Stellantis beendet China-Schmusekurs: „Brauchen keine chinesischen Fabriken"

Französischer Autobauer will gegenüber China klare Kante zeigen

Stellantis beendet China-Schmusekurs: „Brauchen keine chinesischen Fabriken": Französischer Autobauer will gegenüber China klare Kante zeigen
Erstellt am 20. Oktober 2022

Der chinesische Automarkt ist der größte der Welt und für viele Fahrzeugbauer darum sehr attraktiv. Um in China verkaufen und produzieren zu können, haben die traditionellen Autobauer sich chinesische Kooperationspartner suchen und so manche Kröte schlucken müssen. Daraus haben sich geschäftliche Erfolge, aber auch Abhängigkeiten, die sehr problematisch werden könnten, ergeben. Mercedes-Benz etwa hat im dritten Quartal 2022 fast jeden zweiten Wagen an einen Kunden in China verkauft. Der Geschäftserfolg von Mercedes ist eng an den chinesischen Markt gekettet. Der französische Autobauer Stellantis, zu dem die Marken Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, DS Automobiles, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram, Vauxhall gehören und der auf Rang 4 im Ranking der größten Autobauer der Welt rangiert, will sich vom chinesischen Staat und seinen Produktions-Kooperationspartnern im Reich der Mitte offenbar nicht länger an die Kette legen oder sonst wie gängeln lassen. Auf dem Pariser Autosalon fuhr Stellantis-Chef Tavares schwere Wortgeschütze auf: Man wolle China den Rücken kehren. Ist das womöglich der Anfang vom Ende des China-Schmusekurses der traditionellen Autobauer?

Verlust der wirtschaftlichen Unabhängigkeit

Weil die Arbeit in China so schön billig war (und vielleicht auch noch ist), ging vor vielen Jahrzehnten die europäische Textilindustrie nach China. Ihr folgte später die japanische Unterhaltungelektronik-Industrie. Das Ergebnis war: Nachdem man den chinesischen Firmen gezeigt hatte, wie man vernünftig und qualitativ hochwertig produziert, haben sie's bald selbst gemacht und viele ihrer ehemaligen Auftraggeber in Europa, USA und Japan in die Bedeutungslosigkeit oder gleich in den Bankrott getrieben.
In der Autoindustrie ist es noch nicht so weit gekommen: Tatsache aber ist: Die chinesische Autoindustrie drängt mittlerweile mit hochwertigen Automobilprodukten sehr expansiv auf die Weltmärkte. Wie ist das möglich? Ein Grund dürfte sein, dass die traditionellen Autobauer ihren chinesischen Kooperationspartnern ebenfalls zeigen mussten, wie man es gut und richtig macht. Es fand ein Technologietransfer statt, der den Technik-Vorsprung der „alten“ Welt innerhalb weniger Jahre zerbröselte.

Während chinesische Unternehmen in Europa groß auf Einkaufstour gehen und Firmen mit Spitzentechnologie kaufen, werden ausländische Investoren in China gegängelt. Ohne chinesischen Kooperationspartner - oftmals befinden sich diese Betriebe in staatlicher Hand - von dem man sich in die Karten schauen lassen muss, lässt sich im Reich der Mitte keine Produktion hochziehen. Die Freiheit unternehmerischen Handelns ist für Ausländer immens eingeschränkt. Wer in China produzieren und verkaufen will, muss sich zudem mit dem autokratischen Staat und seinen ganz eigenen Auffassungen von Freiheit, Gleichheit, Würde und Menschenrecht in irgendeiner Form arrangieren. Nicht jeder findet das gut.
Die China-Euphorie scheint bei Stellantis verflogen zu sein, nachdem die Franzosen im Sommer 2022 von ihrem chinesischen Produktionspartner Guangzhou Automobile Group öffentlich düpiert wurden - der staatliche chinesische Partner von Stellantis hatte den Franzosen vorgeworfen, die Kunden auf dem größten Automarkt der Welt nicht zu respektieren. Stellanis-Chef Tavares hatte zuvor in einem Interview beklagt, dass das Vertrauensverhältnis zu seinen chinesischen Partnern zerbrochen sei.

Stellantis: „Wir brauchen keine Werke in China“

Auf dem Pariser Autosalon nun macht Tavares gegen China verbal mobil. Stellantis erwäge einen Rückzug aus dem Reich der Mitte, heißt es in einem Bericht des Magazins FOCUS. Doch damit nicht genug. Stellantis ruft quasi zum Kreuzzug auf. Ganz Europa müsse gegen China zusammenstehen und seinen Schmusekurs mit dem Reich der Mitte beenden. So fordert der Stellantis-Chef zum Beispiel Einfuhrzölle auf chinesische E-Autos zu erheben - schließlich würden westliche Importautos auch mit chinesischen Einfuhrzöllen belegt, argumentiert er. Zudem macht der Stellantis-Chef auf die wachsenden strategischen Risiken mit China als Produktionspartner aufmerksam, wenn ihn FOCUS wie folgt zitiert: „In Europa wird den chinesischen Autobauern der rote Teppich ausgerollt, aber das ist absolut nicht der Fall mit uns in China. (...) Wenn man unsere Strategie zu Ende denkt, dann brauchen wir keine Werke in China. In einer Welt mit wachsenden Spannungen müssen wir nicht zusätzliche Verletzbarkeiten schaffen.“
Zugegeben: Stellantis gehört nicht gerade zu den erfolgreichen Playern in China. Großes Glück und viel Geld haben bislang andere im Reich der Mitte eingeheimst. In Tavares Worten mag Enttäuschung und Kränkung mitschwingen. Doch dass die „alte“ Welt sich eher heute als morgen eine neue wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber China erarbeiten muss, dürfte eine unwidersprochene Erkenntnis unserer Zeit sein. Die Wut bei Stellantis-Chef Tavares ist da. Sie könnte Antrieb sein. Aber auch der Mut müsste - nicht nur bei ihm, sondern auch in den Reihen seiner Vorstandskollegen der Traditionshersteller - wachsen, um gegenüber den chinesischen Partnern, die ja längst Rivalen sind oder demnächst werden, selbstbewusster, unabhängiger und wie entfesselt aufzutreten.

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1 Kommentar

  • 2FAST4YOU

    2FAST4YOU

    Was für eine Aussage von einem Manager, dessen Firmen ebenfalls Modelle in China fertigen. Vielleicht hat er das bereits vergessen?

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