Kaum ein Land hat derzeit mehr mit den Auswirkungen des Corona-Virus zu kämpfen als die USA. Die Auswirkungen für die lokale Industrie sind beträchtlich – das bekommt mehr denn je die Autobranche zu spüren. Als Daimlers Nordamerika-CEO Nicholas Speeks (Bild links) kurz nach dem Lockdown im März verkündete, dass alle seine Mitarbeiter bis zum Jahresende aus dem Homeoffice arbeiten sollten, fiel der Konzernführung in Stuttgart die Kinnlade herunter. Speeks, erst seit November 2019 in diesem Amt, hatte sein Vorgehen nicht mit dem Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius oder anderen aus dem deutschen Führungsteam von Daimler abgesprochen. Doch auch wenn die Konkurrenz nicht derart eigenmächtig auf den Putz haute: die meisten Firmen lassen ihre Mitarbeiter in den USA unverändert von zu Hause arbeiten. Erste Konzerne verlängerten die freiwilligen Homeoffice-Zeiten gar bis Mitte 2021. Das alles hinterlässt auf dem amerikanischen Automarkt, einst unangefochten die Nummer eins in der Welt, trotz positiver Anzeichen, tiefe Spuren. Denn im Gegensatz zum Automarkt im China, der schneller als von vielen erwartet wieder auf die Reifen kam und in einigen Segmenten sogar über dem Vorjahr rangiert, ist eine Normalisierung des amerikanischen Marktes nicht in Sicht.
Gab es im vergangenen Jahr mit rund 17 Millionen verkauften Fahrzeugen einen leichten Rückgang um 1,3 Prozent gegenüber dem Jahre 2018, so gehen Branchenexperten 2020 von einem Minus bis zu 30 Prozent oder gar mehr aus – je nachdem, wie sich die Pandemie im Herbst entwickelt und wie die Präsidentschaftswahl im November ausgeht. Im vergangenen Jahr erfreuten sich Pick Ups und SUV im Land der unbegrenzten automobilen Möglichkeiten der größten Beliebtheit. Mit über zwölf Millionen verkauften Fahrzeugen gab es ein kleines Plus von 2,6 Prozent, während klassische Limousinen und Schrägheckmodelle um 10,1 Prozent auf 4,8 Millionen Fahrzeuge fielen. Dieser Trend setzte sich Anfang 2020 fort.
Chris Hopson bei den Analysten von IHS für den nordamerikanischen Automarkt verantwortlich: „Das saisonbereinigte Jahresratenniveau im Juni dürfte gegenüber dem Mai-Wert von 12,2 Millionen Einheiten leicht ansteigen. Angesichts der steigenden Zahl von COVID-19-Fällen in einigen Bundesstaaten wird es wichtig sein, die Entwicklung der Autoverkäufe in den nächsten Monaten zu verfolgen, jedoch nach den besser als erwarteten Ergebnissen der US-Autoverkäufe im April und Mai und den überraschenden Ergebnissen bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung im Mai haben wir unsere Prognose für das Verkaufsvolumen für das Gesamtjahr 2020 auf 13,2 Millionen Einheiten angehoben.“ Die Rückgänge betreffen dabei nahezu alle Marken und alle Segmente. Einer der wenigen Autohersteller, die unter der Pandemie kaum zu leiden haben, ist Tesla. Allein im zweiten Quartal 2020 wurden trotz einer überwiegend geschlossenen Fertigung im Stammwerk Fremont / Kalifornien mehr als 82.000 Fahrzeuge produziert und über 90.000 Fahrzeuge – in erster Linie Model 3 – ausgeliefert.
Die unverändert hohen Infektionszahlen bereiten den amerikanischen Wirtschaftsexperten Kopfzerbrechen. Während die meisten Industrienationen die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile deutlich nach unten drücken konnten, gelang dies in den USA bisher nicht. Mittlerweile sind 4,4 Millionen Amerikaner infiziert und mehr als 150.000 Personen an den Folgen des Virus gestorben. „Der Autoverkauf in der ersten Hälfte des Jahres war eine Achterbahnfahrt und da die COVID-19-Pandemie die Landschaft weiter verändert, ist diese Fahrt noch nicht vorbei. Es wurde erwartet, dass das Jahr unter den Marktbedingungen vor COVID-19 schwächere Ergebnisse als 2019 liefern würde, aber mit der Pandemie verschlechterte sich die Situation deutlich“, erläutert Stephanie Brinley von IHS Markit, „Januar und Februar begannen etwas besser als erwartet, und dann forderte die COVID-19-Pandemie im April einen massiven Tribut und wirkte sich weiterhin auf Mai und Juni aus. Unter den gegenwärtigen Umständen wäre es unmöglich, dass der Autoverkauf nicht drastisch von der externen Situation beeinflusst wird. Ein Großteil der Öffentlichkeitsarbeit im März, April und Mai konzentrierte sich auf Markenimage-Anzeigen und hob Anreize hervor, die trotz wirtschaftlicher Unsicherheit zu Käufen anregen sollten.“
Für diese Jahr rechnen die Analysten von IHS im Gegensatz zum großen Wettbewerber China mit einem durchschnittlichen Rückgang von bis zu einem Drittel. „Der Umsatz im Juni hat erwartungsgemäß erneut zugenommen und die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass wir einen Volumenrückgang von 25 bis 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr erwarten. Insgesamt scheinen sich die Branchentrends vor der Pandemie zu halten. Käufer entscheiden sich weiterhin für Pick Ups und Nutzfahrzeuge, obwohl einige neue Personenkraftwagen auf dem Markt sind“, so Stephanie Brinley. (Bilder: Daimler (1), Freepik (1))
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