1970 meldet ein Amerikaner die Computer-Maus zum Patent an und ein Auto namens Blue Flame fegt mit über 1000 Sachen über einen Salzsee in Utah. Die Beatles trennen sich und die Gitarren-Legende Jimi Hendrix stirbt nach einem Alkohol- und Drogen-Exzess. In Deutschland geht es beschaulicher zu: Während der allererste Tatort über die Bildschirme flimmert, startet in Wald und Park die Trimm-dich-Bewegung. Aber auch bei Mercedes-Benz kommt einiges in Bewegung. Beispielsweise ein legendärer Sportwagen und verschiedene Sicherheitsfeatures. In diesem Sinne: Bitte anschnallen, wir starten zum Rückblick auf das Jahr 1970!
C 111-II: Die Geburt eines Traumwagens
Ein Traum wird wahr. Er ist flach, schnell und Weißherbst-farben (nicht etwa Orange!): Auf dem Genfer Automobil-Salon des Jahres 1970 präsentiert Mercedes ein Auto, das kleine Jungs zu gerne in ihrem Quartett und große Jungs zu gerne in der Garage hätten: den C 111-II. Unter seiner atemberaubenden Karosserie, die auf Basis des Vorgängers C 111-I weiterentwickelt wurde, steckt ein seinerzeit extrem angesagter Wankelmotor. Der beschleunigt den C 111-II in 4,8 Sekunden auf Tempo 100 und hört auf Wunsch nicht auf, bis schließlich 300 km/h auf dem Tacho stehen.
Alle, die Autos lieben, sind hin und weg. Und die, die über ein entsprechendes Vermögen verfügen, sind zu allem bereit. Viele stellen, so sagt es die C 111-Legende, Blankoschecks aus, um den ersten Mercedes-Flügeltürer seit dem 300 SL (W 198) zu besitzen. Doch das Werk verpasst den erhitzten Fans eine kalte Dusche. Serienfertigung? Nein danke! Der Wankel-Motor hatte noch nicht die Reife erreicht, dass man ihn hätte nach unseren Maßstäben in Kundenhand geben können, erklärt vor rund 10 Jahren Dr. Hans Liebold, der für die Entwicklung des C 111 verantwortlich war. Hohe Emissionswerte und ein, selbst für damalige Zeiten, üppiger Verbrauch auto motor und sport ermittelt 1970 in einem Mercedes-Test einen Durchschnitt von 20 Litern auf 100 Kilometern stoppen den C 111-II endgültig. So platzt der Traum, bevor er gelebt werden durfte und wurde gleichzeitig unsterblich.
Houston, wir haben ein Problem
Ein Steuerungsmodul von Apollo 13? Nein, lediglich der Vierscheiben-Wankelmotor des Mercedes-Benz C 111-II
Der 13. April 1970 ist kein Freitag, sondern ein ganz normaler Montag. Alles andere als normal laufen allerdings die Dinge an Bord des US-Raumschiffs Apollo 13: Die Explosion eines Sauerstofftanks macht das Kommandomodul so gut wie unbrauchbar. Ein Super-Gau 321.869 km von der Erde entfernt. Kommandant Jim Lovell nimmt sofort Kontakt zur Bodenstation in Houston auf. Seine Worte werden weltberühmt: Houston, wir haben ein Problem.
Dass dieser Satz heute nicht an eine Tragödie erinnert, liegt daran, dass es der Besatzung von Apollo 13 in Zusammenarbeit mit dem Kontrollzentrum gelingt, durch Improvisationstalent, Geschick und Glück doch noch heil zur Erde zurückzukehren. Weshalb es letztlich zu der Explosion kam, ist umstritten. Einige Quellen geben einem gebrochenen Kabel im Sauerstofftank die Schuld, andere verweisen auf ein wegen Überspannung kurzgeschlossenes Thermostat.
ABSofort sicherer
Bereits 1970 existiert das Antiblockiersystem, kurz ABS, nicht nur in den Köpfen der Mercedes-Benz-Konstrukteure, sondern dreht bereits Runden auf der Teststrecke. Genauer gesagt werden auf der Einfahrbahn in Untertürkheim Fahrversuche mit Coupés der Baureihe 114 durchgeführt. Im direkten Vergleich zeigt sich, dass der Wagen mit ABS an Bord auch beim harten Bremsen in Kurven spurstabil bleibt, während sein konventioneller Bruder schnell vom rechten Weg abkommt.
