Man muss nicht erst dosenweise Energy-Drinks in sich hineinkippen, um auf Autos mit Flügeltüren abzufahren. Denn eins ist sicher: Nur spannende Autos haben Flügeltüren! Doch was bringt einen Konstrukteur dazu, die Türen seines Wagens nicht seitlich, sondern nach oben öffnen zu lassen? Bei Mercedes, dem Erfinder der Flügeltür im Pkw, gibt es darauf durchaus unterschiedliche Antworten.
Das Ur-Muster: 300 SL
Der Pionier in Sachen Flügeltür war die Rennversion des Mercedes Benz 300 SL, den seine außergewöhnlichen Schwingen gleich zu mehreren legendären Rennsiegen trugen. OK, die Türen selbst hatten keinen direkten Anteil am Erfolg des Wagens auf der Piste, doch sie waren für seine Entstehung unumgänglich. Denn unter dem schmuck geformten Blech trug der 300 SL einen sehr steifen aber auch sehr ausladenden Gitterrohrrahmen. Dieser machte den Einstieg des Wagens so hoch und breit, dass klassisch angeschlagene Türen unmöglich waren. Also verfielen die Konstrukteure auf eine nach oben schwingende Tür die Flügeltür war geboren! Und sie löste bereits bei ihrer Premiere auf der International Motor Sports Show 1954 in New York Begeisterung aus. Im englischsprachigen Raum bekam der 300 SL schon bald den Kosenamen Gullwing (Möwenschwinge).
Nur ein Traum: C 111
Es dauerte bis zur IAA 1969 bevor Mercedes wieder frisches Geflügel präsentierte. Doch was dann auf den Präsentierteller rollte, war vorsichtig ausgedrückt ein Hammer: Der C 111. Ultra flach, ultra orange, ultra genial! Aber dann der Schock für alle frisch Verliebten: Serienproduktion? Fehlanzeige! Also gab es für Otto-Normal-Autoliebhaber keinen hochdrehenden Wankelmotor, keine 280 PS, keine 260 Sachen Topspeed. Der Schmerz wurde noch stechender, als Mercedes 1970 den C 111-II nachreichte. Der orange Flügeltürer sah jetzt noch appetitlicher aus, war aber ebenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmt da konnten die Wohlhabenden dieser Welt noch so viele Blanko-Schecks nach Stuttgart schicken, was sie angeblich auch taten.
Daniel Dieseltrieb: C 111-IID
1976 sorgte ein Mercedes, der zumindest optische Anklänge an den C 111 zeigte, für Furore: Vorhang auf für den Experimentalwagen C 111-IID. D? Der hat doch nicht etwa ...? Doch er hat, nämlich einen Dieselmotor. Genauer gesagt einen mit Turbolader und Ladeluftkühler aufgerüsteten Selbstzünder, was damals absoluter State-of-the-Art war. 190 PS genügten, um mit dem extrem windschlüpfrigen Wagen Geschwindigkeitsweltrekorde einzusammeln, wie andere Leute Steinpilze. Vier Fahrer peitschten den C 111-IID im Juni 1976 zu insgesamt 16 Weltrekorden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der rasanten Versuchsfahrt lag bei 252 km/h, was eindeutig bewies, dass Dieselaggregate auch abseits von Transport- und Landwirtschaft eine echte Daseinsberechtigung haben.
Einfach Elektrisierend: C 112
Auch 1991 sah bei Mercedes ein Versuchsfahrzeug nicht wie ein rollender Schuhkarton, sondern wie ein reinrassiger Rennwagen aus. Wie seine Vorgänger trug der C 112 Flügeltüren, weil eine andere Einstiegsvariante aufgrund seiner Karosseriestruktur nicht möglich war. Also auch hier form follows function. Unter der funktionellen Form wimmelte es von elektrischen Innovationen. Vorne weg die Active Body Control, also ein aktiv geregeltes Fahrwerk. Nicht weniger aktiv waren der Bug- und Heckspoiler beide ließen sich elektrisch verstellen. Auch der Abstandswarnradar war erstmals mit an Bord. Last but not least verfügte der wie ein zeitgenössischer Gruppe C-Renner gestaltete Versuchswagen über ein Sechsgang-Schaltgetriebe.
