Ein Baby-Benz von 1963 - Irrtum in der Jahreszahl oder? Die Antwort ist ein weißer Krankentransportwagen (KTW) Daimler-Benz Typ 180 Dc auf Pontonbasis von 1963, der immer noch, und das voll ausgestattet, im Ruhrgebiet unterwegs ist. Manch eine Oldtimerveranstaltung kann sich dank seiner Teilnahme rühmen, eine stilgerechte Sanitätsdienstbetreuung einschließlich fachkundigen Personals anzubieten. Schließlich ist der Besitzer und Fahrer promovierter Arzt für Allgemeinmedizin und Arzt im Deutschen Roten Kreuz.
}Der Ponton bedeutete bei seiner Produktionsaufnahme 1953 als W 120 für Mercedes-Benz den Aufbruch in eine neue Epoche, die Abkehr von den bisherigen Rahmenfahrzeugen zur selbst tragenden Karosserie. Diese folgte dem aus den USA bekannten "Three Box" Prinzip mit voll integrierten Kotflügeln, rechteckigem Karosseriegrundriss und jeweils quaderförmigem Vorderwagen, Innenraum und Heck. Eine kontinuierliche Modellpflege war die Basis für seine lange Produktionszeit, die bis 1962 andauerte.
Angetrieben durch OM 621 IV mit 48 PS
Unser KTW entspricht in Trieb- und Fahrwerk den Limousinen einschließlich 4-Gang Lenkradschaltung. Lediglich die Hinterachse hat eine für den Krankentransport angepasste Federung. Der ursprünglich 1954 vom 170 DS übernommene Dieselmotor mit 40 PS wurde inzwischen durch eine Neukonstruktion OM 621 IV mit 48 PS und einem Drehmoment von 11,0 mkg bei 2200 U/min ersetzt. Von dieser nun Dc genannten Variante wurden 1961/1962 lediglich 222 Stück als Fahrgestell mit Teilkarosserie hergestellt.
1962 produziert, wurde das Fahrgestell unseres KTW 1963 bei der traditionell im Krankenwagenbau bekannten Firma Christian Miesen Fahrzeug- und Karosseriewerke in Bonn mit seinem Aufbau versehen. Dort fertigte man bereits 1901 den ersten pferdebespannten Krankenwagen, der an die Stadt Bonn ausgeliefert wurde. Der erste Automobil – Krankenwagen folgte 1905.
Spezialfahrzeug für den Transport von Notfall–Neugeborenen
Ausgeliefert wurde der KTW an die Universitätsklinik Münster und war dort seit dem 22.02.1963 u.a. als Spezialfahrzeug für den Transport von Notfall–Neugeborenen im Einsatz. Somit ein echter Baby-Benz! Seine Farbe war, wie seinerzeit üblich, NATO-oliv. Ab Dezember 1970 "diente" er als Kranken- und Rettungsfahrzeug bei der Werksfeuerwehr einer Maschinenfabrik in Düsseldorf. Hier wurde er auf Weiß umlackiert. In seinen letzten Jahren dort wurde er allerdings umgewidmet und war für die Frau des Besitzers bis Ende 1993 "Mädchen für alles", vornehmlich Transportfahrzeug.
1994 wurde das Leben dann wieder standesgemäß. Von Dr. Martin Walter im OLDTIMER MARKT entdeckt ging es nunmehr zurück in Richtung Medizin. Dazu erzählt Martin eine Episode: "Auf einer Ausfahrt traf ich vor längerer Zeit einmal auf einen gerade passierten Motorradunfall. Selbstverständlich hielt ich an und kümmerte mich um die Erste Hilfe. Nachdem die ersten Schritte eingeleitet waren, fragten Passanten, ob die Stadt Dortmund inzwischen so wenig Geld habe, dass sie solch ein altes Fahrzeug wie meines im Rettungsdienst einsetzen müsse."
Da wir schon einmal von Behörden redeten, kam er auf das voll funktionsfähige Blaulicht seines Fahrzeugs zu sprechen. Um es ohne Abdeckhülle fahren zu können, so berichtete er, sei eine schriftliche Genehmigung des Regierungspräsidenten mit der Begründung der Erhaltung der Originalität erforderlich. Diese Erlaubnis sei alle fünf Jahre, selbstverständlich gebührenpflichtig, zu erneuern. Allerdings werde sie nur noch für schon seit Längerem in Betrieb befindliche ehemalige Behördenfahrzeuge verlängert. Für neu wieder zugelassene Oldtimer gelte diese Regelung nicht.
Etwas zweckentfremdet abseits vom Krankentransport wird das Fahrzeug inzwischen von Doc Martin auch zu normalen Privatfahrten im Alltagseinsatz genutzt. Dabei ist der Verbrauch von 7,5 Litern Diesel im Stadtverkehr immer wieder beeindruckend. Vor allem lobt Martin die Zuverlässigkeit seines Baby-Benz. Bisher waren außer einer neuen Kupplung und einer Anlasserüberholung während der letzten einundzwanzig Jahre keine größeren Reparaturen erforderlich.
(Zuver-)Lässiger Baby-Benz
Auch vor längeren Strecken bangt es den Oldtimer-Doktor nicht. So erzählt er von einer Tour mit Oldtimerfreunden in die Eifel und einem alle Nerven fordernden Ritt durch die Nürburgring-Nordschleife: "Offenbar durch das Fahrzeuggewicht wurde der Wagen, so bald ich etwas vom Gas ging, an die untere Kurvenkante gedrückt. Gegenlenken war nicht möglich, weil ich fürchtete, über den oberen Kurvenrand getragen zu werden. Also gab es nur Eines: Vollgas und mit den mehr als 1,5 Tonnen (einschließlich Notfallausrüstung) durch! Angstschweißgebadet beendete ich die Runde. Ein wahrer Ritt durch die grüne Hölle! Da habe ich mich doch ein wenig nach dem 111er Coupe´ gesehnt , das ich statt meines KTF hätte auf diese Tour mitnehmen können." Auf jeden Fall war aber ein Rettungsfahrzeug dicht dabei!
Unrestaurierter Originalzustand
Wann trifft man schon ein solches Fahrzeug im normalen Straßenverkehr, außer seiner Umlackierung völlig unrestauriert und selbstverständlich rostfrei, voll alltagstauglich, komplett ausgerüstet –auch zum Babytransport. Mit Doc Martin zudem fachkundig besetzt, auch wenn dieser kein Kinderarzt ist.
Text und Fotos: Friedrich W. Thüner
Mercedes-Fans Facts
1963 Mercedes-Benz 180 Dc (W120)
Motor: OM 621 IV
Getriebe: 4-Gang, Lenkradschaltung
Bremsen: Trommeln vorn und hinten
Räder: Tiefbettfelgen 5 JK X 13 B
Reifen: 6,70-13
Fahrwerk: Rahmenbodenanlage, Doppel-Querlenker, Schraubenfedern, Teleskopdämpfer und Drehstabstabilisator vorn, Eingelenk-Pendelachse, Schraubenfedern, Teleskopdämpfer hinten
Karosserie: Krankentransportfahrzeug Miesen, Bonn
Innenraum: Krankenraum lt. DIN 75080
51 Bilder
Fotostrecke | Krankentransportwagen: 1963er Mercedes-Benz 180 Dc Ponton KTW (W120)
1 Kommentar
Robin Kamp
31. August 2015 21:36 (vor über 9 Jahren)
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