1936 Mercedes-Benz 170V Roadster - Eine Auto-Biographie - Teil 1

Mercedes-Benz W136 - Wenn ein Stern erzählt…

1936 Mercedes-Benz 170V Roadster - Eine Auto-Biographie - Teil 1: Mercedes-Benz W136 - Wenn ein Stern erzählt…
Erstellt am 9. Februar 2012

Der 170 V, unverwüstlich wie seine Geschichte, die mit der Produktionsaufnahme im Dezember 1935 begann. Oldtimer als “Massenware“, aber vielleicht gerade darum unter “Alten Sternen“ etwas Besonderes. Er war vor dem Zweiten Weltkrieg mit 85.615 produzierten Fahrzeugen für Mercedes-Benz ein Meilenstein auf dem Weg zur Großserie, hatte es doch sein Vorgänger, der 170, seit 1931 “nur“ auf 14.000 Einheiten gebracht. Nach Kriegsende bildeten weitere 49.500 Stück, zunächst noch in Handarbeit aus dem bestehenden Teilevorrat gefertigt, die Basis für Wiederaufbau und Wirtschaftswunder.

Ebenso beeindruckend wie seine geschichtliche Stellung ist seine Typenvielfalt. Die Bandbreite reicht von der zwei- und viertürigen Limousine und der Cabriolimousine über Lieferwagen mit Kasten- und Ladepritschenaufbau sowie einer Ambulanzausführung hin zu Cabrio A und B, Kübelwagen, zwei- und viertürigem Tourer, einem Geländesport- Zweisitzer und einem Roadster. Damit sind wir beim Thema für die nächsten Wochen und etwas Lesestoff für winterliche Tage ohne eigene oder irgendwo zu bewundernde Oldtimer.

Der Roadster, hätte er keinen Stern und nicht das aufwändige Fahrwerk des 170 V mit oberer und unterer Querfeder vorn sowie hinterer Pendelachse mit Schraubenfedern, könnte man ihn mit seinem Leichtverdeck und seinen seitlichen Steckscheiben für einen Briten halten. Aber bei Daimler-Benz gingen eben auch vor dem zweiten Weltkrieg, selbst bei den kleineren Modellen, die Uhren schon etwas anders.

Ein Stern auf der Haube, ein strahlender Herbsttag mit sich färbendem Laub auf Landstraßen im luxemburgischen Gutland, das ist Fahrvergnügen pur! Aber auch das ein Erlebnis, das offenbar dank eines der Autosprache mächtigen Besitzers noch steigerungsfähig ist. Was ihm sein Roadster an Erlebtem so alles erzählt hat… Aber lesen Sie selbst!

Eine Auto-Biographie in drei Teilen - Teil 1: Die Anfänge

Dies ist die Geschichte eines Autos - eigentlich nichts Besonders in einer Autozeitung. Gewöhnlich schreibt Ihr Menschen Berichte über uns, aber hier erzähle ich Euch meine Geschichte, so wie ich sie erlebt habe.

Angefangen hat mein Leben irgendwann im Winter 1936/37, es waren raue Zeiten - nicht nur klimatisch, damals in Sindelfingen. In einer langen Reihe standen wir auf den Bändern und warteten unserer Endmontage entgegen: Vor mir eine lange Prozession und hinter mir eine ebenso lange Prozession Brüder. Vielleicht waren es auch Schwestern, so genau kann ich das nicht sagen, denn einen Namen haben wir nicht, nur 170V haben sie uns genannt - „170“ weil unser Motor rund 1.700 Kubikzentimeter hat, und „V“ weil er vorne sitzt. Es gab uns schon seit Ende 1935. Mehr als 12 Tausend waren schon vor uns über diese Bänder gerollt, und bis 1942 sollten es insgesamt 85.615 werden. Und nach dem Krieg sind noch mal 83.190 hinzugekommen. So steht’s in den Büchern, ich bin also ein Massenprodukt! Brot- und Butterauto haben sie uns auch noch verächtlich genannt. Nein, so habe ich mich nie gefühlt, das will ich nicht sein, und das bin ich auch nicht!

Ich erinnere mich noch an den Tag meiner Geburt. Kurz bevor ich aus der Fabrikhalle gerollt wurde, hatte jemand mir einen großen glänzenden Stern auf meine Kühlerhaube geschraubt, der mir bis heute den Weg anzeigt, und auf den ich mein ganzes Leben stolz war. Mit einem Klaps auf mein rundes Hinterteil wurde ich in die Autowelt hinaus geschubst. Ich war darüber sehr erschrocken, war ich doch der Einzige in unserer Reihe, dem diese Behandlung widerfuhr. „Warum schlägt er mich, ich habe ihm doch nichts getan?“ entfuhr es mir mit empörter Stimme. Da ging ein Raunen durch die Reihen, alle schauten mich mit ihren großen Kulleraugen an, und manch neidvoller Blick ist mir damals aufgefallen, ein Blick, dem ich in meinem langen Leben noch oft begegnen sollte, und auf den ich mit der Zeit fast süchtig geworden bin.

