Beim Stichwort Mercedes-Krankenwagen fällt mir immer ein Gespräch zwischen meinem Großvater und meinem Onkel ein. Auf irgendeinem Geburtstag unterhielten sich die beiden über einen angeberischen Vereinskollegen. Der hatte offenbar damit geprahlt, dass sein nächster Wagen mindestens ein Benz sein würde. Darauf mein Opa: Der einzige Mercedes, in dem der jemals fährt, ist ein Krankenwagen!
1946 bis 1955 der 170 rettet im Nachkriegsdeutschland
Unser Rückblick auf Krankenwagen mit Stern startet nach dem 2. Weltkrieg mit der Neuauflage des Typ 170 V. Im Mai 1946 verlässt das erste Fahrzeug dieser Baureihe die Endmontage. Es ist ein Pritschenwagen, der von einem 38 PS starken Vierzylinder angetrieben wird. Bereits fünf Monate später präsentiert Mercedes-Benz einen Krankenwagen auf Basis des 170 V. Sein Aufbau wirkt rustikal, was in erster Linie an den schwierigen Produktionsbedingungen der Nachkriegszeit liegt. Das ändert sich zum Jahreswechsel 1948/49: Der 170 V erhält einen geräumigeren und moderneren Aufbau, der aber nicht im Werk, sondern bei der Bochumer Firma Lueg entsteht. Gleichwohl wird dieser neue Krankentransportwagen offiziell über Daimler-Benz vertrieben.
1953 bis 1962 im Ponton zur OP
Wie schon seine Vorgängermodelle ist auch der Ponton-Mercedes als Fahrgestell mit Teilkarosserie lieferbar. Diese Basis nutzen Aufbauhersteller aus dem In- und Ausland, um den W 120 bzw. W 121 in einen Kranken- oder Kombiwagen zu verwandeln. Besonders erfolgreich sind dabei die Firmen Binz in Lorch und Miesen in Bonn. Beide Unternehmen profitieren davon, dass Modellpflegemaßnahmen an den Limousinen auch den Fahrgestell-Varianten zu Gute kommen. Parallel dazu wächst im Gleichschritt mit der Großserie die Typenpalette. Mit 5653 Fahrgestellen und Fahrgestellen mit langem Radstand, die u. a. als Basis für Krankenwagen dienen, übertrifft der Ponton seinen Vorgänger deutlich.
1961 bis 1968 die Heckflosse beweist: Krankenwagen können schön sein
Die Universal-Modelle der Heckflossen-Ära bilden mit 15-Zoll-Rädern, einer geänderten Hinterachsübersetzung, verstärkten Federn und einer neu entwickelten hydropneumatischen Ausgleichfeder die ideale Voraussetzung für ein Leben als Krankenwagen. Über all diese Features, die bereits zur Grundausstattung zählen, verfügen wie üblich auch die Fahrgestelle, die als Basis für die Sonderausführungen anderer Hersteller dienen. Wieder einmal sind die Krankenwagen-Aufbauten von Binz und Miesen besonders erfolgreich. Begehrt ist bei beiden Unternehmen das Fahrgestell mit langem Radstand: Es besitzt einen um 40 cm längeren Radstand, der so auf 310 cm anwächst.
1968 bis 1976 mit dem Strich-Acht dieselflink zum Doktor
Die Tradition, beide Karosserievarianten der Limousine auch als Fahrgestelle mit Teilkarosserie anzubieten, bleibt Mercedes beim Strich-Acht treu. Das hat aber keine nostalgischen, sondern ausschließlich kaufmännische Gründe: Die Mercedes-Limousinen sind bei Karosseriebauern heiß begehrt und das nicht nur für den Aufbau von Krankenwagen. Auf Strich-Acht-Basis entstehen außerdem Feuerwehrautos, Bestattungsfahrzeuge und andere branchenspezifische Spezialversionen. Das Geschäft mit den Krankenwagen-Aufbauten bleibt in Deutschland weiterhin fest in der Hand von Binz und Miesen. Gerne greifen sie dabei auf die Dieselaggregate zurück; nach der Modellpflege im Herbst 1973 kann sogar ein Sechszylinder, der 230.6, als Fahrgestell geordert werden. Der Strich-Acht ist mit insgesamt 8671 Einheiten (inkl. Fahrgestelle mit langem Radstand) die bis dato erfolgreichste Aufbau-Basis.
