Urahn der heutigen S-Klasse

„GoldenerZwanziger“ - Mercedes-Benz 680 S

Urahn der heutigen S-Klasse: „GoldenerZwanziger“ - Mercedes-Benz 680 S
Erstellt am 24. Mai 2017

Die Jahre zwischen 1924 und 1929 sind in Deutschland als die „Goldenen Zwanziger“ in die Geschichte eingegangen. Die Konjunktur hatte nach den Folgen des Ersten Weltkriegs bis zur Weltwirtschaftskrise am Ende des Jahrzehnts wieder einigermaßen Tritt gefasst, und es gab wieder Leute, die sich den Luxus so edler Automobile leisten konnten wie sie jetzt das junge Unternehmen Daimler-Benz AG baute, das 1926 aus der Fusion der Daimler-Motoren-Gesellschaft mit Benz & Cie entstanden war. Eines davon war der Mercedes-Benz Typ S. Was Luxus und Exklusivität angeht, ist er ein Urahn der heutigen S-Klasse.

Der Mercedes-Benz Typ S – wegen seines Hubraums von 6,8 Litern auch als Typ 680 S bezeichnet – erschien im Jahr 1927 als Weiterentwicklung des Mercedes-Benz Supersportwagens Modell K. Er begründete die legendäre Familie der schweren Kompressorwagen, zu denen auch die 1928 erschienenen Modelle SS und SSK gehörten. Seine geistigen Väter waren die legendären Konstrukteure Ferdinand Porsche, Hans Nibel, und Fritz Nallinger. Die Leistung von 88 kW / 120 PS ohne und 132 kW / 180 PS mit Kompressor in der Straßenversion war für ein Spitzentempo von 170 km/h gut. Dieses Potenzial – unterstützt durch jeweils zwei Zündkerzen auf allen der sechs Zylinder – machte das Auto zu einem der schnellsten und zugleich begehrenswertesten Sportwagen seiner Zeit. Sein erster öffentlicher Auftritt erfolgte beim Eröffnungsrennen des Nürburgrings im Jahr 1927 und endete mit einem Dreifachsieg für Mercedes-Benz. Rudolf Caracciola fuhr den Typ S auf den ersten Platz.

Es gibt nur 146 Exemplare des Typ 680 S

Insgesamt entstanden nur 146 Exemplare des 680 S, die weitaus meisten davon als offene Sport-Viersitzer zum Preis von 30 000 Reichsmark. Einzelne Exemplare wurden für 26 000 Reichsmark als Chassis ausgeliefert und erhielten ihre Karosserie bei den bedeutendsten Aufbauherstellern der damaligen Zeit. Drei davon bekamen ein maßgeschneidertes Kleid von Saoutchik in Neuilly-sur-Seine, Frankreich, der damals zu den bekanntesten Karosserieherstellern des Landes zählte. Von diesen Modellen hat es nur eines bis auf den heutigen Tag geschafft und eine bemerkenswerte, fast 90-jährige Geschichte hinter sich.

Die begann am 2. August 1928, als das Chassis nach Frankreich geliefert wurde, wo es die Karosserie eines zweisitzigen Sportwagens erhielt. Dafür stellte Saoutchik im Dezember 11.572,35 Reichsmark in Rechnung. Danach wurde es von der Mercedes-Benz Comp. Inc., New York, für Charles Levine, New York, bestellt, einen reichen Schrotthändler, der zuvor Berühmtheit als erster Passagier eines Transatlantikflugs von den USA nach Deutschland erlangte. Das Wettrennen mit Charles Lindbergh um die erste Atlantiküberquerung als Pilot hatte er wegen eines Gerichtstermins um wenige Stunden verpasst.

Publikumsmagnet im New Yorker Showroom

Ob Levine zwischenzeitlich das Geld ausgegangen war oder ob er mit seiner Frau haderte, die das Auto angeblich hinter seinem Rücken geordert hatte, ist nicht überliefert. Fest steht dagegen, dass die Mercedes-Niederlassung in New York plötzlich auf einer unverkauften und extrem teuren Sonderanfertigung eines 680 S sitzen geblieben war. Das Personal machte aus der Not eine Tugend und stellte den Wagen als Publikumsmagnet in den eigenen Showräumen aus. Auch auf dem New York Auto Salon von 1929 trat er in Erscheinung. Schließlich begeisterte sich Frederick Henry Bedford jr. für das Cabrio. Der war damals – ebenso wie sein Vater vor ihm – Direktor beim Rockefeller-Unternehmen Standard Oil, aus dem später unter anderem Esso hervorging. Der Preis bedeutete für ihn daher kein Problem. Dass Bedford dem Mercedes jedoch Margret Stewart, seine spätere Ehefrau, verdanken würde, konnte er beim Kauf natürlich nicht ahnen.

