Mercedes-Benz Baureihen: W110 - die "kleine" Heckflosse (1961-'68)

Erstmals eine Sicherheits-Fahrgastzelle mit Knautschzonen

Mercedes-Benz Baureihen: W110 - die "kleine" Heckflosse (1961-'68): Erstmals eine Sicherheits-Fahrgastzelle mit Knautschzonen
Erstellt am 4. April 2013

Für die Oberklasse von Mercedes-Benz beginnt das Zeitalter der Heckflossen bereits 1959 mit den Typen 220, 220 S und 220 SE der Baureihe 111. Dann erobert diese neue Karosserieform mit ihren an amerikanisches Fahrzeugdesign erinnernden Peilstegen am Heck im August 1961 auch die obere Mittelklasse. Zunächst bietet Mercedes-Benz zwei Vierzylindermodelle an, die Typen 190 und 190 D der Baureihe 110. Sie lösen die gleichnamigen Ponton-Modelle ab.

Das Baukastenprinzip der Einheitskarosserie dekliniert Mercedes-Benz in den kleinen und großen Versionen der Heckflossen-Ära besonders konsequent durch: Der Unterschied im Radstand verringert sich von immerhin 17 Zentimetern im Ponton nun auf ganze fünf Zentimeter (2,70 Meter im W 110 und 2,75 Meter im W 111). Der Vorderwagen macht die Unterschiede zwischen oberer Mittelklasse und Oberklasse mit seinem Auftritt deutlich.

Doch von der Frontscheibe bis zum Heck haben beide Baureihen eine Einheitskarosserie, für Unterschiede sorgen hier vor allem die Zierelemente. Neben dieser weitgehend identischen Karosserie verbindet auch das gemeinsame Fahrwerk die beiden Baureihen.

Gemeinsame Entwicklung

Die Vorteile der Einheitskarosserie liegen für Mercedes-Benz vor allem im ökonomischen Bereich, weil sich so Kosten für Entwicklung, Fertigung und Ersatzteilhaltung reduzieren lassen. Außerdem kommt durch die weitgehend identische Karosserie der Fahrer eines Mittelklasse-Modells in den vollen Genuss der großzügigen Platzverhältnisse von Innenraum und Kofferraum. Die noch stärkere Angleichung beider Baureihen bringt aber auch Nachteile mit sich: Einerseits wächst die Gesamtlänge der Vierzylindertypen gegenüber den Vorgängermodellen um 23 Zentimeter, obwohl der knapper werdende Parkraum bereits nach kompakten Mittelklasse-Automobilen verlangt. Andererseits wünscht sich so mancher Oberklasse-Kunde eine größere Distanz zu den Modellen der kleineren Baureihe.

Wirklich verwechseln lassen sich die beiden Baureihen aber beim genaueren Blick nicht: Auffallende Erkennungsmerkmale der 190er sind die runden Scheinwerfer, der kürzere Vorbau sowie die von den Ponton-Typen übernommenen Blinkleuchten, die am hinteren Ende auf den Vorderkotflügeln sitzen. Kennern fällt außerdem sofort auf, dass die von den Sechszylindern bekannten Entlüftungsöffnungen in der C-Säule samt zugehörigen Zierelementen sowie die Chromecken oberhalb der vorderen Stoßstange fehlen.

Technisch lehnt sich der neue Typ 190 ebenfalls sehr stark an den Typ 220 an: Vorder- und Hinterradaufhängung sowie Bremsanlage übernehmen die Ingenieure unverändert vom großen Bruder. Die Rahmenboden-Anlage stammt ebenfalls von den Sechszylindertypen und wird dem kürzeren Vorbau der Vierzylinder sowie dem reduzierten Radstand angepasst. Und zusammen mit dem Typ 220 erhalten auch die Typen 190 und 190 D im August 1963 eine Zweikreisbremsanlage mit Bremskraftverstärker und Scheibenbremsen vorn.

Zweiliter-Diesel im 190 D

Der neue Diesel-Typ 190 D müsste eigentlich 200 D heißen. Denn sein Vorkammer-Motor OM 621 III hat durch Aufbohren einen um knapp zehn Kubikzentimeter größeren Hubraum als sein Vorgänger. Dazu kommen eine modifizierte Nockenwelle und die neu abgestimmte Einspritzpumpe sowie optimierte Saugrohre. Dank dieser Veränderungen leistet der Motor nun 40 kW (55 PS) – 3,7 kW (5 PS) mehr als der Vorgänger.



