Der Reifen: Unser Auto steht drauf und unsere Gesundheit hängt als Autofahrer von Ihnen ab. Es gibt gute Gründe, seinen Kenntnisschatz zum Thema Reifen zu erweitern bzw zu aktualisieren. Denn, was die meisten Autofahrer über Reifen zu wissen glauben, gehört mehr ins Reich der Märchen, meint Reifen-Experte Norbert Allgäuer-Wiederhold, Leiter des Pirelli Tyre Campus, München. Er klärt nachfolgend über hartnäckig sich haltende Irrtümer und moderne Reifen-Mythen auf.
"Winterreifen erkennt man an der M+S-Markierung auf der Seitenwand!"
„Das stimmt so leider nicht“, weiß Norbert Allgäuer-Wiederhold. Vielmehr stoßen die Re-dakteure der einschlägigen Fachmagazine bei Winterreifentests regelmäßig auf Produkte mit M+S-Markierung, die ein Sommerprofil haben. Wie ist das möglich? Die Erklärung ist einfach: Das M+S-Symbol ist rechtlich nicht geschützt und stellt nur eine qualitative Betrachtung dar. Ein M+S gekennzeichneter Reifen muss bei Schnee, Schneematsch und Glätte nur besser sein, als ein vergleichbarer Sommerreifen. Wie viel besser ist nicht fest-gelegt. Norbert Allgäuer-Wiederhold: „Das wurde aber geändert.“ Seit dem 1. November 2012 gilt: Ein Reifen, der als Winterreifen angemeldet wird, muss einen standardisierten Test absolvieren. Nur wenn er ihn besteht, darf er, neben dem M+S-Symbol, auch mit dem Schneeflocken-Symbol im dreizackigen Bergpiktogramm markiert und als Winterreifen be-zeichnet werden. Dies gilt im übrigen auch für Ganzjahresreifen, die sind dahingehend wie Winterreifen zu betrachten.
"Im Winter sind Winterreifen Pflicht"
„Selbstverständlich ist es ratsam, sein Auto zu Beginn der kalten Jahreszeit mit hochwertigen Winterreifen auszustatten, die noch eine Mindestprofiltiefe von vier Millimetern haben sollten“, empfiehlt Norbert Allgäuer-Wiederhold. „Doch gesetzlich vorgeschrieben ist das nicht.“ Die Straßenverkehrs-Ordnung StVO verlangt bei „Glatteis, Schneeglätte, Schnee-matsch, Eis- oder Reifglätte die Verwendung von wintertauglichen Reifen mit entsprechender Markierung. Im Moment reicht noch die M+S-Kennung, zukünftig muss es das Schneeflockensymbol sein.“ Sind die Straßen hingegen trocken und herrschen frühlingshafte Temperaturen, dürfen auch im Winter Sommerreifen gefahren werden.
"Schmale Winterreifen sind besser als breite"
„Nein, vielmehr bieten breite Winterreifen mit einem guten Profildesign mehr Traktion“, erläutert Norbert Allgäuer-Wiederhold. „Das bedeutet, die breite Aufstandsfläche kann die Antriebskraft des Motors besser in eine Vor- oder Rückwärtsbewegung umsetzen und natürlich auch besser bremsen. Schmale Reifen sind nur dann nötig, wenn im Radkasten mehr Platz für den Schneekettenbetrieb erforderlich ist.“
"Winterreifen benötigen einen höheren Reifendruck"
„Die Aussage ist viel zu pauschal“, betont Norbert Allgäuer-Wiederhold. „Sommer- und Winterreifen sind sehr ähnlich aufgebaut und benötigen gleiche Basisdrücke. Der optimale Reifendruck wird vom Fahrzeughersteller festgelegt und hängt im Wesentlichen von der Reifengröße, Beladung und Einsatz des Fahrzeugs ab.“ Lediglich bei einer längeren Kälteperiode könne es sinnvoll sein, den Reifen mit 0,2 bar mehr zu befüllen, um den temperaturbedingten Minderdruck auszugleichen.
