Der Mercedes 300 SL Flügeltürer gilt seit den 1950er Jahren als eines der schönsten Autos aller Zeiten. Nicht ganz so elegant, aber umso einzigartiger ist die Produktionsnummer 11 des Mercedes 300 SL der Baureihe W 194. Wir waren mit den seltsam anmutenden Flügeltürer, der nicht ganz zu Unrecht den Namen „Hobel“ trägt, in Kalifornien unterwegs.
Man schaut ihm ins Gesicht und auf sein silbernes Kleid. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen mit diesem Flügel. Diese Scheinwerferaugen, dieses ungewöhnliche Heck mit den seltsamen Luftauslässen im hinteren Radlauf und keinerlei Stoßfänger. Klar ist das ein Flügeltürer aus dem Sternenimperium, aber ein ganz besonderer und wohl der spektakulärste, den es je gab. Auch, weil er es letztlich nicht auf die Rennstrecken diese Welt schaffte. „1952 war der W 194 mit der Produktionsnummer elf als Rennsportprototyp für die Saison 1953 erschaffen worden“, blickt Michael Plag, Klassikexperte von Mercedes in die turbulente Nachkriegszeit zurück, „er ist ein absolutes Einzelstück mit vielen technischen Neuerungen, die hinterher in Serie gingen und etwas grobschlächtig gebaut, wie man es an vielen Details sehen kann. Deshalb trägt er den Spitznamen Hobel.“ Da sich Mercedes seinerzeit kurzfristig entschließt, 1954 wieder in die Formel 1 einzusteigen, war es das mit den zu erwartenden Rennerfolgen der Baugruppe elf. „Denn bei den Testfahrten war er deutlich schneller als die Vorgängermodelle“, sagt Plag.
Eine geheime Legende: Der W194 mit der Nummer 11
Der Hobel Nummer elf der Flügeltürer-Baureihe W 194 ist einer wie keiner. Nicht so schön und elegant wie das spätere Serienmodelle des W 198 und nicht so erfolgreich wie die legendäre Nummer fünf, mit dem Rudolf Caracciola, dreimaliger Europameister der Silberpfeilära von 1934 bis 1939, bei der Mille Miglia 1952 den vierten Rang belegte und Hermann Lang Zweiter bei der Carrera Panamericana wurde. Doch gerade weil die Nummer elf so eigenwillig konstruiert wurde und dabei so manche Ecken oder Kante aufweist, ist der Hobel eine geheime Legende. Gesicht und Heck sind gleichermaßen prägnant und einzigartig zugleich. Viele seiner Ausstattungen finden sich in den späteren Serienmodellen wieder; solche, die strahlend schön den 198er zur rollenden Legende machten. Denn anders als seine Vorgänger hatte der Hobel mit der Chassisnummer 0011/52 bereits Details wie den Dreiliter-Reihenmotor mit Direkteinspritzung oder ein Getriebe in Transaxle-Bauweise – konstruiert von Daimler-Legende Rudolf Uhlenhaut. An diesem Morgen wirkt er auf dem Parkplatz der Luxusenklave von Pebble Beach wie in seiner Heimat und doch als Raumschiff auf einer anderen Zeit. Es ist früh und kühl, der Tau benetzt die dünnen Gläser und die Magnesiumkarosse. Innen? Beinahe alles wie man es kennt vom Flügeltürer. Doch dieser hat es faustdick hinter den Ohren.
Leistungssteigerung für den 300 SL - Doch Uhlenhaut warnt!
