Schneller als bisher geht es mit dem neuen Autopiloten von Mercedes-Benz zu. Wobei die Pressesprecher die Begriffe „Auto-Pilot“ oder „autonomes Fahren“ nicht allzu gut finden. Vielmehr will man den Ball flach halten und spricht stattdessen vom hochautomatisierten Fahren. Das geht mit dem neuen System nun sogar bis 95 km/h, hat jedoch einen Haken.
Mercedes rüstet seine Top-Modelle S-Klasse und EQS Anfang nächsten Jahres auf. Freuen können sich darüber aber nicht nur Neukunden, sondern auch alle, deren Modelle bereits mit dem älteren Drive Pilot 60 ausgestattet sind. Für die wird es ein Software-Update und damit ebenfalls den vollen Funktionsumfang des neuen Drive Pilot 95 geben. Damit lassen sich beide Modelle dann bis zu 95 km/h hochautomatisiert fahren. Auch wenn der Unterschied zum 60-km/h-Stauassistenten nominell nicht besonders groß erscheint, ist sie doch im Alltag eine deutliche Verbesserung.
Videos schauen während der Fahrt, E-Mails lesen oder eine WhatsApp schicken – nichts Neues, allerdings darf es nun auch der Fahrer hinter dem Lenkrad. Wir sitzen am Steuer eines Mercedes EQS und rollen im urbanen Umfeld der Berliner Stadtautobahn mit 90 Sachen im Verkehr mit. Das Kommando aber haben nicht wir, sondern der Mercedes Drive Pilot 95. Der Name ist Programm: Jetzt können EQS und S-Klasse also nicht mehr nur 60 km/h im Level 3 autonom – ähm, hochautomatisiert – fahren, sondern bis 95 Stundenkilometer. Klingt nach wenig, ist aber ein himmelweiter Unterschied. So kann der Drive-Pilot-Benz auf nahezu allen 18.000 km des deutschen Autobahnnetzes agieren. Damit sind auch längere Strecken machbar, ohne dass der Fahrer sein Hauptaugenmerk auf den Verkehr lenkt.
Hintergrund: Automatisiertes Fahren Level 3 bedeutet, dass das Auto für eine gewisse Zeit und auf geeigneten Strecken selbstständig das Kommando übernehmen kann.
Allerdings ist das hochautomatisierte Fahren deutlich komplexer als noch vor wenigen Jahren angenommen. Das von einigen Automobilmanagern ausgegebene Ziel, im Jahr 2021 bereits auf Level 4 autonom zu fahren, erwies sich schnell als illusorisch. Mercedes ist vorsichtig geworden und gibt Ende der Dekade als Ziel für Tempo 130 im Level 3 an. Das ergibt Sinn. Nicht auszudenken, was hierzulande los wäre, wenn ein „autonomes“ Fahrzeug eines deutschen Herstellers einen Unfall verursachen würde. In den USA ist genau das bereits passiert. Zu diffizil sind die Technik und vor allem die dazugehörige Software. Schließlich muss das Auto es dem Menschen gleich tun und in Sekundenbruchteilen die richtige Entscheidung treffen.
Es liegt auf der Hand, dass der Mensch beim autonomen Fahren nicht zum Beta-Tester werden darf. Weder im noch außerhalb des Fahrzeugs. Da ist es nur logisch, dass es bei den Robo-Autos nicht mit einem Riesensatz direkt zu Level 4 ohne Menschen an Bord gehen kann. Selbst Elon Musk musste einsehen, dass es ohne LiDAR-Sensoren nicht geht. Diese sind zwar teuer, bieten aber Vorteile wie eine genaue digitale 3D-Darstellung der Umgebung und eine ziemlich große Reichweite.
„Jeder Sensor hat Stärken und Schwächen“, erklärt Taner Kandemir, der bei Mercedes für das autonome Fahren verantwortlich ist. Deshalb sind die robusten Radarsensoren, die auch bei Nebel und Schmutz funktionieren, genauso wichtig wie die Antenne auf dem Dach, die mit Satelliten in 250 Kilometern Höhe und den extrem genauen Karten des Navigationssystems hilft, die Position des Autos auf den Zentimeter genau zu bestimmen. Basis für den Drive-Pilot sind aktuelle Fahrzeuge, die mit mehr als 40 Assistenzsystemen an Bord automatische Fahrmanöver des Levels 2 + ausführen können. Deshalb beherrscht auch der EQS, in dem wir hinter dem Lenkrad sitzen, einen selbsttätigen Spurwechsel, solange die Hände am Volant bleiben. Das darf der Drive-Pilot-Benz des Levels 3 normalerweise nicht. Ab Anfang des nächsten Jahres werden fabrikneue S-Klassen und EQS-Modelle mit dem Drive-Pilot 95 ausgeliefert. Bestehende Fahrzeuge mit Drive Pilot 60 erhalten ein kostenloses Update.