Den Ottomotor des Schwestermodells überarbeiten die Mercedes-Benz Ingenieure weniger stark. Er leistet weiterhin 59 kW (80 PS), punktet jedoch mit besserer Laufruhe. Seit August 1962 bieten die Stuttgarter den 190 auf Wunsch auch mit einem im eigenen Haus entwickelten Viergang-Automatikgetriebe an, seit Juli 1963 ist diese Option auch beim Dieselmodell zu wählen. Der Aufpreis für das komfortable Extra kostet bei beiden Wagen 1400 DM – genauso viel wie bei den Sechszylindertypen.

1965: Abschied von der Einheitskarosserie

Mercedes-Benz stellt im August 1965 die neuen Oberklasse-Typen der Baureihe 108 vor. Damit beginnt der Abschied vom Konzept der Einheitskarosserie, das die Limousinen zweier Fahrzeuggenerationen maßgeblich geprägt hat. Gleichzeitig mit dem Debüt des S-Klasse-Vorgängers präsentiert Daimler-Benz auch die beiden Vierzylindermodelle in verbesserter Form und mit neuen Typenbezeichnungen. Die Typen 200 und 200 D treten die Nachfolge der seit vier Jahren produzierten 190er an.

An der Karosserie gibt es nur Detailänderungen: zum Beispiel kombinierte Blink-, Park- und Nebelleuchten unterhalb der Scheinwerfer, während die Blinker auf den Kotflügeln verschwinden. Auch die seitherigen Rückleuchten weichen trapezförmigen und etwas kantigeren Leuchteinheiten. In die C-Säulen übernehmen die Gestalter die bereits aus den Sechszylindermodellen bekannten Entlüftungsöffnungen mit entsprechenden Zierelementen. Am Heck entfallen die Zierleisten der Peilstege, dafür gibt es nun einen durchgehenden Chromstreifen als Abschluss des Kofferraumdeckels und je eine Zierleiste unterhalb der Heckleuchten.



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1965: Erster Sechszylinder in der kleinen Heckflosse

Zusammen mit den Typen 200 und 200 D stellt Mercedes-Benz den neuen Typ 230 vor. Diese Limousine der Baureihe 110 gleicht zwar äußerlich den Vierzylinder-Pkw. Aber unter seiner Motorhaube arbeitet der 2,3-Liter-Sechszylinder aus dem Oberklassetyp 230 S. Für den Einsatz in der oberen Mittelklasse wird die Leistung des Reihensechszylinders M 180 VI durch Kombination mit der Vergaseranlage des Zweilitermotors M 121 B XI zunächst auf 77 kW (105 PS) gedrosselt. Von Juli 1966 an erhält der Mercedes-Benz 230 dann sogar den unveränderten Motor des Typ 230 S mit einer Leistung von 88 kW (120 PS). Damit steigt die Höchstgeschwindigkeit auf 175 km/h (vorher 168 km/h), und die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h verbessert sich von 14 Sekunden auf 13 Sekunden.

Der aus dem überarbeiteten Typ 190 entstandene Mercedes-Benz 200 kann bei diesen Fahrleistungen recht gut mithalten: Sein Motor bietet (ebenso wie der Diesel-Vierzylinder) einige technische Neuerungen. So ist der Hubraum des 1,9-Liter-Ottomotors durch Aufbohren auf zwei Liter gewachsen. Gleichzeitig steigt die Verdichtung, und statt einem kommen nun zwei Fallstromvergaser zum Einsatz. So klettert die Leistung um stattliche 11 kW (15 PS) auf 70 kW (95 PS). Damit erreicht der Typ 200 nun eine Spitzengeschwindigkeit von 161 km/h und beschleunigt in 15 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Beim Typ 190 betragen diese Werte 150 km/h und 18 Sekunden. Der weiteren Verbesserung der Laufruhe dient die nun fünffache Lagerung der Kurbelwelle. Von dieser Maßnahme profitiert auch die Dieselvariante. Die Fahrleistungen des 40 kW (55 PS) starken Typ 200 D unterscheiden sich jedoch nicht von denen seines Vorgängers (Spitze 130 km/h, 29 Sekunden von 0 auf 100 km/h).

