sagen: Luftbuchungen.
1 Kommentar
Pano
12. August 2020 23:32 (vor über 4 Jahren)
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