1975 bis 1985 auch der W 123 ist ein Multi-Talent
Der W 123 setzt als Sonderfahrzeug die Erfolge seiner Vorgänger fort. Auch er ist als Fahrgestell selbstverständlich mit langem und kurzem Radstand lieferbar, wobei letzterer die für Krankenwagen favorisierte Variante ist. Binz und Miesen nutzen einmal mehr ihre gewachsene Kompetenz, um den W 123 in einen Krankentransporter zu transformieren. Doch auch andere Zielgruppen entdecken den Mercedes für sich: Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste fahren gerne mit modifizierten Limousinen oder dem neuen T-Modell zum Einsatz. Schließlich wird der W 123 auch als Fahrgestell ein voller Erfolg: Insgesamt entstehen 8373 kurze und lange Varianten.
1984 bis 1996 3,60 Meter Radstand im W 124
Kleiner Exkurs vom Krankenwagenbau: Auf Basis des W 124 stellt Mercedes als vierte Karosserie-Variante der mittleren Klasse eine Limousine mit verlängertem Radstand vor. Damit gibt es nach vierjähriger Unterbrechung wieder eine Langversion im Verkaufsprogramm. Entwickelt wird der lange Aufbau in enger Zusammenarbeit mit der Firma Binz in Lorch, die dann auch in der Serienfertigung die Rohbauarbeiten durchführt. Der Radstand wächst um 80 Zentimeter auf 3,60 Meter, die Gesamtlänge legt um das gleiche Maß zu. Insgesamt entstehen 6398 Fahrgestelle mit Teilkarosserie für Sonderaufbauten.
1995 bis 2003 der Doktor kommt mit Vier-Augen-Gesicht
Wie ihre Vorgängermodelle basieren auch die Fahrgestelle mit Teilkarosserie der Baureihe W 210 auf den entsprechenden T-Modellen. Erstmals gibt es sie aber ausschließlich mit langem Radstand. Die Bedeutung dieser Variante hatte im Vergleich zum kurzen Fahrgestell über die Jahre stetig zugenommen. Damit ist das Fahrgestell des VF 210 satte 74 Zentimeter länger, als bei einem entsprechenden T-Modell. Außerdem werden die Fahrgestelle mit Teilkarosserie nicht mehr direkt bei Daimler-Benz, sondern bei Binz in Lorch gefertigt. Die fertigen Fahrgestelle gelangen anschließend zurück ins Werk Sindelfingen, von wo aus die Auslieferung an andere Aufbauhersteller erfolgt. Zu ihnen gehören auch die Firmen Miesen in Bonn und Visser im niederländischen Leeuwarden.
2002 bis 2008 der W 211 ist der bis dato sicherste Krankenwagen
Im März 2002 löst der W 211 seinen Vorgänger W 210 ab. Er repräsentiert die nunmehr achte Nachkriegs-Generation der Marke in der oberen Mittelklasse. Sein Design ist unverkennbar mit dem des Vorläufers verwandt, interpretiert aber z. B. das Vier-Augen-Gesicht neu. Interessant für die Krankenwagenbauer einmal mehr sind hier die Firmen Binz und Miesen zu nennen war die neu entwickelte Luftfederung namens AIRMATIC DC, die sensorgesteuert stets die optimale Stoßdämpferkraft und Federrate einstellt. Eine weitere Innovation von der uneingeschränkt auch ein Krankenwagen auf W 211-Basis profitiert, ist die Karosseriestruktur. Sie verfügt über noch größere Verformungszonen im Frontbereich, so dass die Fahrgastzelle selbst bei einer schweren Kollision weitgehend unbeschädigt bleibt.
Wechsel von Limousinen- auf Transporterbasis
Das Bessere ist des Guten Feind. Das gilt auch für Krankenwagen, obwohl es hier eher heißen müsste, das Praktischere ist des Praktischen Feind. Im Fall unserer Krankenwagen bedeutete das: Transporter sind für den Einsatz als Krankentransporter besser geeignet, als umgebaute Limousinenfahrgestelle. Sie bieten auch ohne aufwändigen Umbau schlicht weg genügend Platz. So erklärt es sich, dass kurz nach dem berühmten Tatütata heute oft ein Mercedes Sprinter oder Vito die Straße entlang kommen. Ein Krankenwagenaufbau auf Basis der aktuellen E-Klasse ist uns unbekannt.
22 Bilder Fotostrecke | Mit Stern ins Spital: Krankenwagen auf Basis von Mercedes-Limousinen
2 Kommentare
Mercedes-Fans.de
23. Februar 2010 08:44 (vor über 14 Jahren)
Liquidsilver
23. Februar 2010 01:22 (vor über 14 Jahren)
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