Damit können die Autos nun auch auf der Autobahn ohne menschliches Zutun fahren. Allerdings setzen Mercedes und der Gesetzgeber noch enge Grenzen. Die Sicherheit geht vor. Für den Drive-Pilot gilt striktes Rechtsfahrgebot. Das heißt: Die rechte Spur der Straße mit baulich getrennten Fahrbahnen ist das Habitat des Mercedes mit aktivem Drive-Pilot 95. Aber eben auf der Autobahn und schneller als bisher. Im Grunde ist dieser Drive-Pilot eine Weiterentwicklung des Stauassistenten.
Wir klemmen uns im EQS hinter einen Lkw als Führungsfahrzeug. Um es dem System einfacher zu machen, haben wir den adaptiven Tempomaten samt den autonomen Fahrfunktionen des Level 2+ aktiviert. Laut Mercedes soll die Aktivierung auch ohne diese Vorkonditionierung und bis Tempo 100 funktionieren. Das Fahrzeug bremst dann automatisch auf Tempo 95 ab. Das Prozedere der Übergabe von Mensch zur Maschine ist vom Drive-Pilot-Vorgänger bekannt: Der Drive-Pilot-Benz signalisiert mit pulsierenden weißen LEDs links und rechts im Lenkradkranz Bereitschaft. Wir drücken auf die blinkenden Knöpfe, nehmen die Hände vom Volant, schnappen uns das Handy und schreiben eine WhatsApp. Was bei aktiviertem System völlig legal ist, denn nun ist Mercedes-Benz und nicht mehr der Fahrer in der Verantwortung.
Noch ist es eine Mercedes-Benz-Idee: Die türkisfarbenen Markierungsleuchten in den Scheinwerfern, Spiegeln und Heckleuchten könnten neuer Standard bei allen Herstellern werden. Diese zeigen anderen Fahrern oder Einsatzfahrzeugen an, dass ein Fahrzeug gerade hochautomatisiert fährt.
Seinen Sitzplatz zu verlassen oder ein Nickerchen zu machen ist dennoch Tabu. Kameras im Innenraum haben den Fahrer ständig im Blick. Muss dieser wieder übernehmen, gewährt das System eine Übernahmefrist von 10 Sekunden, reagiert der Fahrer nicht, endet die Fahrt automatisch am rechten Fahrbahnrand bei eingeschalteter Warnblinkanlage und aktiviertem Notrufsystem. Bei strahlendem Sonnenschein erfüllt das System seine Aufgabe ziemlich gut und lässt sich auch von einscherenden Autos nicht aus der Ruhe bringen. Jedoch nur, wenn die Rahmenbedingungen perfekt sind. Das heißt, Laster oder anderer Pkw voraus, Fahrbahnmarkierungen eindeutig, kein Regen, keine Dunkelheit und kein Tunnel. Das geht mehrere Minuten gut, aber im Stadtgebiet Berlins ist das automatisierte Glück bisweilen nur von kurzer Dauer: Bei Baustellen und Fahrbahnen, die zu einer Abbiegespur werden, verabschiedet sich der Autopilot und der Mensch muss wieder das Steuer übernehmen.
Gleiches gilt, wenn sich Einsatzfahrzeuge von hinten nähern. Das ist zwar von Mercedes so gewollt, weil der Mensch in solchen Situationen immer noch die besten Entscheidungen trifft. Zeigt aber, wie komplex das autonome Fahren ist und wie weit der Weg zum echten Robo-Taxi noch ist. Wie eng die regulatorischen Leitplanken gesetzt sind, erkennt man, wenn die Blaulichter auf den entgegengesetzten Fahrbahnen blinken. Sobald man an denen vorbei ist, erkennt die Heckkamera diese und fordert den Fahrer auf, das Ruder in die Hand zu nehmen. Wenn es um das Bilden von Rettungsgassen geht, steht dem Mercedes wieder Gewehr bei Fuß.
Bei Mercedes ist man mit dem Erreichten zufrieden und hat das System dem KBA und dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium präsentiert. „Wir haben derzeit das schnellste Auto“, strahlt Taner Kandemir. Wie es aussieht, will Tesla sein Robotaxi am 10. Oktober vorstellen. Wahrscheinlich mit viel Tamtam und großen Worten. Alles andere würde Elon Musk nicht gerecht. Fakt ist: Mercedes liefert jetzt schon. Und das auf deutschen Autobahnen. Wolfgang Gomoll; press-inform / Redaktion Mercedes-Fans
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