Erste Kombinationslimousine von Mercedes-Benz

Wie bei den Vierzylindermodellen der Mittelklasse-Baureihe traditionell üblich, liefert Mercedes-Benz auch die Typen der Baureihe 110 als Fahrgestelle mit Teilkarosserie an Aufbauhersteller im In- und Ausland. Die kleine Heckflosse wird aber auch von den Stuttgartern selbst modifiziert: Auf der Brüsseler Automobilausstellung im Januar 1965 hat der Mercedes-Benz 190 D Universal Premiere, eine Kombiwagen-Variante der belgischen Firma IMA. Diese Version des Typ 190 D vertreibt Mercedes-Benz als Serienversion über das eigene Händlernetz. Damit ist der Typ Universal der Vorgänger des T-Modells, das als Karosserievariante jedoch erst in der Baureihe 123 eingeführt wird.

Die Überarbeitung und Ergänzung des Pkw-Programms der oberen Mittelklasse von Mercedes-Benz wirkt sich auch auf das Angebot von IMA aus. Die Belgier bieten schließlich vier Varianten ihrer Kombinations-Limousine an: Neben dem Typ 200 D Universal als logischem Nachfolger des Typ 190 D Universal gibt es nun auch Kombi-Versionen der Typen 200, 230 und 230 S. So bietet Mercedes-Benz nicht nur einen Universal-Kombi mit Sechszylinder im Kleid der oberen Mittelklasse, sondern sogar auf Basis der Oberklasse-Baureihe 111. Mit dem längeren Vorbau, der typischen Front der Sechszylinder-Limousinen mit hochrechteckigen Scheinwerfern und üppiger Chromzier ist diese Variante von 1966 ein besonders repräsentativer Ahn späterer Lifestyle-Kombis. Alle vier Varianten werden in Deutschland von August 1966 bis Ende 1967 über die Daimler-Benz Verkaufsorganisation vertrieben.

Fahrgestelle mit langem Radstand

Die neuen Universal-Modelle haben 15-Zoll-Räder, eine geänderte Hinterachsübersetzung, verstärkte Federn und eine neu entwickelte hydropneumatische Ausgleichfeder als Grundausstattung. Von diesen Verbesserungen profitieren auch alle Fahrgestelle, auf denen die Sonderausführungen anderer Hersteller basieren. Einen hohen Verbreitungsgrad erreichen darunter vor allem die Krankenwagen-Aufbauten der Firmen Binz in Lorch und Miesen in Bonn.

Für besonders große Flexibilität sorgt das Angebot eines Fahrgestells mit langem Radstand, das Mercedes-Benz von allen überarbeiteten Typen 200 D bis 230 ins Programm nimmt. Dabei wächst der Radstand um 40 Zentimeter auf 3,10 Meter. Bevorzugt wird diese Basis für Krankenwagen und Bestattungsfahrzeuge eingesetzt. Noch mehr Platz bietet von April 1967 an die Limousine mit 3,35 Meter langem Radstand auf Basis des Typ 200 D. Dieses Fahrzeug bietet zusätzlich zum Chauffeur sieben Passagieren Platz. Nachgefragt werden solche Sonderausführungen der wirtschaftlichen Diesel-Limousine insbesondere von zahlreichen Taxi- und Mietwagenbetrieben des Auslands. Aber auch Fluggesellschaften, Konsulate und Behörden setzen den Achtsitzer ein.

Im Februar 1968 endet die Produktion der letzten Heckflossen-Modelle, nachdem im Januar die stilistisch und technisch vollkommen neu entwickelten Modelle des sogenannten „Strich-Acht“ auf den Markt kommen. In sechseinhalb Jahren Produktionszeit entstehen im Werk Sindelfingen insgesamt 622.453 Limousinen und 5.859 Fahrgestelle mit Teilkarosserie.

11 Bilder Fotostrecke | Mercedes-Benz Baureihe: W110 - die kleine Heckflosse (1961-'68): Erstmals eine Sicherheits-Fahrgastzelle mit Knautschzonen #01 #02

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