Anders als die vorherigen Rennwagen - ebenfalls mit der Bezeichnung W 194 – und den Fahrgestellnummern eins bis zehn - bleibt die Nummer elf ein Unikat. Ein Modell, das speziell vom Motor stark den Seriensportwagen 300 SL der Baureihe W 198 beeinflusst, aber vom Fahrwerk eher eine Vorstufe zu den Renn- und Sportwagen der Baureihe W 196 bildet, die von 1953 an konstruiert werden und 1954 erfolgreicher denn je an internationalen Rennen teilnehmen. Das Einzelstück bekommt nicht nur eine eigenständige Karosserie sondern auch einen Leistungsnachschlag. Durch die erstmals verbaute Benzindirekteinspritzung leistet der Reihensechser 157 kW / 214 PS. In den Bauprotokollen warnt Uhlenhaut jedoch davor, es allein bei der Mehrleistung zu belassen: „Meines Erachtens wäre es falsch, aufgrund der Leistungssteigerung und der Steigerung des maximalen Drehmomentes eine wesentliche Erhöhung der erzielbaren Durchschnitts-Geschwindigkeiten zu erwarten. Auf dem Nürburgring waren weder Kling, Lang noch ich schneller mit dem einwandfrei laufenden Kompressor-SL als mit dem normalen SL.“
Walter Gragert plant mit einer modifizierten Karosserie
Auf der Suche nach mehr Höchstgeschwindigkeit für die geplante Rennsaison kommen einer verbesserten Aerodynamik durch eine geänderte Stirnfläche und einer geänderten Kühlluftführung elementare Bedeutungen zu. Daher sieht der Hobel so aus, wie er aussieht. Leichtes Grinsegesicht, gepasste Scheinwerfer und Blinker sowie Kühlauslässe am Heck und aerodynamisch verbesserte Rückleuchten, die durch den Verzicht auf Stoßstangen noch auffälliger werden. Die Pläne für die modifizierte Karosserie der Baunummer elf stammen dabei vom Konstrukteur Walter Gragert, der zuvor bei der renommierten Karosseriebaufirma Gläser in Dresden gearbeitet hatte.
Technische Updates für den Flügeltürer
Dazu bekommt der Rennwagen eine Diät verabreicht, denn durch
die Verwendung von einer Magnesiumlegierung anstelle von Aluminium / Duralumin werden 30 Kilogramm gespart. Noch einmal das gleiche Gewicht bringt die Verwendung eines Aluminium-Kurbelgehäuses. Weitere Detailveränderungen wie das leichtere Getriebegehäuse, Stoßdämpfer, Pleuel oder Schwungrad machen den Rennwagen um fast 96 Kilogramm leichter. Auf der anderen Seite bringen das Verlegen des Getriebes an die Hinterachse, die Benzineinspritzung und die Verwendung von größeren 16-Zoll-Rädern einen Zuwachs von 26 Kilogramm. Vergleicht man die Fahrzeuge W 194/8 mit seinen 1.095 Kilogramm und dem Hobel W 194/11, ist dieser mit 1.009,5 Kilogramm deutlich leichter – beide Fahrzeuge gemessen mit vollem 150-Liter-Tank und Motoren mit Graugussblocks.
Nummer 11 ist schneller!
Gleichzeitig werden der Radstand von 2,40 auf 2,30 Meter reduziert und die Hinterachse wird leicht tiefergelegt, um bei schneller Kurvenfahrt die gesteigerte Motorleistung besser auf die Fahrbahn bringen zu können. Die Fahrleistungen des Hobels sind den gleichzeitig gefahrenen Wagen der Baureihe W 194 deutlich überlegen. In Monza fährt Juan Manuel Fangio am 30. September und 1. Oktober 1953 mit dem W 194/8 eine Rundenzeit von 2 Minuten und 15 Sekunden; die Nummer elf ist 7,5 Sekunden schneller. Uhlenhaut selbst kommt mit dem W 194/8 auf der Solitude-Rennstrecke im Oktober 1953 auf 5:11,5 Minuten – auch hier ist der optimierte W 194 / 11 über acht Sekunden schneller.
Hinterm Steuer: Der 300 SL fährt wie ein echter Prototyp
Von dem erhöhten Potenzial ist hinter dem Steuer heute nur wenig zu spüren. Er fährt sich wie ein W 194, überraschend kommod im Innern und was nach wenigen Metern klar wird, als Einzelstück von der Werkbank tatsächlich etwas grobschlächtiger zusammengebaut, denn er knirscht und knarzt wie ein echter Prototyp. Die Geräuschdämmung ist überschaubar und so brüllt der Sechszylinder sich noch wilder als man es kennt, durch den feuchten Morgen am Pazifik. Der Motor will gedreht, der Hoben geritten werden – er ist ein Rennwagen, keine Reisecoupé. Dabei lassen sich die größeren Räder und die geänderte Gewichtsverteilung noch am ehesten ertasten, als es flotter auf der kalifornischen Küstenstraße vorangeht. Die Sternenpiloten der Mittfünfziger Jahre hätten mit diesem Rennwagen sicher so manchen Gegner das Fürchten gelehrt. Doch der Hobel ist der ungewöhnliche Zwischenschritt zum legendären Flügeltürer des W198 – nicht weniger spektakulär und einzigartiger denn je.
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