Nur 270 Roadster und nur 7 von uns soll es heute in Europa noch geben.

„Du bist doch ein Roadster!“ Tatsächlich, erst jetzt nahm ich mein Hinterteil in Augenschein und es wurde mir bewusst, dass ich nicht so aussah wie alle, die neben mir standen. Dort, wo die anderen eine Innenlenkerkabine oder gar ein dickes Cabrioverdeck mit Kutschenstangen hatten, war bei mir nichts davon! Dafür aber hatten mir meine Erbauer ein Hinterteil verpasst, wie ich es nur von den großen Kompressorsportwagen her kannte. Ein langes flach abfallendes Heck, wo das Reserverad in einer maßgeschneiderten Mulde eingebettet ist, und davor, anstelle des Kofferraumes, ein Klappdeckel unter dem 2 Notsitze hervorgezaubert werden können. Ein Dach sollte ich auch nicht brauchen, so ein Auto sei nicht für Alltagswetter gedacht! Nur um meinem schönen roten Lederinterieur einen gewissen Schutz zu geben, konnte mein Fahrer ein Verdeck überziehen, das hinter der Rückenlehne zusammengefaltet ist, und kleine Fenster auf die Türen aufstecken. Aber am schönsten bin ich oben ohne - Sportroadster, wie ich in den Verkaufskatalogen genannt werde, ganz nach dem Vorbild der 500K- oder 540K-Spezialroadster. Selten bin ich auch noch, das habe ich später herausgefunden. Nur 270 Brüder und Schwestern habe ich unter den vielen Tausend meiner Art, und nur 7 von uns soll es heute in Europa noch geben.

Im Rausch meiner Exklusivität und im Bewusstsein meiner illustren Verwandtschaft malte ich mir ein Leben in Saus und Braus vor, in dem sich mein zukünftiger Besitzer mit mir wie mit den Federn eines schönen Hahnes schmücken würde. Ich kam erst wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, als ich polternd irgendwo in einen großen Raum geschoben wurde, wo eine Menge anderer Autos mit Stern gelangweilt herumstanden. Es war der 1. März 1937, daran erinnere ich mich noch, aber wie ich dorthin gekommen bin und wo ich eigentlich war, das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht sagen. Laut Aussagen meiner Nachbarn war ich in der Schweiz gelandet, bei der Mercedes-Benz Vertriebsgesellschaft der Schweiz, um es genau zu sagen.

8 Monate wartete der 170 auf einen Käufer

Ich stand da herum und wartete ungeduldig darauf, dass mich ein Käufer mit nach Hause nahm, denn ich wollte fahren, deswegen gab es mich ja. Endlich war es soweit, und zum 1. November 1937 wurde ich zugelassen und in die Freiheit entlassen. Aus diesen ersten Tagen meines aufregenden Autolebens stammt noch die schöne Emailleplakette des Automobilclubs der Schweiz, die ich seither an derselben Stelle an meinem Kühlergrill trage, und die ich als Trophäe aus dieser Zeit überall mitnehme (solange nicht irgendein Bengel mir sie klaut).

Was ich bisher alles erlebt habe, darüber kann ich Euch hier nicht berichten, nicht nur, weil das den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, aber ganz einfach, weil ich es nicht mehr weiß! In den 70 Jahren meines Autolebens habe ich vieles vergessen, zu vieles, und das tut mir leid. Vielleicht findet sich einmal einer, der mich von irgendwo her kennt, und der meine Erinnerung etwas auffrischen kann!

Umzug nach BeNeLux

Meine Zeit in der Schweiz war schön, aber anstrengend. In den Tälern fuhr ich flott drauf los, und meine 38 PS reichten in der damaligen Zeit völlig aus, um mich bis zu 108 km in der Stunde laufen zu lassen. Aber in den Bergen, … mein Chassis tut mir heute noch weh, wenn ich daran denke, dass ich von Zeit zu Zeit dort hochkraxeln musste. Bergfahrten waren nie meine große Stärke, und ich kam schnell außer Atem. Manchmal brachten sie mich sogar bis zum Kochen. Aber ich habe es meinem Besitzer nicht übel genommen, denn allzu viele Kilometer hat er mich nicht durch die Gegend gedroschen. Eines Tages muss ich ihm Leid getan haben, und ich bin umgezogen, ins flache Land, wo ich keine harte Arbeit mehr zu machen brauchte: Nach Holland nämlich, aber wann das war, und ob ich allein umgezogen bin oder ob mein Herr mitkam, weiß ich nicht. An meinem Kennzeichen XT 8163 haben sie mich damals dort erkannt, wenn ich ausfahren durfte.