"Winterreifen sind die besseren Ganzjahresreifen und können im Sommer problemlos gefahren werden"
„Dieses Urteil ist in mehrfacher Hinsicht falsch“, mahnt Reifenfachmann Allgäuer- Wiederhold. „Selbst Premium-Winterreifen weisen in der warmen Jahreszeit zwei wesent-liche Nachteile auf: ihre bei hohen Temperaturen deutlich weichere Gummimischung und die vielen Lamellen im Profil. Diese beiden Faktoren sind entscheidend für das sichere Fahren auf winterlichen Fahrbahnen, stellen aber in der warmen Jahreszeit einen erheblicher Nachteil dar.“ So bauen Winterreifen bei schnellen Kurvenfahrten deutlich weniger Grip auf als gute Sommerreifen. Hinzu kommen ein schwammiges Fahrverhalten sowie erheblich längere Bremswege auf trockener und nasser Fahrbahn. „Nicht zuletzt verschleißen Winterreifen bei Sommertemperaturen schneller und brauchen mehr Sprit“, nennt Norbert Allgäuer-Wiederhold weitere Nachteile. „Aus diesen Gründen sind sie in der warmen Jahreszeit keine Alternative zu Sommer- und Ganzjahresreifen.“
"Finger weg von Neureifen mit weniger als 8 Millimeter Neuprofiltiefe – sie bieten weniger Kilometerleistung"
„Das ist völlig falsch“, widerspricht Allgäuer-Wiederhold. „Denn innovative Gummi- Mischungen und ausgefeilte Profil-Gestaltungen ermöglichen es führenden Herstellern, Reifen zu produzieren, die trotz geringerer Neuprofiltiefe im Vergleich zu früheren Modellen die gleiche, wenn nicht gar eine höhere Laufleistung bieten. Reifen mit etwas geringerer Neuprofiltiefe, so um einen Millimeter, laufen stabiler und benötigen spürbar weniger Sprit“.
"Breitreifen haben einen höheren Rollwiderstand"
„Diese Aussage trifft seit etlichen Jahren nicht mehr zu. Aufgrund ihrer geringeren Einfederung haben Breitreifen generell einen geringeren Rollwiderstand als konventionelle Reifenquerschnitte“, korrigiert Norbert Allgäuer-Wiederhold. „Gleiches gilt bei Kurvenfahrten. Und dank moderner Mischungs-Technologie können Breitreifen es mittlerweile ohne Weiteres mit ihren schmaleren Brüdern aufnehmen und verbessern - bei richtiger Fahrzeugauslegung - insbesondere der Aerodynamik, die Effizienz.“
"Breitreifen haben ein höheres Aquaplaning-Risiko"
„Stimmt nicht“, entgegnet Norbert Allgäuer-Wiederhold. „Die Aquaplaning-Eigenschaft eines Reifens hängt nicht von seiner Breite ab, sondern vom sogenannten Negativanteil des Profils. Gemeint sind die Kanäle und Rillen in der Lauffläche. Sie dienen dazu, das Wasser aus den Kontaktzonen des Profils abzuleiten, damit der Reifen den Kontakt zur Fahrbahn behält.“
"Reifenfülldruck: mehr ist besser"
„Von Reifendrücken die über denen vom Fahrzeughersteller vorgegebenen Werten liegen, kann ich nur abraten, denn ein zu hoher Fülldruck kann die Fahrsicherheit der Reifen beeinträchtigen“, warnt Allgäuer-Wiederhold. Konkret: „Ein zu hoher Druck beult den mittleren Bereich der Lauffläche aus. Ihre Ränder verlieren den Kontakt zur Straße. Die Folgen: weniger Grip, reduzierte Kurvenstabilität und erhöhte Schleudergefahr. Zudem wird die Reifenmitte stärker abgerieben.“
"Achtung: Neureifen haben zunächst weniger Grip"
„Auch das ist nicht richtig“, sagt Allgäuer-Wiederhold. „Es dauert lediglich eine gewisse Zeit, bis die Neureifen nach der Montage 100-prozentig fest an der Felge haften. Die Montagepaste, die eine beschädigungsfreie Montage der Reifen auf der Felge gewährleisten, muss erst trocknen. Daher sollten Neureifen auf den ersten 300 Kilometern ohne Kavalierstarts, sportliche Kurvenfahrten, hohe Geschwindigkeiten sowie unnötig heftige Bremsmanöver gefahren werden.“ Andernfalls könnte sich der Reifen auf der Felge leicht verdrehen und müsste nachgewuchtet werden.
"Pkw-Reifen halten nicht länger als fünf Jahre"
Auch hier widerspricht der Reifen-Experte von Pirelli Deutschland: „Es gibt keine derartige Altersgrenze, denn moderne Reifen enthalten Alterungsschutzmittel, die bewirken, dass sich ihre Materialeigenschaften bei normaler Nutzung kaum verändern. Zwar greift der in der Luft enthaltene Sauerstoff das Reifengummi im Verlauf vieler Jahre an, was in erster Linie ihre Hafteigenschaften beeinträchtigt. Doch dieser Effekt wird von der abnehmenden Profiltiefe deutlich überlagert.“
2 Kommentare
Snuki
20. Februar 2016 16:28 (vor über 8 Jahren)
Egide aus belgien
18. Februar 2016 21:43 (vor über 8 Jahren)
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