Seit den Anfängen der Automobilproduktion ist in regelmäßigen Abständen ein wirklich herausragendes Modell erschienen, das Enthusiasten weltweit begeistert. Es gibt vielleicht kein besseres Beispiel dafür als den Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer. Was als stromlinienförmiges Design begann, das stark an Porsches Le Mans Coupé von 1951 angelehnt war, entwickelte sich schnell zu einer der markantesten und schönsten Formen, die jemals auf vier Rädern gemalt wurden.
Das atemberaubende Aussehen des Flügeltürers wird nur durch seine Raumfahrttechnik, seine unglaubliche Leistung und seinen weltbesten Stammbaum übertroffen, der seinen werksgefertigten Varianten zwischen 1952 und 1956 überzeugende Siege bei vielen der wichtigsten Sportwagenrennen der Welt einbrachte, einschließlich des 24-Stunden-Rennens Le Mans, Carrera Panamericana, Mille Miglia und Lüttich-Rom-Lüttich (sowie mehrere SCCA- und Rallye-Europameisterschaften). Das 300 SL Flügeltürer Coupé ist ohne Zweifel der Sportwagen des Jahrhunderts – eine Ikone unter all den Sportwagendesigns der Nachkriegszeit, die bis heute Sammler in ihren Bann ziehen.
Der seltene Höhepunkt der straßentauglichen Entwicklung dieses Modells ist die hiergezeigte Leichtmetallausführung, allgemein bekannt als „Alloy“-Flügeltürer.
Für den Wettbewerb gezüchtet
Alle wichtigen Rennsiege des 300 SL sicherte sich tatsächlich eines dieser leichten Wettbewerbsexemplare. Diese unglaublich seltenen und historisch bedeutsamen Alloy-Coupés unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von ihren Standard-Stahlkarosserie-Brüdern, von denen 1.400 Exemplare produziert wurden.
Der Alu-Flügeltürer war die Idee des Mercedes-Benz Technik-Chefs Dr. Fritz Nallinger, der auf einer Vorstandssitzung Ende Februar 1954 Privatfahrern einen speziellen 300 SL vorschlug. Diese Coupés hatten ihre Karosserieteile aus Aluminium. Mit Ausnahme der Windschutzscheibe wurden alle Kabinenfenster in Plexiglas nachgebildet. Diese Änderungen führten zu einer Gesamtgewichtsreduzierung von über 100 kg, wodurch der Alu-Flügeltürer gegenüber britischen und italienischen Sportwagen wie dem Aston-Martin DB3S, dem Maserati A6GCS sowie den Ferrari 750 Monza und 250 GT besonders konkurrenzfähig wurde.
Diese speziellen Flügeltürer wurden mit Rennsport-Features ausgestattet, darunter der Hochleistungs-NSL-Motor mit Performance Nockenwelle, höherer Kompression sowie eine einzigartige Drosselklappe und ein neu kalibrierter Kraftstoffverteiler. Gut für mehr als 215 PS. Rudge-Räder mit Zentralverschluss waren ebenso Standard wie spezielle belüftete Bremstrommeln vorne. Schließlich wurde die Aufhängung mit speziellen Federn und Stoßdämpfern überarbeitet, die ein besseres Hochgeschwindigkeitshandling ermöglichten. Durch die deutliche Verringerung des Gesamtgewichts und die Steigerung des Ansprechverhaltens ist die verbesserte Leistung dieser Alu-Fahrzeuge hinter dem Lenkrad sofort erkennbar. Mercedes-Benz gab grünes Licht für die Produktion im Februar 1955 zum Aufpreis von 5.000 DM (ca. 2.500 €) pro Stück; Werksaufzeichnungen zeigen, dass nur 29 Exemplare für Privatfahrer zur Verfügung gestellt wurden (24 im Jahr 1955, 5 im Jahr 1956).