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Mittlerweile waren Jahre vergangen, und um mich zu schonen, brauchte (oder durfte?) ich nicht mehr so oft raus. Ich war auch nicht mehr so frisch wie damals, das merkte man an meiner Leistung, und als Geschenk für gute Dienste bekam ich auch einmal neues Leder auf meine Sitze. Die Ausfahrten wurden seltener, und dann kam der Tag, an dem ich in Rente geschickt wurde. Ich war mittlerweile alt und unmodern geworden, und die Neuen waren schneller und windschnittiger als unsereins. Mein Herr, oder meine Herrin muss mich aber gern gehabt haben, denn ich brauchte nicht in einer Scheune herumzugammeln. Man hatte mir einen schönen Platz im Lowman-Automobilmuseum in Raamsdonksweer reserviert, wo ich jahrelang die Blicke auf mich zog. Herr Haakman von der Edition Laman Trip hat dort sogar ein Foto von mir gemacht und in seinem Katalog „Voitures de collection - annuaire illustré 2003“ veröffentlicht. Das hat mich gefreut, und ich habe mich auch persönlich dafür bei ihm bedankt, als wir uns einmal in Luxemburg wiederbegegnet sind.

Die Tatsache, dass sich viele Leute für mich interessierten, hat mir zwar gut getan, doch konnte sie mich nicht darüber hinwegtrösten, dass ich ein untätiges Dasein fristete und langsam aber unaufhörlich dahinrostete, auch wenn von außen nichts davon zu sehen war. Ich wollte laufen, und den Leuten von heute zeigen, dass wir Alten auch noch zu gebrauchen sind. Es ist wie bei Euch Menschen. Da steckt noch viel in uns, ihr müsst uns nur die Gelegenheit dazu geben, und ihr werdet staunen - und wir sind auch gar nicht so dreckig, wie viele das glauben!

Der Tag des Wachküssens

Ich spürte, dass dies nicht das Ende meines Lebens sein sollte, und wartete geduldig auf den Tag der Erlösung, an dem ich aus meinem goldenen Käfig in die Freiheit entlassen werden würde. Irgendeinmal (ich war zu aufgeregt um mir das Datum zu merken) wurde das große Tor aufgemacht und ich wurde hinausgeschoben, nicht gefahren! Das konnte ich an dem Tag nicht, denn ich hatte zu lange herumgestanden.

Ich kam zu einem Händler nach Belgien, der mir eine Notbehandlung zukommen ließ um mich wieder auf meine müden Beine (äh, Räder) zu bringen. Ich wurde in eine Halle gerollt, wo ich, unter einer weichen Plane abgedeckt, mit vielen anderen Veteranen auf die grenzenlose Freiheit wartete. Von Zeit zu Zeit wurde die Plane entfernt und jemand kam, um mich anzuschauen. Das ging eine Zeitlang so, bis einmal einer der Neugierigen zurückkam und ich mit ihm einige Kilometer fahren durfte, um ihm zu zeigen wie gut ich noch war. Es war Liebe auf den ersten Blick, und er hat mir auch verziehen, dass ich es gut verstanden hatte, meine Schwachstellen vor seinen nicht allzu streng prüfenden Blicken zu verbergen. So kam ich am 27. November 2002, einem grauen feuchten Herbsttag, nach Luxemburg. Aber für mich war es ein Sonnentag, denn für mich begann mein zweites Leben.



Dieses Abenteuer erzähle ich Euch im zweiten Kapitel meiner Biographie.



Text: Friedrich W.Thüner, Guy Muller, V170

Fotos: Friedrich W.Thüner, Guy Muller

Mercedes-Fans Facts

1936 Mercedes Benz 170 V Sport-Roadster (W 136)

Antrieb: Reihenvierzylinder, 1697 ccm, 38 PS bei 3400 U /min, Viergang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb

Räder: Stahl-Tiefbettfelgen, 3,25 D x 16 mit Diagonalreifen 5,25-16

Fahrwerk: Vorne obere und untere, quer verlaufende Blattfeder, hinten Pendelachse mit Schraubenfedern , Trommelbremsen vorn und hinten

Sonstiges: Ganzstahlkarosserie auf x-förmigem Ovalrohr-Rahmen, Innenraum: Serie

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