Die Winterreifentester von Goodyear im finnischen Ivalo packen jetzt die Koffer. Ihr Job ist für diese Saison vorbei. In den Werken hat bereits die Produktion für die Winterreifen-Saison 2015/16 begonnen. Die Reifenhändler können mit ihren Bestellungen für den nächsten Winter beginnen.
Die Tests sind sehr aufwändig. Weit hinter dem Polarkreis nahe dem finnischen Ivalo liegt ein weitläufiges Gelände mit einer perfekten Infrastruktur. Garagen mit Hebebühnen in allen Größen, Werkstätten, Tagungsräume, Büros mit Computerarbeitsplätzen – alles beheizt und gut ausgeleuchtet. Verschiedene Teststrecken für Eis und Schnee, lange Geraden und kurvige Ovale schlängeln sich durch das weitläufige Gelände. Anspruchsvolle Hügelstrecken im Wald kommen hinzu. Nur: Über die Hälfte des Jahres steht das Gelände leer. Das robuste Tor bleibt verschlossen. Mücken beherrschen das „Artic Center“ von Goodyear. Nur zu stechen gibt es nichts. Die Menschen sind verschwunden. Dies ändert sich wieder, sobald der erste Schnee fällt, die Tage rapide kürzer werden und die Nacht das Kommando übernimmt. Die Temperatur fällt schon mal unter minus 30 Grad Celsius, kalter Ostwind weht. Das russische Murmansk liegt nur 300 Kilometer entfernt. Auf dem Testgelände herrscht von November bis März rege Betriebsamkeit, Motoren dröhnen und Reifen hinterlassen Fingerprints im Schnee und kaum sichtbare Spuren im Eis.
Vincent Lopes, ein 35jähriger Belgier, ist der verantwortliche Leiter für die Wintertests von Goodyear hoch oben in Finnland hinter dem Polarkreis. 15- bis 20-mal wechseln er und seine Helfer pro Auto und Tag die Reifen. Und dann läuft das Routine-Programm ab: Beschleunigen, Bremsen, Messen. Mal auf gerade Strecker, mal auf Kreiskursen. Vier bis acht Reifensätze werden pro Tag verheizt. Das ist nur teilweise spannend. Aber unentbehrlich für die Entwicklung immer sicherer Reifen und im Kampf mit der Konkurrenz um die besten Ergebnis bei den alljährlichen Reifentests. Vincent arbeitet seit 2005 bei Goodyear: „Von Jugend an hatte ich Benzin im Blut. Ich fuhr gerne Autorennen, insbesondere Rallye-Wettbewerbe. Ebenso interessierte ich mich für die technologischen Aspekte. Deshalb studierte ich Ingenieurswesen und startete meine Berufskarriere als Entwicklungsingenieur bei einem Industrieunternehmen, bevor ich zu Goodyear wechselte.“
Lopes ist einer von mehr als 270 Fahrern, Ingenieuren und Technikern, die im Goodyear Innovation Center weltweit in der Reifen-Entwicklung tätig sind. Mehr als 70.000 Reifen werden jedes Jahr geprüft – neben Ivalo in Finnland verfügen Goodyear und die deutsche Tochter Dunlop über weitere Pisten im französischen Miraval, in Luxemburg und Deutschland sowie in der Schweiz und Neuseeland. Umfangreiche Versuchsfahrten auf öffentlichen Straßen und eine Vielzahl von Laboratorien kommen hinzu. nimmt man die Fahrsimulationen auf Prüftrommeln hinzu werden nach Angaben des Reifenkonzerns jährlich mehr als 100 Millionen Testkilometer abgespult.
Goodyear hat im in seinem Lastenheft mehr als 50 Kriterien notiert, die abgearbeitet werden müssen. Dazu gehören eine Reihe von Sicherheits-, Leistungs- und Umweltparameter: Bremsen und Handling auf trockener und nasser Fahrbahn, Längs- und Quer-Aquaplaningverhalten, Komfort und Hochgeschwindigkeitsstabilität sowie Geräuschtests sowohl auf der Strecke als auch in einem hoch entwickelten Geräuschlabor. Rollwiderstand, Profilabnutzung und weitere Kriterien werden ebenfalls unter kontrollierten Bedingungen im Labor getestet. Bei Winterreifen kommen zusätzliche Tests auf Schnee, Schneematsch und Eis und bei sehr niedrigen Temperaturen hinzu.
In Ivalo hat der Arbeitstag keine Grenzen. Getestet wird, wenn das Wetter es zulässt. Auch nachts, weil dann die Temperatur mitunter konstanter ist. Eine Sieben-Tage-Woche ist keine Seltenheit. Und reich wird man auch nicht. Rund 3.500 Euro brutto stehen als Grundlohn monatlich auf der Gehaltsabrechnung. 35 bis 40 Jahre ist das Durchschnittsalter der Fahrer, 70 Prozent sind verheiratet und haben Kinder. Frauen sind nicht unter den Testfahrern zu finden, höchstens im Labor. Lopes und seine Kollegen verbringen viel Zeit im Jahr damit, rund um den Globus dem Winter zu folgen. "Von November bis März führen wir Wintertests im Norden Europas und in der Schweiz durch. Im Sommer sind wir ab August in Neuseeland, da dort dann Winterbedingungen herrschen. Dies erlaubt uns, quasi das ganze Jahr über auf Schnee zu testen und somit die Entwicklungszeit von Winterreifen zu verkürzen“, sagt er. Hinter einer neuen Reifengeneration steht ein gewaltiger Aufwand. Nicht nur Goodyear macht das so. Auch Continental, Pirelli oder Michelin unterhalten ein Netz von Testzentren rund um den Globus. Nur so lässt noch ein Meter kürzerer Bremsweg herausholen, das Aquaplaning-Verhalten ein Quäntchen verbessern und der Geräuschpegel verringern. Der Kampf um Kunden ist ebenso unerbittlich wie die Polarnacht. Die Autos werden immer perfekter. Die Reifenindustrie hält mit.
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