Ein weiterer Meilenstein in Sachen Sicherheit ist der Dreipunkt-Sicherheitsgurt. Eine Patentschrift aus dem Jahr 1970 belegt, dass dieses heute selbstverständliche Feature ebenfalls aus dem Hause Mercedes-Benz stammt. 1971 wird der Dreipunktgurt erstmals serienmäßig im Mercedes 280 SL verbaut.
Das tut schon beim Zusehen weh: Um die Crashsicherheit von Kunststoff-Karosserien zu untersuchen, opfert Mercedes-Benz einen C 111. Entwarnung für alle Mercedes-Oldtimer-Fans: Es ist nur eine C 111-Karosserie, die einem kontrollierten Seitenaufprall mittels Stoßwagen ausgesetzt wird. Weh tuts trotzdem.
Der berühmteste Kniefall der Welt
Es gibt politische Denkmäler, die einen traurigen Hintegrund haben, und es gibt Denkmäler, die bis heute begeistern. Der C111 gehört definitiv in die zweite Katergorie.
Zu den Bildern des Jahres 1970 gehört in jedem Fall auch dieses: Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt macht einen Kniefall vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau. Diese Demutsgeste sorgt international für Aufsehen. Doch Brandt erhält dafür nicht nur Anerkennung: Während er 1971 für seine Aussöhnungspolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, muss er sich in der Heimat mit Kritik auseinandersetzen. Nicht wenige halten seinen Kniefall für unangemessen. Allen voran natürlich seine politischen Gegner. Doch auch die können nicht verhindern, dass der Kniefall von Warschau bis heute in fast jedem Buch zu deutschen Geschichte auftaucht.
Meilen-Millionäre mit Stern
Wie viele Kilometer fahrt ihr, liebe Mercedes-Fans, mit eurem Auto, bis ihr es schließlich auswechselt? Vielleicht 100000 Kilometer oder sogar 200000? Da ist das Ehepaar Koschel aus Kalifornien aus anderem Holz geschnitzt: Sie legen in Ihrem 1970 gebauten Mercedes-Benz 280 SE (W 108) mehr als eine Million Meilen zurück! Umgerechnet stehen 1.630.400 Kilometer auf dem Tacho der Limousine. Das ist eine Menge Holz, doch es gibt Langläufer mit noch mehr Ausdauer. Beispielsweise ein 250 D-Taxi aus Finnland mit 1.650.000 Kilometern auf der Uhr oder einen 200 D, der in Portugal 1.860.000 Kilometer als Taxi abspulte. Der König der Kilometerfresser unter den Mercedes-Oldtimern ist aber unbestritten der 240 D von Gregorio Sachinidis aus Griechenland: Sein Taxi nahm insgesamt mehr als 4,5 Millionen Kilometer unter die Räder.
Politische (Macht)demonstrationen
Im automobilen Sinn war der C 111-II eine echte Waffe - allerdings eine durch und durch friedliebende. Eventuelle Feinde hätten nur aus Zuffenhausen oder Maranello kommen können.
Am 29. April 1970 marschieren US-Truppen in Kambodscha ein. Denn die Regierung rund um Präsident Nixon ist überzeugt, dass der kambodschanische Staatschef Sihanouk nicht energisch genug gegen die Nachschubwege der Nord-Vietnamesen durch sein eigenes Land vorgeht. Tatsächlich wird der sogenannte Ho-Chi-Minh-Pfad regelmäßig für die Versorgung nord-vietnamesischer Truppen genutzt, die mit dem USA im Krieg sind. Damit wird Kambodscha endgültig in den Vietnamkrieg hineingezogen.
In Japan dringt der Schriftsteller Mishima Yukio mit Mitgliedern seiner Privatarmee ins Hauptquartier der japanischen Verteidigungsstreitkräfte ein. Bei dieser für einen Schriftsteller eher ungewöhnliche Aktion wird der Kommandant des Stützpunktes als Geisel genommen und seine Soldaten zur Besetzung des japanischen Parlaments aufgerufen. Doch der versuchte Staatsstreich scheitert, woraufhin Yukio und seine Anhänger Selbstmord begehen.
14 Bilder Fotostrecke | 1970: Premieren in Stuttgart, Pannen im Weltall: Die Mercedes-Chronik des Jahres 1970
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