Nur sehr wenige der bedeutendsten Sammlungen der Welt enthalten derzeit ein Beispiel für dieses wichtigen Wettbewerb-Modells – vor allem aufgrund seiner extremen Knappheit und Nutzbarkeit. Die Verfügbarkeit wird durch Besitzer, die sich scheinbar nie von diesen wertvollen Fahrzeug trennen, weiter verringert.
Eine spezielle Auslieferung
Der 13. von nur 24 Alu-Flügeltürern aus dem Jahr 1955 mit der Fahrgestellnummer 5500332 wurde vom offiziellen Mercedes-Benz Vertreter Joseph F. Weckerlé aus Casablanca, Marokko, bestellt. Als versierter Rennfahrer erkannte Weckerlé sofort die Wettbewerbsabsicht dieses exklusiven Modells. Eine Kopie der Originaldatenkarte zeigt, dass das Modell am 27. Mai 1955 in Untertürkheim fertiggestellt und zwei Wochen später neu an Weckerlé ausgeliefert wurde. Die Leichtmetallausführung wurde in Silbergrau Metallic (DB 180) über einer blauen Vinyl/blauen Gabardine-Stoff-Innenausstattung (L1) ausgeführt. Zu den weiteren Werksspezifikationen gehören optionale Features wie die kürzere High-Speed-Hinterachse (3,42:1) sowie ein metrischer 270-km/h-Tacho und ein Becker-Radio. Es war das einzige von Weckerlé in Auftrag gegebene Alloy-Exemplar und als solches das einzige neu nach Afrika gelieferte Exemplar.
Der beste Gullwing
Schon früh wurde die „Weckerlé Alloy“ in die USA importiert. 1962 ging es in den Besitz von Mercer D. Helms aus Montgomery, Alabama über. 1975 verkaufte Helms es an Jack F. Bryan Jr. aus Dallas, Texas. Bryan schickte das Auto sofort zur weltweit führenden 300 SL-Reparaturwerkstatt Paul Russell and Company in Essex, Massachusetts (damals noch unter dem Namen Gullwing Service Company im nahe gelegenen Topsfield firmierend) zur vollständigen Restaurierung. Ein Fotoalbum illustriert die Fortschritte von Russells meisterhaftem Team bei der Karosserie und den mechanischen Komponenten. Diese Restaurierungsarbeiten wurden Ende 1979 abgeschlossen; handschriftliche Arbeitsaufträge in den Akten zeigen, dass damals astronomische 45.000 US-Dollar (entspricht ca. 172.000 US-Dollar im Jahr 2021) ausgegeben wurden, um diesen besonderen Flügeltürer wieder zur Perfektion zu bringen.
Bemerkenswerterweise treten Schäden an Alu-Gullwings häufig auf, da das Aluminium notorisch dünn ist und die meisten Exemplare in dieser Zeit ausgiebig gefahren wurden. Weiterhin ist bekannt, dass sich die Karosserie an den Befestigungspunkten, wo Aluminium auf Stahl trifft, verschlechtert. Infolgedessen wurden fast alle leichten Exemplare irgendwann neu "gehäutet" oder repariert, obwohl die Notizen aus der Restaurierung dieses Autos 1975 nur kleinere Reparaturen im Motorraum veranschaulichen. Laut Russells außerordentlicher Wertschätzung für Genauigkeit wurde Bryans geschätzter 300 SL originalgetreu in seiner werksrichtigen Farbkombination lackiert und mit einem neuen, passenden Kofferset gepaart. Unglaublicherweise vermerkt die Korrespondenz in den Akten, dass Jack Bryan das Auto nach Fertigstellung von Russells Werkstatt abholte und den ganzen Weg nach Hause nach Dallas fuhr!
Die Qualität von Russells Arbeit wurde sofort bestätigt, als das Auto beim National Meeting der Gullwing Group 1980 als „Bester Flügeltürer“ ausgezeichnet wurde. Bei einem so exquisit restaurierten Exemplar des seltenen Alu-Flügeltürers sollte es nicht überraschen, dass Bryan auch umgehend Anfragen zu dem Auto erhielt. Bis 1982 wurde vom damaligen Präsidenten der Gullwing Group, Hyatt Cheek, ein ausreichend gedecktes Angebot eingeholt. Cheek und Bryan kannten sich bereits als Kollegen aus Dallas, 300 SL-Sammler und VIP-Kunden von Paul Russells spezialisierter Werkstatt.