Laut deren Enkelin Muffie Murray ging ihre Großmutter damals mit einem alten Freund der Familie aus, der sie entsetzlich langweilte. Als sie mit ihm eine Party besuchte, wurde sie dort Frederick Bedford vorgestellt, den sie recht unterhaltsam fand und als guten Tänzer kennen lernte. Am Ende der Party warf sie einen Blick auf Bedfords Auto und „es war um sie geschehen“, so Muffie Murray. Sehr zum Ärger ihrer Begleitung machte sie etwas, was sich damals für eine junge Dame aus guter Familie ganz und gar nicht gehörte: Sie ließ sich von dem vorerst für sie noch wildfremden Bedford nach Hause fahren. „Danach gab es für mich keinen anderen Mann mehr“, soll sie Muffie später gestanden haben. Margret und Frederick führten eine glückliche Ehe, bis 1952 Frederick Bedford während einer Geschäftsreise unerwartet im Alter von 61 Jahren starb. Seine Frau traf dieser Schicksalsschlag so hart, dass sie den 680 S Torpedo-Sport Avant-Garde, so die offizielle Fahrzeugbezeichnung, in die Garage fuhr und ihn fortan 28 Jahre lang nicht mehr anfasste.

28 Jahre lang blieb der 680 S in der Garage

Zu ihrem Geburtstag 1980 bekam sie dann von ihrer Enkelin eine besondere Torte geschenkt. Für sie hatte der Mercedes Modell gestanden, was Mrs. Bedford so begeisterte, dass sie sich weigerte, den Kuchen anzuschneiden. Sie versprach ihrer Enkelin, das alte Auto restaurieren zu lassen. Diese Aufgabe wurde Paul Russel übertragen, einem der namhaftesten Oldtimer-Experten der USA. Als Russel dem Mercedes Benz 680 S einen ersten Besuch abstattete, trug der Sportwagen noch seine Originalinnenverkleidung aus Schlangenhaut und sein altes Nummernschild, das kurz vor Bedfords Tod erneuert worden war. Nach der Renovierung besaß das Fahrzeug rote Ledersitze und war in einem so perfekten Zustand, dass es auf mehreren Ausstellungen glänzte und Preise gewann. 1986 war es bei den Feierlichkeiten „100 Jahre Auto“ von Mercedes-Benz dabei, danach wanderte es für 20 Jahre als Leihgabe in ein Museum in den USA. 2006 entschloss sich die Bedford-Familie, den Wagen mit nur 31 000 Meilen auf dem Tacho zu verkaufen. Zwei Jahre später gelangte er in den Besitz der renommierten Autosammler Paul und Chris Andrews aus Texas.

Wiederum durchlief der Oldie eine Verjüngungskur, diesmal eine, die ihn in einen perfekten Zustand versetzte. Trost für Hardcore-Oldtimerpuristen: Nur wenige Altteile mussten ausgetauscht werden, was wohl auch daran lag, dass der Mercedes siebeneinhalb Jahrzehnte in erster Hand geblieben war. Selbst die Holzteile unterhalb des Karosserie-Blechs wiesen kaum Alterserscheinungen auf, nur der Motor verlangte nach umfangreicheren Eingriffen. Der Aufwand machte sich bezahlt. 2012 gewann der Mercedes 680 S beim legendären Pebble Beach Concours d’Elegance in Kalifornien ebenso den ersten Platz wie ein Jahr später beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este am Ufer des Comer Sees in Italien, um nur die wichtigsten Ehrungen zu nennen.

Kommt der seltene Mercedes in den xklusiven Kreis der Zehn-Millionen-Oldtimer?

Zur Oldtimerversteigerung am 27. Mai in der Villa Erba kehrt das Auto erneut an den Comer See zurück, wo es bei Sotheby's unter den Hammer kommen wird. Offiziell schätzen die Auktionatoren, einen Preis zwischen 6,5 und acht Millionen Euro erzielen zu können. Insgeheim jedoch hoffen sie auf mehr. Schon jetzt gehört der Klassiker zu den 100 wertvollsten der Welt mit einer erstaunlichen Wertsteigerung. 2006 erhielt die Bedford-Familie 3,645 Millionen Dollar (damals rund drei Millionen Euro), 2013 kostete er 8,25 Millionen Dollar (6,2 Millionen Euro). Experten halten es daher durchaus für möglich, dass der Mercedes diesmal sogar in den exklusiven Kreis der Zehn-Millionen-Oldtimer aufsteigt.

10 Bilder Fotostrecke | Urahn der heutigen S-Klasse: Mercedes-Benz 680 S #01 #02

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