Vorreiter in Sachen Technik: F 200 Imagination
Weniger sportlich, aber umso zukunftsträchtiger war der F 200 Imagination. Mercedes präsentierte ihn 1996 auf dem Autosalon in Paris, um einen Ausblick darauf zu geben, was man morgen (oder übermorgen) in Mercedes-Automobilen erwarten darf. Viele revolutionäre Details des F 200 sind heute Serie, beispielsweise die Active Body Control (seit 1999), der Window-Airbag (seit 1998) oder das elektrotransparente Glasdach (seit 2002 im Maybach 62). Die auffälligste Innovation des F 200 war aber diese: Der Wagen besaß statt eines Lenkrads so genannte Sidesticks. Diese gaben die Lenkbefehle per ride-by-wire weiter, die Lenkung besaß also keine mechanischen Komponenten. In unsere Geschichte kam der F 200 aber auf Grund seiner Schwenk-Flügeltüren, ein Detail das im Mercedes-Benz SLR McLaren zur Serienreife gelangen sollte.
Ein schräger Vogel: F 300 Life-jet
Drei Räder treffen auf zwei Flügeltüren das ist zumindest die optische Essenz des Forschungsfahrzeugs F 300 Life-Jet. Mercedes rollte ihn auf der IAA 1997 ins Rampenlicht und stieß auf eine Mischung aus Begeisterung und Fassungslosigkeit. Denn das Ding hatte nicht nur drei Räder, es konnte sich auch noch wie ein Motorrad in die Kurve legen. Dieses für Autos eher ungewöhnliche Kunststück gelang dem Life-Jet dank einer aktiven Wanksteuerung seiner Karosserie. Das System berücksichtigte Parameter wie Geschwindigkeit, Beschleunigung, Lenkeinschlag und Gierverhalten und wählte den dazu passenden Neigungswinkel aus. Die Karosserie bestand aus Aluminium und die Flügeltüren wurden offiziell als nach oben öffnende Schwenktüren bezeichnet. Ihr besonderer Vorteil: Sie benötigten beim Öffnen wenig seitlichen Raum, was auch in engen Parklücken einen bequemes Ein- und Aussteigen erlaubte.
Das Kurvensuchgerät: F 400 Carving
Die Sache mit der Schräglage beim Kurvenfahren faszinierte die Mercedes-Ingenieure offenbar sehr. So wurde auf der Tokio Motorshow im Jahre 2001 ein Forschungsfahrzeug präsentiert, das wie kein anderes in die Kurve ging: Eine automatische Sturzwinkelverstellung sorgte beim Carving dafür, dass sich die kurvenäußeren Räder neigten und damit Schräglagen bis zu 20 Grad zuließen. Was bringts? Laut Mercedes eine sicherere Kurvenfahrt aber auch höhere Kurvengeschwindigkeiten. Das extrovertierte Design des F 400 Carving wurde da fast zur Nebensache, ebenso wie seine nach vorne und oben schwingenden Türen. Echte Flügeltüren waren ihm nicht vergönnt, denn diese hätten am dachlosen Carving keine Anschlagpunkte gefunden.
Endlich wieder Flügel in (Klein-)Serie: SLR McLaren
Er hängt auf Postern in vielen Kinderzimmern und es gibt zig Modellauto-Ausgaben von ihm. Wenn einem Auto das gelingt, muss es etwas ganz Besonderes sein. Und das ist beim Mercedes-Benz SLR McLaren mit Sicherheit der Fall. Auf der IAA 1999 zog der Traum-Roadster erstmals begehrliche Blicke auf seinen silbernen Luxuskörper. Der zitierte sowohl die historische (SLR-Rennsportwagen), als auch die damals aktuelle (98er/99er F1-Rennwagen) Rennsportgeschichte von Mercedes-Benz. Hinzu kamen seine Flügeltüren bzw. Schwenk-Flügeltüren. Weitere Highlights waren das lichtdurchlässige Roadster-Verdeck und der 5,5-Liter-Kompressor-V8 der dank Wasser-Ladeluft-Kühlung 557 PS leistete.
Zurück in die Zukunft: AMG SLS
2010 ist es soweit: Mercedes respektive AMG erfüllen unseren heimlichen Wunschtraum nach einem neuen Flügeltürer. Der SLS AMG surft dabei aber nicht auf der nach wie vor schwappenden Retrowelle, er interpretiert das Thema Flügeltürer vielmehr neu. Was wir bisher sehen durften, sieht jedenfalls sehr nach haben will aus, inklusive eines hochwertig-sportiven Innenraums. Von dort aus darf der Fahrer über einen 6,3 Liter-V8 mit 517 PS befehligen. Weiterhin bietet der SLS AMG Technologie-Schmankerl wie Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe und eine komplett aus Aluminium gefertigte Space Frame-Karosserie. Wenn das nicht beflügelt ...
2 Kommentare
Driver
24. August 2009 11:14 (vor über 15 Jahren)
HanSchopp
21. August 2009 14:51 (vor über 15 Jahren)
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