Dreißig Jahre Hyatt
Zu der Zeit, als Hyatt Cheek dieses Auto erwarb, war er auch Director-at-Large im National Board des Mercedes-Benz Club of America (MBCA). Cheek - charmant und ungewöhnlich bescheiden - wurde bald zum nationalen Präsidenten der MBCA (1984-1986) gewählt. Als Besitzer vieler schöner Exemplare der besten Modelle von Mercedes-Benz ließ sich Cheek nicht von der seltenen Konfiguration des Weckerlé-Modells abhalten, das Auto zu benutzen. Veranstaltungsaufzeichnungen zeigen, dass er den Wagen regelmäßig zu Veranstaltungen des MBCA und der Gullwing Group im ganzen Land fuhr. Er absolvierte auch mehrere Iterationen der berühmten Colorado Grand und Texas 1000 Road Rallyes, zusätzlich zu den von MBCA und Gullwing Group organisierten Fahrten. Viele der Fahrleistungen des Autos mit Cheek werden regelmäßig in den Mitgliedspublikationen des jeweiligen Clubs erwähnt.
Angesichts seines konstanten Tourplans war die mechanische Wartung das wichtigste Anliegen bei Cheeks Pflege; Rechnungen in den Akten zeigen regelmäßige Routinewartungsausgaben bei Paul Russell und anderen Markenspezialisten. Nach drei Jahrzehnten bei einem der führenden amerikanischen Markenliebhaber wurde dieser Alu-Flügeltürer im Jahr 2014 verkauft.
Der unglaublichste Sportwagen der Nachkriegszeit
Der Preis für das Modell mit der Fahrgestellnummer 5500332, das Herzstück einer herausragenden Sammlung war, war ein streng gehütetes Geheimnis. Natürlich wurden die originale Leichtbaukarosserie und der "numbers matching" 3,0-Liter-NSL-Motor des Autos beibehalten. Für den anspruchsvollen Sammler dürfte es schwierig sein, ein begehrenswerteres Exemplar zu finden als dieses Auto. Nach einer kürzlichen Fahrt berichteten die Spezialisten von RM Sotheby's, dass der Alu-Gullwing spürbar leichter ist und der Unterschied zwischen ihm und einem Standard 300 SL viel größer ist, als man erwarten würde. Es stoppt schneller, der NSL-Motor erhöht und senkt die Drehzahl mühelos und alle anderen Verbesserungen geben seinem Fahrer ein unvergleichliches Erlebnis.
Dies ist einer der begehrtesten und seltensten Mercedes-Benz der Welt. Es gibt vielleicht keinen einzigen Sportwagen der Nachkriegszeit, der so essentiell ist wie der 300 SL Alu-Flügeltürer, und dieses sagenumwobene Exemplar – das seinen zahlenmäßig übereinstimmenden NSL-Motor und die originale Alu-Karosserie beibehält. Das Fahrzeug ist sicherlich eine Trophäe für jede namhafte Sammlung - mit dem entsprechenden Kontostand, denn der 1955er Mercedes-Benz 300 SL Aluminium Flügeltürer wird bei der RM Sotheby's Auktion in Phoenix, Ariziona (USA) am 27. Januar versteigert und das Estimate für das sehr seltene Exemplar liegt zwischen 7 und 9 Mio. Dollar. (TF)
UPDATE: Der 1955 Mercedes-Benz 300 SL Alloy Gullwing wurde für den Rekord-Preis von 6.825.000 US Dollar verkauft.
49 Bilder Fotostrecke | 1 von 29 Aluminum Flügeltürer: The Alloy Gullwing - 1955er Mercedes-Benz 300 SL
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